Freitag, 28. Juli 2017

Ambient und ich

Neue Musik, neue Erfahrungen...

Ich dachte eigentlich immer, Ambient sei so eine Musikrichtung, die im Hintergrund läuft. Unaufdringliche Melodien, keine Texte. Lieder, die man bei Gästen im Hintergrund laufen lassen kann. Ich dachte zum Beispiel, Oxycanta sei Ambientmusik. Dann habe ich in einer Rezension gelesen, dass nur die letzten Stücke dieses wunderbaren Albums diese Bezeichnung verdienen. Mittlerweile verstehe ich, warum das so ist.

Eine Meditation dauert bei mir immer etwa eine Stunde. Genauer gesagt: Sie dauert ein Album. Denn ich lasse mich von Konzeptalben begleiten. Im Idealfall Alben, die eine Art Reise beschreiben, bzw. zu denen mein Gehirn sich eine Reise ersinnen kann. Diese Alben haben idealerweise keine Pausen zwischen den Tracks, sondern sind als full mix abgemischt. Sie liegen in sehr hoher Soundqualität als FLAC-Dateien vor. Sie machen Gebrauch von Surroundsystemen, sind mindestens als 5.1 aufgenommen.

Das ist nämlich mein persönlicher Idealtyp der Meditation: Ich liege auf der umgeklappten Couch, natürlich nackt für maximale Freiheit und unverfälschtes Sinnesempfinden der Haut. Die Augen sind geschlossen, behind closed eyelids beginnt für mich die Reise. Die Musik ist überall: Ich kann die Lautsprecher räumlich nicht ausmachen, denn wenn man sich mit Surroundsound umgibt, erfährt man die Bedeutung des Begriffs "Klangwelten". Und ich bin mittendrin. Um mich herum fantastische Welten, suggeriert durch die Musik.

Das kann ich mit jeglicher Musik machen, die mir für den Zweck zusagt, und wie schon öfters in diesem Blog beschrieben, haben sich die Alben abgelöst: Zuerst gab es für mich überhaupt keine Alternative zu Hallucinogen in Dub, doch dann kam ein Franzose und hat das Album vom Thron gekickt. Nebulae (Live at the Planetarium) war von da an die Musik, zu der ich meditieren wollte, die Musik, die mich auf die Gedankenreise mitnehmen sollte. Dann wurde ich auf Oxycanta aufmerksam, und schließlich auf das vor Kurzem erschienene Album Polarity (natürlich vom Downtempo-Label meines Vertrauens, ultimae records).

Warum die Alben "besser" waren als ihre Vorgänger? "Naja, Du hast Dich bestimmt sattgehört an denen, ein bisschen Abwechslung tut auch mal ganz gut." - Nein, habe ich nicht. Ich kann mich an ihnen nicht satthören, dazu sind sie zu komplex, zu progressiv. Nein, diese Alben haben es geschafft, die Welten meiner Gedankenreise plastischer darzustellen. Und nun sind wir beim Ambient: Diese Musik ahmt nach, was um uns herum vor sich geht - etymologisch betrachtet - und der Effekt ist absolut fantastisch: Zu Beginn von Polarity bin ich in einer großen Halle, und hier und dort sind Aufbauten, zwischen denen Vögel hin und her fliegen. Und es geht so weiter.

Das heißt, Polarity, bzw. Ambientmusik schenkt mir nicht in erster Linie schöne Melodien, sondern detailreich ausgestattete Welten, in denen die Musik selbst eine untergeordnete Rolle spielt, und ich fühle mich in dieser Welt wohl - das scheint die perfekte Begleitung für meine Gedankenreisen zu sein. Dass Polarity Größen aus der Downtempo-Szene an einen Tisch holt, muss ich hier nicht extra erwähnen. Dass aber die AMBIENT side nur eine Hälfte des gesamten Erlebnisses ist, dass soll jeder für sich selbst entdecken, wenn er möchte.

Ich reise weiter...


Donnerstag, 27. Juli 2017

"Ich war auch mal so..."

Ja, ich war sehr gern Zivi! ...oder?

Ich habe hier vor ein paar Tagen einen Beitrag über mein Verhältnis zu Handball geschrieben. Ich würde heute gern auf das dem zugrunde liegende Problem etwas tiefer eingehen. Dazu blicke ich mal wieder zurück in meine Jugend. Handball ist die eine Sache, aber da gibt es auch andere Anekdoten.

Was das zugrunde liegende Problem ist? Der unbändige Wunsch, meine Mitmenschen nicht zu enttäuschen.

Sonntags sind wir immer zu Oma gefahren. Dort haben wir Kaffee getrunken, Kuchen gegessen und jedesmal zwei oder drei Runden Drei bis Dreizehn gespielt, das Kartenspiel hat auch einen anderen Namen, an den ich mich aber nicht erinnere. "Du warst doch immer gerne mit dabei, wenn wir zu Oma gefahren sind", tönt es. Aber eigentlich fand ich das langweilig. Die Erwachsenen haben über Themen gesprochen, die ich nicht verstanden habe. Ich mochte Drei bis Dreizehn nicht wirklich. Aber ich habe brav gelernt, wie es geht und natürlich immer mitgespielt, denn ich wollte nicht, dass Mama und Papa von mir enttäuscht sind. Dass ich froh war, nach der ersten Runde aus der Gruppe entlassen zu sein, und dass ich mir dann viel lieber eigene Beschäftigungen gesucht habe, registrierten sie nicht. Wie denn auch? Wie hätten sie es merken sollen, wenn ich sie anstrahle und ihnen erzähle, wie viel Spaß mir das Kartenspiel bereitet. Das schauspielerte ich sehr überzeugend - damit sie nicht von mir enttäuscht sind - jahrelang.

Na klasse, in der Meditation hatte ich so schöne, anschauliche Geschichten von damals parat, und nun sind sie weg. Egal, es geht um's Prinzip, nämlich dass in der Konsequenz meiner Schauspielerei meine Eltern überzeugt waren: "Das hast du früher immer gern gespielt! Das hast du früher immer gern gegessen! Früher mochtest du immer..."

Und ich? Haufenweise Selbstverleugnung, aber der Zweck wurde erfüllt: Sie waren nicht enttäuscht von mir. Dass ich dadurch nie richtig herausgefunden habe, was ich denn nun eigentlich mochte, war egal. "Was ist Dr Hilarius für ein Kind?" - diese Frage hat man damals nie wahrheitsgetreu beantworten können, denn wenn Mama mir neue Schuhe kaufte, dann trug ich sie und sagte brav "Ja, die finde ich gut." So ging es mit Essen, Sport, Kleidung - ich wurde quasi eine Projektionsfläche der Wünsche meiner Eltern und ich versuchte, ihren Vorstellungen so gut wie möglich gerecht zu werden.

Ich dachte, als Kind muss man das nun mal so machen.

Es hat sehr lange gedauert, bis sich etwas in meinem Kopf getan hat. Zwanzig Jahre Anpassung, das wird man nicht mal eben schnell los. Aber letztlich ist es irgendwann passiert, der Schalter ist umgeklappt. Jetzt sage ich offen (manchmal zu offen, ich weiß), was mir gefällt. Jetzt stehe ich zu diesen Dingen. Jetzt weiß ich, dass ich eine eigene Persönlichkeit haben darf. Jetzt weiß ich, dass meine wahren Freunde sich darin zeigen, dass ich ihnen nie etwas vorspielen muss, damit sie nicht von mir enttäuscht sind.

Jetzt ist das Alles anders, und ich bin so glücklich damit und kann gar nicht verstehen, wie Menschen Anderen etwas vormachen, ihnen zuliebe. Leute, das ist doch so einfach, Ihr müsst es niemandem recht machen! Sagt einfach, was Ihr denkt! Ja, so sehe ich das... denn immer wieder vergesse ich, dass ich auch mal so war. Immer wieder vergesse ich, dass ein jahrzehntealter Panzer aus Schauspielerei erstmal aufgebrochen werden musste.

Zum Glück fällt es mir dann hin und wieder ein, zum Glück erlebe ich in manchen Meditationen meine Jugend erneut, erlebe mich, wie ich es allen recht machen wollte, sie sollten nie von mir enttäuscht sein. Und gewinne ein wenig Empathie zurück für einen Menschen, der noch in diesem Panzer steckt. Der jedem das sagt, was er hören will, und darüber hinaus sich selbst oft genug verleugnet und damit falsche Signale nach außen sendet.

Und ich wünsche mir so sehnlich, dass Er diesen Schritt schafft...

Mittwoch, 26. Juli 2017

Die Anonymität

Mein Meditationszimmer in Husum, die einzige Möglichkeit zur Flucht...

Husum ist klein. Husum ist provinziell-spießig. In Husum kennt jeder jeden. In Husum kann ich nicht zum Bäcker gehen, ohne eine Mutter, einen Schüler und meine Schulleiterin zu treffen, und die Bäckerin begrüßt mich beim Vornamen. Wenn ich mir ein neues Auto zulege, weiß das in kürzester Zeit ganz Husum, zerreißt sich das Maul darüber und bildet sich seine Meinung, als hätte niemand Anderes mit seiner Zeit zu tun. In Husum kann ich nichts abseits des Mainstreams tun, ohne mir missbilligende Blicke einzufangen. Wenn ich ungewöhnliche Kleidung trage: Missbilligende Blicke (die Buba sagt "bhissbiwwiggedhe"). Wenn ich Psychedelika ausprobiere: Missbilligende Blicke. Wenn ich Doom Metal höre: Missbilligende Blicke. Wenn ich perverse sexuelle Fantasien habe: Missbilligende Blicke. Husum ist nicht aufgeklärt.

Das waren eine ganze Reihe Gründe, warum ich unbedingt wieder aus Husum weg wollte, aus einer Stadt, in der ich zumindest im Ansatz überlegt hatte, bleiben zu wollen. Es dauerte drei Monate, um diese Überlegungen über Bord zu werfen - denn ich brauche die Stadt, Größe egal. Ich brauche den Lärm. Ich brauche die Möglichkeit zur Flucht innerhalb des Lärms - zum Beispiel durch Parks oder meine Weltraumbasis. Ich brauche die Anonymität. Ich möchte unerkannt einkaufen gehen können. Ich möchte, dass es die Leute einen Scheiß interessiert, ob ich Gothic-Outfits trage. Ich möchte, dass die Leute in Sachen sexueller Vielfalt etwas aufgeklärter sind. Ich möchte nicht beim Vornamen begrüßt werden, außer von meinen Freunden. Ich möchte mein eigenes Offstream-Ding durchziehen, ohne dafür verurteilt zu werden.

Neunzehn Jahre lang habe ich in Dithmarschen gelebt, neunzehn Jahre lang war das nicht möglich - und dann kam Kiel. Und dabei ist Kiel noch nicht einmal Hamburg oder Berlin, bei Weitem nicht, aber es ist auch keine Provinz mehr, kein Nest. Es gibt hier eine Schwarze Szene. Ich habe meine eigene geschmackliche Vielfalt erst hier entdeckt, nicht in den engen Zwängen der Westküste. Nachvollziehbar, dass Husum dann ein gewaltiger Schritt rückwärts in dieser Entwicklung war, und ich auf einmal wieder eingesperrt war in der Ludwig-Ohlsen-Straße, in viel zu engen ("ideologischen") Wänden, strebend nach Platz für meinen Geist zum Durchatmen.

Der Weg zurück nach Kiel hat befreit. Endlich ist diese Luft wieder da, endlich wieder die Anonymität. Gerade in dieser Situation finde ich es faszinierend, dass es eben doch ein paar Menschen gibt, mit denen ich auf Du bin und die mich begrüßen, sei es nun Sven oder die Mitarbeiter unten bei Sky oder Ture von nebenan oder die Damen beim Friseur unten, wo ich gerade her komme. Irgendwie ist es doch schön, ein paar "Ankerpunkte" zu haben, ein paar Punkte festzumachen, anhand derer ich sagen kann:

Das hier ist mein Zuhause.

post scriptum: Spicy mag nicht mehr Pressesprecher des Weißen Hauses sein, aber seine Nachfolgerin Sarah Huckabee Sanders stellt eine veritable Comedy-Goldmine dar. Warum? Nun...

"She's looking like a sorority girl at a rave party whose Ecstasy pill has just kicked in." (S.Colbert)
passing gas...
"Is this supposed to be mommy's birthday present...?!"

"You talkin' to me???"

Montag, 24. Juli 2017

Akte X


So, die Sommerferien haben begonnen, herzlich willkommen in der Freizeit. Irgendwann im Studium habe ich gemerkt, dass die Ferien mir gefährlich werden können: Wenn ich geistig nicht genug ausgelastet bin, geht es mir richtig mies. Also habe ich mir damals gesagt, dass ich mir eine Beschäftigung zulege, wenn Ferien anstehen. Das kann ein neues Videospiel sein, oder ein neues Buch (ich habe ewig nicht mehr gelesen... würde mir zu diesem Zeitpunkt vielleicht ganz gut tun), oder aber eine neue Serie.

So habe ich vor einigen Monaten mit den X-Files gestartet - und am vergangenen Wochenende die zehnte Staffel beendet. Das war eine phänomenale Entscheidung! Für mich als Hochbegabten bieten die X-Files eine ganze Menge, wissenschaftliche Theorien, ungewöhnliche Erkrankungen, übernatürliche Vorfälle - ich habe mich dort sehr gut aufgehoben gefühlt. Es war immer wieder schön, mit Mulder und Scully ungewöhnliche Fälle zu lösen.

Was sind die X-Files eigentlich? In einer Episode wird erklärt, wie es zu diesem Namen kam: Es geht um Fälle des FBI, die nicht gelöst werden konnten und daher unter U für unsolved zu den Akten gelegt wurden. Weil aber irgendwann das Register unter U voll war, hat man die Akten unter X einsortiert, und auf diese Weise wurden sie zur Akte X.

Hauptfiguren sind zwei Ermittler des FBI, Fox Mulder und Dana Scully. Mulder glaubt an das Übernatürliche, und durch seinen Instinkt und seine mentale Offenheit gelingt es ihm oft, die richtige Spur zu finden. Scully ist studierte Ärztin, Wissenschaftlerin, und holt Mulder mit ihrer Forderung nach Beweisen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück - im Laufe der Serie allerdings wird Alles, woran sie glauben, auf die Probe gestellt.

Jede Episode fällt in eine von zwei Kategorien. Monster-Of-The-Week-Episoden, die sich mit unnatürlichen Vorfällen beschäftigen, in sich abgeschlossene Fälle, und Mythology-Episoden, die jeweils Teil eines großen, umfassenden Handlungsrahmens sind. Was die Mythologie ist? Naja, es hat etwas mit Außerirdischen zu tun, aber keine Sorge, die Serie geht da ganz nüchtern ran.

Überhaupt sind die X-Files in ihrer Anfangsphase gar nicht mal so unrealistisch gewesen. Vor allem ungewöhnlich, und das hat mir sehr zugesagt, der ich ja ebenfalls in die Kategorie "ungewöhnlich" falle. Die erste Staffel, das war ein richtiges Pilotprojekt, und sie bestand fast nur aus Monster of the Week-Episoden. Nichtsdestotrotz wurden mit dem Staffelfinale einige Türen geöffnet. Viele Handlungsstränge wurden aufgetan - um weiter erzählen zu können, falls die Serie erfolgreich sein sollte.

Und sie war erfolgreich. Was trägt alles zu ihrem Charme bei? Sind es die ungewöhnlichen Charaktere, die auftauchen? Ist es die Chemie zwischen Mulder und Scully? Sind es die catchphrases a la "The truth is out there."? Die zweite Staffel hat ein neues Element in die Serie gebracht, die bis dahin hochspannend, düster und mysteriös war, nämlich den Humor. Die Episode Humbug (S2E20) lebt von rabenschwarzem Humor, geschickt eingebauten one liners, subtil und subversiv. Das hat mich besonders gereizt, das war ein sehr kranker, abgefahrener Humor, das hat gut getan.

Fünf Staffeln lang gab es die X-Files, mit teilweise hervorragend gefilmten Episoden. Manchmal waren es einfach die schrägen Ideen, die mich angesprochen haben, wie z.B. in der Episode Soft Light (S2E23): Ein Mann gerät derart in einen Teilchenbeschleuniger, dass von da an sein Schatten eine Art Antimaterie darstellt. Jeder, der auf seinen Schatten tritt, wird angezogen und in reine Energie umgewandelt.

Was mich besonders reizt, ist der klassische Aufbau der Episoden, das sogenannte cold open: Die Folge beginnt mit einer ganz alltäglichen Situation - in der dann plötzlich das Übernatürliche passiert - manchmal recht unappetitlich. Und der Vorspann läuft ab und wir erarbeiten uns im Lauf der Episode ein Verständnis dessen, was wir in den ersten fünf Minuten gesehen haben. Ich mag diese Erzähltechnik. Sie verlangt in einigen Folgen dem Zuschauer intellektuell etwas ab, das tut gut. Das ist definitiv keine leichte Kost.

Nach fünf Staffeln hatte man ursprünglich beschlossen, die Serie zu beenden und die weitere Story in Kinofilmen zu erzählen. Und so gab es nach der fünften Staffel tatsächlich den Kinofilm X-Files: Fight The Future, der quasi eine XXL-Episode der Serie war. Der Film muss aber als Meilenstein gesehen werden, denn danach wurde alles anders. Auf einmal war die Serie in aller Munde, viele Menschen hatten den Kinofilm gesehen, jetzt muss man es diesen Menschen auch recht machen! Serve the audience, oder so. Und so wurde die Serie ab Staffel 6 wesentlich massentauglicher, das Budget wurde erhöht, mehr Effekte waren möglich, man verlegte den Drehort vom düsteren Vancouver in's sonnige Kalifornien.

Der Wandel der Serie ist deutlich spürbar gewesen, ich musste damit erstmal zurechtkommen. Das heißt nicht, dass die X-Files schlechter geworden sind - es gibt ganz tolle Episoden in den späteren Staffeln, z.B. John Doe (S9E7), wo es um Gedächtnisverlust geht, oder Triangle (S6E3), eine Folge, die im Bermuda-Dreieck spielt und dort in unterschiedlichen Zeiten, nämlich in der Gegenwart und auf einem deutschen Kreuzfahrtschiff 1939.

Klingt abgefahren? Das ist noch gar nichts. Man kann den Reichtum der Serie nicht in Worte fassen, sie ist das reinste Kuriositätenkabinett. Ich habe mich grandios unterhalten gefühlt und kann die Serie jedem an's Herz legen, der Mystery-Thriller mag und seinen Horizont ein ganzes Stück erweitern möchte. Die Serie ist ein cultural icon, wenn man bedenkt, wie einflussreich sie sich zum Beispiel in der deutschen Hörspiellandschaft gezeigt hat.

Und was mich auch freut: Es geht weiter. Nachdem also jene zehnte Season ein Revival dargestellt hat - mit sechs qualitativ ganz unterschiedlichen Episoden - ist eine elfte Staffel in Produktion, und ich bin sehr gespannt, was es dort zu entdecken gibt.

Samstag, 22. Juli 2017

Offener Brief - Bye Bye Brachenfeld!



vorweg: Dieser Text klingt etwas verbittert. Er wurde in derselben Stimmung verfasst wie dieser hier. Das hat aber auch Gründe, und viele Junglehrer werden diese Gründe verstehen.

Ich arbeite für ein System, in dem es nicht auf Qualität ankommt, nicht auf Beliebtheit, Examensnoten oder dienstliche Beurteilungen. Ich arbeite für ein System, in dem eine Lehrkraft auf ihre Fächerkombination reduziert wird – es besteht ein Bedarf oder nicht. Ich arbeite in einem System, in dem die Chancen für externe Bewerber gleich null sind, wenn die Schule einen hausinternen Favoriten hat. Es ist ein System, das befristet angestellten Lehrkräften keinerlei Sicherheiten bietet – und unser Bildungsministerium ist darauf sehr stolz.

Von meinen mittlerweile elf befristeten Arbeitsverträgen in etwas mehr als fünf Jahren war derjenige in Brachenfeld der einzige, der über mehr als sechs Monate lief. So konnte ich an dieser Schule insgesamt dreizehn Monate bleiben und muss nun leider auf diese Zeit als eine Zeitverschwendung zurückblicken.

Ab der vierten Schule nach dem zweiten Staatsexamen überlegt man sich vielleicht schon einmal, ob es bei einer Bewerbung an einer Schule eine Bleibeperspektive gibt – und sagt, wenn man eh’ schon in der Arbeitslosigkeit ist, nicht jedem beliebigen Arbeitsangebot zu, denn was nützt es? Ich kann keine privaten, langfristigen Planungen angehen. Und ich wünsche mir langsam nichts mehr als eine Perspektive.

Wenn diese Perspektive hier nicht bestanden hätte, hätte ich die Stelle bei Euch nicht angetreten. Nun sieht es aber leider doch so aus, dass ich nicht mehr gebraucht werde. Und damit habe ich über ein Jahr Zeit vergeudet, und das wird mir niemand ausreden können. Erfahrungen sammeln? Ganz ehrlich, auf solche Erfahrungen kann ich verzichten. Besonders die Voreingenommenheit mancher Lehrkräfte hat mich erschrocken. Gutes bei den Schülern bewirken? Wozu, wenn es am Ende wieder nur heißt „Du wirst bestimmt leicht eine neue Stelle finden!“

Diesen Satz empfinde ich mittlerweile als Hohn und ich kann ihn nicht mehr hören. Das hat mit der Realität da draußen nichts zu tun.

Eine neue Schule bedeutet ein komplett neues Umfeld. Wieder muss ich mich mit dem Gegenwind im Kollegium konfrontiert sehen, den ich auch hier hatte. Wieder muss ich lange warten, bevor mehrere Kollegen meine Arbeit als positiv registrieren und nicht als Bedrohung (wenn sich jemand angesprochen fühlt: Das geht nicht persönlich gegen Euch, nicht an dieser Stelle). Wieder wird man mich, voreingenommen von Oberflächlichkeiten, wie einen Praktikanten behandeln, der keine Ahnung vom Unterrichten hat, und der offensichtlich noch nie in einer Konferenz gesessen hat, wieder werde ich mir Zurechtweisungen in meine Kompetenzschranken anhören dürfen. Wieder werde ich mich komplett erklären müssen, mit all’ den Sachen, die in meinem Leben anders laufen, und wieder muss ich mir einen Satz anhören: „Das geht uns doch allen so.“ Und: „Das klingt ziemlich unglaubwürdig.“ Und dann, wenn mal etwas nicht funktioniert, heißt es „Warum hast Du uns das nicht gleich gesagt?“ Und ich wünschte, ich hätte mir diese drei Sätze selbst ausgedacht.

Ich empfinde die Entwicklung der Situation als zynisch, weil ich gerade in der Phase aus dieser Schule gerissen werde, in der ich anfange, wenigstens ein paar mehr Kollegen zu vertrauen et vice versa. Ebenso zynisch scheint es mir, dass ich mittlerweile längst eine Planstelle hätte, wenn ich nicht diverse Ehrenämter und Nebenaufgaben in meinem Studium gemacht hätte – immer vor dem Tenor, dass sich das gut im Lebenslauf macht. Ihr wisst selbst, dass das leider Unsinn ist.

Nur, um ein wenig das Verständnis zu schüren, wie es auch laufen kann: In meiner vorletzten Schule in St.Peter-Ording war der Fachbedarf an Englisch und Latein reichlich gedeckt. Trotzdem hat man mit allen Mitteln (und mehr) versucht, mich an der Schule unterzubringen, und es hat auch geklappt. Es finden sich immer Möglichkeiten, die gewünschten Kandidaten in das Kollegium zu bekommen, hat man mir gezeigt. Auch wenn dort meinetwegen eine langjährige Kollegin gehen musste. Ich kenne diesen Satz „Wir brauchen Dich dringender“ aus beiden Perspektiven, diesmal wieder als der, der geht.

Ich realisiere mit jeder weiteren Schule und mit jedem neuen Arbeitsvertrag, dass es umso unmöglicher wird, Wunschkandidaten zu behalten, je näher sich eine Schule an Kiel befindet. (Natürlich vorausgesetzt, dass man überhaupt Wunschkandidat ist)

Ich nehme nicht an der Verabschiedung teil; mir erschließt sich der Sinn nicht. Wozu soll ich mir die – entschuldigung – jeder Grundlage entbehrenden „Viel Erfolg“-Sprüche anhören? Wozu soll ich den Kollegen, die meine Stelle einnehmen, gespielt ruhig ins Gesicht schauen? Ich habe dieses Theater mehrmals mitgemacht, zweimal gern, weil es meine Entscheidung war, die jeweilige Schule zu verlassen. Diesmal ist es wieder anders, und ich möchte niemandem irgendwelche Sätze entgegenbringen, die er oder sie vielleicht nicht verdient hat. Ich möchte hier keine persönlichen Vorwürfe machen, wenngleich ich weiß, dass manch’ einer sich in diesen Zeilen wiederfindet.

Ich hätte die Sache allerdings vielleicht etwas besser weggesteckt, wenn die Lage transparent kommuniziert worden wäre – und wenn Absprachen eingehalten worden wären. Aber das wissen die Zuständigen bereits.

Ein paar von Euch werde ich sehr vermissen – die „Frau vom Zauberwald“, „Frau Reichelt“, Deike, SLH, Frau „Lost Souls“ und wohl auch ein paar andere.

Euer Englisch/Latein

post scriptum: Da wundert es niemanden, wenn ich manchmal etwas sehnsüchtig auf die Kollegen an Alternativschulen blicke.

Donnerstag, 20. Juli 2017

Ich bin raus


So, heute ist es dann doch nochmal zum Gespräch gekommen; ich hab' nicht unbedingt damit gerechnet, man hätte das auch im Sande verlaufen lassen können; ich bin jetzt jedenfalls raus aus Brachenfeld (nicht ohne morgen noch zwei Vertretungen zu übernehmen). Ich kommentiere das nicht weiter. Immerhin weiß Jürgen, mein Schulleiter, dass ich nicht wirklich glücklich auf diese Zeit zurück schaue.

Zeitverschwendung, genau genommen.

post scriptum: Gibt nicht mehr zu sagen. Jemand meinte mal "Wenn du nichts Positives zu sagen hast, dann sag' am besten gar nichts." und den Satz werde ich unter Umständen morgen in der Schule nochmal irgendwo fallen lassen, denn ich möchte mich von niemandem verabschieden, ich möchte einfach nur noch weg sein.

Montag, 17. Juli 2017

Das Ding mit der Flexibilität

Warum nicht auch einmal in andere Richtungen denken?

Ich bin nicht flexibel. Ich brauche Sicherheit. Ich brauche einen Plan. Am wohlsten ist mir, wenn ich genau weiß, was in den nächsten Stunden passieren wird, wie ein Drehbuch, das abgespielt wird. Wäre das alles unsicher, würde mein Gehirn in tausend Richtungen denken, in einem Mordstempo, und alle Möglichkeiten ausloten - so viele, dass ich den Überblick verliere. Ich kann mein Gehirn nicht (so einfach) bremsen. Aber ich kann es in Bahnen lenken, und das tut mir gut. Ähnlich ist es wohl mit Autisten oder Aspergern, die sich auch eine klare Struktur wünschen. Die keine Eventualitäten in ihrem Tagesablauf haben möchten.

Heute hatte ich eine Lehrstunde in Flexibilität. Der erste Tag der Projektwoche ist rum, und es hat sich genau so entwickelt, wie ich mir das gedacht habe (soviel zum Thema "sichere Abläufe"). Wir haben das Schwimmbad gespielt, und natürlich habe ich mir einen Lösungsweg zurechtgelegt. Natürlich habe ich einen Weg im Kopf, wie der Spieler handeln soll, was er benutzen soll, was er sagen soll. Aber ich bin zur Flexibilität gezwungen, denn mein Geisteskonstrukt hat keiner der Spieler im Kopf.

Die kommen auf ganz unterschiedliche Ideen, zum Beispiel hat eine Tür ein verrostetes Schloss. Eigentlich sollte der Spieler dem Barkeeper den Schlüssel dafür abschwatzen, mit einer Runde Stein-Schere-Papier. Stattdessen haben die Leute sich im Park hinter dem Schwimmbad einen handlichen Stein organisiert und damit das Schloss aufgebrochen. Okay! Lasse ich gelten!

Auch ganz klasse war: In einer Umkleidekabine befindet sich ein Werkzeugkoffer, das konnte man erkennen, indem man durch den Spalt unter der Tür schaut. Eigentlich sollte der Spieler sich mithilfe geschickten Redens den Schlüssel für die Umkleide organisieren, es wurde aber anders gelöst: Mittels eines Bolzenschneiders (regulär im Spielablauf), den wir unter der Tür hindurch schieben, wurde das Schnappschloss des Werkzeugkoffers geöffnet. Der Koffer wurde aufgeklappt und war dann schmal genug, um unter der Umkleidetür herausgeangelt zu werden. Irre, auf was für Ideen die Schüler so kommen... Es hat mir gut getan, auch mal alternative Lösungsvorschläge für Rätsel gelten zu lassen. Dem Spieler mehr Freiraum geben - so kommen auch lustige und abgedrehte Ideen in das Spiel.

Flexibel sein. Für mich schwer, aber machbar.

post scriptum: Genau genommen erfindet das Spiel sich zum Teil selbst während des Spielens. Sehr cool! Und es war nostalgisch-schön, nach etwa zwanzig Jahren das Schwimmbad mal wieder auszupacken - die Sannitanic möchte das auch mal spielen, deswegen poste ich hier keine inhaltlichen Spoiler ;-)

Sonntag, 16. Juli 2017

Auf den letzten Drücker

Salvador Dalis Les Montres Molles (immer noch mein absoluter Favorit, auch wenn Le Grand Masturbateur auch seinen Reiz hat) zeigt uns, wie es aussieht, wenn die Zeit davonläuft...

Frau Kleinlaut (definitiv der unpassendste Name für sie) wird dieses Prinzip nachempfinden können, und auch die Holzdorfer und meine (teils Ex-)SPO-Hochbegabten: Wenn wir Arbeiten erledigen müssen, tun wir das manchmal erst auf den letzten Drücker. Auf den allerletzten: In der letzten Stunde der Frist. Warum auch nicht? In unserem Leben werden wir immer wieder mit dem Umstand konfrontiert, dass wir alles irgendwie schaffen. Und dass das ziemlich schnell geht, denn die ganze Kopfarbeit können wir ja schon vorher nebenbei erledigen. Über diesen Umstand hatte ich hier im Blog auch schon mehrfach geschrieben.

Das ist auch eigentlich gar kein Problem - denn irgendwie klappt es ja immer.  Was das Ganze so dramatisch macht, ist, dass die unerledigten Arbeiten immer im Hinterkopf sind. Ich denke andauernd darüber nach, und das belastet mich. Wie ein schlechtes Gewissen. Wie haben schon die alten Römer gesagt? iucundi acti labores - Angenehm sind Aufgaben, wenn sie erledigt sind.

Und so bereite ich die letzten Materialien zur Projektwoche auch erst morgen früh vor, um jetzt Sachen zu machen, nach denen mir eher der Sinn steht.

Dass das schlechte Gewissen mich nur allzu oft dann wieder lähmt, verliere ich aus dem Blick. Und so fällt es mir ziemlich schwer, meine Strategie einmal zu ändern, um nicht mehr alles auf den letzten Drücker zu erledigen.

Samstag, 15. Juli 2017

Last loswerden

Blick in den Spiegel, Sachlage erkennen, das hilft nicht nur in Silent Hill 2.

Manchmal geht es einfach nicht weiter. Dann stecke ich in einer gedanklichen Situation fest und bin völlig unfähig, mich da herauszumanövrieren. Weil ich eigentlich so viel Anderes tun müsste: Ich müsste das Bad putzen, ich müsste Staub wischen, ich müsste einen Brief an meine Oma schreiben, ich müsste meine Eltern anrufen, ich müsste auf Nachrichten auf dem Anrufbeantworter antworten, ich müsste den Müll, der schon bereit steht, runterbringen, ich müsste etwas zu essen einkaufen, ich müsste Briefe wegbringen, ich müsste mit dem Arbeitsamt telefonieren, ich müsste mir einen neuen Job suchen, ich müsste den Wagen in die Werkstatt bringen. Was soll ich zuerst machen? Hat alles Vor- und Nachteile, und beim Nachdenken darüber werde ich depressiv, weil ich eh' Vieles wieder falsch machen würde, und fange gar nicht erst an. Setze mich vor die PS4 oder das Notebook. Allein. Im Dunkeln.

So kann ganz schnell aus einer manischen Phase eine depressive Episode werden. Dann kommen Freunde und geben Tipps, die ich nicht hören will, weil sie Recht haben. Und weil es bedeuten würde, dass ich endlich etwas anpacken müsste. Also mache ich noch weiter dicht, gehe auf Abstand und fahre auch noch alle Messenger herunter. Von der Sonne draußen bekomme ich nichts mehr mit, weil alle Rollos heruntergezogen sind und es fühlt sich an, als wäre es ein grauer Tag.

Scheinbar braucht es dann die Sannitanic, die sich sorgt und mir in einer ernstgemeinten Nachricht mein eigenes Verhalten wie in einem Spiegel vor Augen führt. Denn ich bekomme das ab einem gewissen Zeitpunkt gar nicht mehr mit, wie bei mir alles blockiert ist. Und so bricht heute ein Gedankenpanzer auf, zersplittert, öffnet den Blick für die Realität.

Ganz konkret bedeutet das, dass ich endlich angefangen habe, etwas zu tun und nicht nur drüber nachzudenken. Müll raus, durchgesaugt, Staub weggewischt, Rechnungen bezahlt. Mehr Platz zum Durchatmen schaffen, die ganze Last loswerden, damit ich nicht mehr blockiert bin. Irgendwo muss ich schließlich anfangen, und es nützt nichts, immer in der Zukunft zu leben und auf jener Grundlage Entscheidungen im Hier und Jetzt zu treffen. Ja, das ist tatsächlich wieder ein Hochbegabten-Problem, denn die HBs sind in Gedanken immer schon drei, vier Schritte weiter. Das kann zu einer echten Behinderung werden!

Morgen geht's weiter, Handeln ist angesagt!

Donnerstag, 13. Juli 2017

Weisheiten


Dieser Beitrag ist längst überfällig. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, ihn zu schreiben. 

Der Anlass: Ich schreibe hier Sätze, deren Bedeutung ich irgendwann einmal im Leben wirklich verstanden zu haben glaube. Irgendwann in meinem Leben gab es eine Situation, in der es KLICK gemacht hat. In der ich mir gedacht habe: "Das muss es sein, was der Verfasser damit gemeint hat!" Und es sind alles weise Sätze, nach denen ich auch tatsächlich lebe. Ich klatsche sie hier nicht hin, wie es viele Menschen machen, mit dem Gedanken "Ja stimmt, da ist wohl etwas dran!" - sondern ich habe sie in mein Lebensskript (Transaktionsanalyse) integriert. Das heißt nicht, dass ich sie *immer* befolge: Manchmal verhalte ich mich eben doch impulsiv und vergesse die zugrunde liegende Weisheit. Dann versuche ich jeweils, ihrer wieder eingedenk zu werden. Mir ist das tatsächlich ernst.

Der Zweck: Ich pinne diesen Beitrag im Blog links oben als ständigen "Link" an. Auf diese Weise kann ich immer schnell darauf zugreifen, denn diese Liste wird wohl erweitert werden. Ich erkläre die Bedeutung dieser Sätze nicht. Ich bin überzeugt, dass man sie von sich aus finden muss, um sie zu verstehen. Manchmal gebe ich an, von wem die Weisheit stammt, manchmal nicht.

 "Lächle, und die Welt verändert sich." (Buddha)

"Fehler der Freunde soll man kennen, nicht nennen."

"Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt." (Joachim Ringelnatz)

"Nichts ist entspannender, als das anzunehmen, was kommt." (Dalai Lama)

"Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." (Bertolt Brecht)

"Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann." 

"Erwarte keinen Applaus." (aus den Lojong-Losungen)

Mittwoch, 12. Juli 2017

Coming Out in der Schule


Who cares whether your teacher is gay...?!

"Also, wer ist Er denn nun, das wollten sie uns doch noch vor ihrem Abschied sagen."
"Hmmm... also, vor zwei Jahren hat Er sich ein bisschen in mich verliebt."
"Nein! Und sie?"
"Vor vier Jahren habe ich mich ein bisschen in ihn verliebt."
"Oh mein Gott, also, nicht persönlich nehmen, sind sie denn schwul?"
"Ja, Larissa-Pomfrieda, bin ich!"
"OhmeinGottichwollteschonimmereinenschwulenLehrerhaben,
ohsiedürfennichtgehenundichwollteihnenerstnochKajalschenken!"
[und Lilly, falls Du das liest: Ja, ich habe zuhause geweint ;-) ]

Süß - aber der beste Schülerspruch kam heute von einem Jungen: "Also, nicht böse sein, Dr Hilarius, aber in den Brownies ist viel zu viel Schokolade!" Ich hab vor Lachen auf dem Boden gelegen, das hat noch niemand gesagt, herrlich!

An jeder neuen Schule (dass Sätze überhaupt so anfangen dürfen...) überlege ich mir, wie lange ich die Schüler im Unklaren lasse. Ich rede einfach nicht darüber, wenn es sich nicht ergibt. Ich definiere mich nicht darüber (und die Buba überträgt das Ganze gerade auch auf das HB). In SPO hat in meiner siebten Klasse, Chaos Arsch und Zwirn, was habe ich sie geliebt; jedenfalls hat bereits in der zweiten Englischstunde eine Schülerin gefragt "Sind sie schwul?" und ich habe die Offenheit geliebt! Natürlich habe ich ihr einfach mit "Ja" geantwortet, und damit war das Thema dann auch gegessen.

Das meine ich ernst: Niemand hat mich deswegen angefeindet, weder Schüler noch Kollegen haben mich irgendwie gemobbt. Nach dem Motto "Ist doch vollkommen egal, ob Dr Hilarius auf Männer oder Frauen steht, er ist einer der beliebtesten Lehrer der Schule und fertig." (jaja, ich hör die Unkenrufe, Arroganz, eingebildet, immer her damit) Es geht um die Sache: Es hat in SPO niemanden gestört. Und, im Gegenteil, ich habe ihnen vorgelebt, dass ein schwuler Lehrer cool sein kann. Dass schwul nichts Negatives ist. Ich habe ein Ohr für sie, ich höre ihnen zu und verstehe sie. Die Schüler akzeptieren mich, unabhängig von meiner sexuellen Orientierung, und so soll es auch sein. Ich habe eine Kollegin, bei der es ganz genauso ist, und sie wird in Boostedt großartige Arbeit leisten. Wir leben es Euch vor: Schwul und lesbisch ist voll okay!

Ich denke, dass ich auch in NMS beim Großteil der Schüler einen Stein im Brett habe. Und dann ist es völlig irrelevant, ob ich schwul bin, oder hetero, oder bi, oder vielleicht ja auch asexuell - ja, sowas gibt es!

Und ich will da bleiben.

Dienstag, 11. Juli 2017

American Brownies (geil!!!)


20.000 Kalorien pro Stück - aber niemand kann sich ihnen entziehen...


American Brownies


Zutaten:

300 gr. sehr weiche Butter
300 gr. brauner Zucker
4 Eier
4 EL dunkler Kakao
100 gr. Mehl
2 TL Backpulver

nach Geschmack:

Walnuss- oder Pecannusskerne
Schokoplättchen in rauen Mengen ^^
400-600 gr. Kuvertüre (VM/Weiß)


Zubereitung:

100 gr. Butter schmelzen, Kakao unterrühren.

Rest Butter, Eier und Zucker aufschlagen. Der Zucker sollte körnig bleiben (dann karamellisiert er und gibt dem Gebäck eine interessante Textur).



Mehl, Backpulver und „Kakaobutter“ dazumischen.



Schokoplättchen (und nach Geschmack Walnuss- oder Pecannusskerne) unterheben - nicht mit dem Rührgerät, damit die Nüsse ganz bleiben.


Teig in eine gefettete, gemehlte Keramikauflaufform (oder Antihaft mit Backpapier ausgelegt), auf Rost mittlere Schiene und 30-35 min. bei 180°C Umluft backen.

Bei Verwendung von Kuvertüre: Den ausgebackenen Kuchen mehrfach mit einer dicken Stricknadel oder Essstäbchen einstechen.

Die Kuvertüre im Wasserbad schmelzen und drübergeben - zum Beispiel mit 400gr. Vollmilchkuverstüre grundieren und mit 200gr. weißer Schokolade Muster aufzeichnen.

Guten Appetit!

Montag, 10. Juli 2017

Adventures im Unterricht

Ich habe es geliebt!

Wenn die Schule in den letzten Wochen liegt und die Ferien nahen, dann neigt man dazu, Filme zu zeigen, oder so. Was Nettes zu machen. Ich mach' das zumindest so. Wenn ich einen Film zeige, dann aber bitte auf Englisch, klar, meine 6d hat zum Beispiel Jumanji geschaut. Englisch mit englischen Untertiteln, geht.

Mit meinem schnellen Kurs in 7 habe ich eine Alternative erwogen: Inspiriert durch mein Projektwochenthema "Rollenspiele selbstgemacht!" bin ich heute mit den Schülern auf die Reise zum Firetop Mountain gegangen. Das war meine Jugend: Abenteuer-Spielbücher, in denen man selbst entscheidet, wie sich die Geschichte entwickelt. Der Klassiker schlechthin ist The Warlock of Firetop Mountain (Der Hexenmeister vom flammenden Berg).

Also bereiten wir uns vor - Tische und Stühle beiseite, wir sitzen auf dem Boden im Halbkreis mit Blick auf die Tafel. Ich sitze den Schülern entgegengesetzt mit dem Buch in der Hand. Ein Schüler geht an die linke Seitentafel und schreibt unsere Statuswerte auf, und die Kampfübersicht. Eine Schülerin an der rechten Tafel führt das Inventar und ein dritter Schüler zeichnet in der Mitte die Karte, an der wir uns orientieren.

Und dann beginnt das Abenteuer, ich bin der Spieleleiter und die Schüler übernehmen die Rolle des Helden. Ich lese aus dem Buch vor (natürlich auf Englisch), bis zum Ende des ersten Abschnitts. Immer wieder wird unser Held vor Entscheidungen gestellt: Gehen wir nach Westen oder Norden? Ziehen wir den linken Hebel oder den rechten? Nehmen wir den Bronze- oder den Eisenhelm? Wir kämpfen gegen Orcs, Schlangen, Trolle, auf der Suche nach dem Hexenmeister und seinem sagenumwobenen Schatz. Wir laufen in die eine oder andere Falle; Entscheidungen werden per Mehrheitsbeschluss gefällt. Morgen erforschen wir die Höhlen weiter, ich freu' mich schon darauf.

Das geht nicht mit zu großen Lerngruppen, ganz klar. Man kann diejenigen, die partout nicht mitspielen wollen, in den Filmraum setzen, whatever, aber so ein Abenteuer zu spielen gibt sicherlich dem einen oder anderen Schüler den Impuls, sich mal zuhause etwas mehr über die Fighting Fantasy Gamebooks zu informieren.

Ist doch super, wenn man Schüler zum Lesen bringt!

Samstag, 8. Juli 2017

Iris Schneider

And so it's come to this: Rauchschwaden über Hamburg (Quelle)

Es knallt. Es brennt, es fackelt, es raucht, es splittert. Es tobt ein Krieg. Rauchschwaden, zertrümmerte Fensterscheiben, aufgerissene Gehwege, verkohlte Autokarosserien, Straßenreinigung. Fassungslose Müllmänner. Kopfschüttelnde Passanten, weinende Anwohner. Müll, Trümmer, Asche - und der Schwarze Block zieht weiter, denn der zweite Tag des G20-Gipfels hat gerade erst begonnen. Und während drinnen Konzerte gehört werden, Zusammenhalt gegen Protektionismus demonstriert wird und ein pommesgelber Präsident Egozentrik lebt, zeigen draußen ein paar feige vermummte linksradikale Autonome ihre Auffassung vom Demonstrationsrecht - indem sie sich Autos unbescholtener Anwohner vornehmen, die Fensterscheiben einschlagen, Bengalos hineinwerfen und die Wagen schließlich in Flammen aufgehen lassen. Rauchschwaden über Hamburg - seid Ihr sicher, dass Ihr damit der Armut in der Welt entgegenwirkt? Dass Ihr damit gegen Trumps Politik gegenankommt? Dass Ihr damit den Klimawandel stoppt?

Und gestern dachte ich noch ernsthaft, dass ich die Ereignisse in Hamburg nicht weiter kommentiere. Weil das bereits genügend Medien tun, und weil ich keine Ahnung vom politischen Spektrum habe. Allerdings habe ich einen Namen gelesen, Iris Schneider, sowie den Namen der Straße Schulterblatt in Hamburg und jenen der Roten Flora. Und in meinem Kopf musste ich das Ganze zu einem passenden Ganzen verknüpfen, und das beginnt mit einer Bahnfahrt vor etwa zwanzig Jahren. Ich sitze im Zug nach Berlin, zu meiner verrückten, fantastischen Tante.

Zum ersten Mal allein, ohne meine Ma - wie aufregend. Und so sitze ich hellwach auf meinem Platz, blicke die ganze Zeit um mich herum aus den Fenstern und nehme die Eindrücke wahr. Und so fahre ich auch durch Hamburg und sehe, wie jedes Mal, das große Konzerthaus der Neuen Flora. Das fand ich immer wieder faszinierend, und heute weiß ich auch, warum sie neu ist - weil  es nämlich ein ursprüngliches Floratheater woanders gab, nämlich am Schulterblatt 71. Im Hamburger Schanzenviertel. Seine Geschichte beginnt im neunzehnten Jahrhundert, interessiert mich aber erst so richtig ab den ausgehenden 1980ern, als es nämlich von der autonomen Szene besetzt worden ist. Links. Und so wurde aus der Flora - logisch - die Rote Flora. Bis heute besetzt, und auch heute noch eines der wichtigsten Zentren der autonomen Szene. Ausgangsort vieler kultureller Veranstaltungen - Schauplatz eines sozialen Brennpunktes mit allen dazugehörigen Facetten. Auch den radikalen.

Und so gab es seit Gründung des Zentrums immer wieder Einsätze undercover, so auch in den Neunzigern von Iris Schneider - so der Tarnname der Ermittlerin, die sich dort eingeschlichen hat. Man mag von den linksradikalen Aktionen halten, was man will, aber jener Einsatz bewegte sich hart an der Grenze des rechtlich Möglichen. Leider auch jenseits dieser Grenze, und so klinkte Iris Schneider sich per Liebesbeziehungen in die Szene ein, verletzte Persönlichkeitsrechte, und man muss sich fragen, wie weit Ermittler gehen dürfen. Geltendes Recht wird offensichtlich rund um die Rote Flora auf beiden Seiten gebrochen. Nicht nur durch Iris, da gab es immer wieder welche, über die Jahre verteilt, sie nannten sich Stefan, Maria, Astrid, und garantiert noch mehr - und die Besetzer der Roten Flora entschieden sich, Portraits der Ermittler auf die Gebäudewand zu plakatieren.

Wo verläuft die Linie des Rechts? Wie weit darf man gehen, um Polizeigewalt zu enttarnen? Wie weit darf man gehen, um das "Staatswohl" zu sichern?

Hamburg brennt - und während niemand sich von Verantwortung freimachen kann, muss man wohl oder übel feststellen, dass das alles absehbar war. Wie leichtsinnig war es, eine solche Veranstaltung in eine Metropole zu legen? In eine, die das gesamte politische Spektrum schillernd widerspiegelt? Die Polizei und die Demonstranten sind ihrem "Wesen" gefolgt - und letztlich wird sich dafür Bürgermeister Olaf Scholz verantworten müssen.

post scriptum: Diese Worte von Ende Juni wird man ihm um die Ohren schlagen - "Sie werden am zweiten Tag staunen und sich wundern, dass der Gipfel schon vorbei ist!" Ich kann mir nur ausmalen, wie viele Menschen sich jetzt (am Samstagnachmittag) das Ende herbeisehnen... irgendwie ist bezeichnend, dass das Konzert in der Elbphilharmonie stattfand - die zwar toll, aber ein weiteres Mahnmal fehlgelenkter Ideen (auf Kosten der Steuerzahler) ist - der nächste G-Gipfel wird dann vielleicht in Berlin stattfinden, auf dem Gelände des BER-Flughafens, das bis dahin voraussichtlich immer noch nicht für den Flugverkehr freigegeben sein wird. Irgendwas läuft bei diesen Möchtegern-Machtdemonstrationen falsch; vielleicht hätte "Iris Schneider" lieber an diesen Schauplätzen ermitteln sollen...

Tagebuch-post scriptum: Doppelt blöder Start in den Samstag - ich habe verschlafen und damit die Demo im Rahmen des Kieler CSD verpasst. Das ist mir eigentlich immer recht wichtig, zu zeigen, dass es "uns" gibt, "anders" liebende Menschen. Und darüber hinaus stelle ich beim Durchsuchen der Wohnung fest, dass ich mein Original-Schwimmbad nicht mehr finde. So eine Scheiße! Letzter Versuch: Mit der Taschenlampe runter in den Keller, wo dreckig is'... großer Mist, findet sich nicht wieder an. Dann nutze ich das als Chance, entwerfe das Schwimmbad aus dem Kopf neu und schreibe nebenbei die Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Schüler. Passt. Aber erst morgen, I'm putzing, don't stop me!

Freitag, 7. Juli 2017

PehBeh-Onn

Und täglich grüßt das pbOn...

Vorwort: Ich könnte heute über so viel Interessanteres schreiben. Zum Beispiel über den G20-Gipfel, über die Art und Weise des Polizeieinsatzes und über die jetzt wieder aufkommenden Eskalationen der "Welcome to Hell"-Demo. Ich könnte auch das virale Rettungsgasse-Video kommentieren, in dem ein Vierzigtonner sich den Rettungskräften mitten in den Weg stellt. Letzteres gibt mir nicht genug her; Ersteres wird bereits reichlich von Menschen aufgearbeitet, die mehr Ahnung von G20 und dem Einsatz von Polizeigewalt haben als ich. Also geht es mir heute mal wieder um eine persönliche Auseinandersetzung. Und dennoch, dieses Video fand ich recht beeindruckend, heute morgen aus der KN gefischt - eine Autofahrt durch Altona. Lässt einen an ganz andere Szenarien denken...

 Quelle: http://www.kn-online.de/News/Aktuelle-Politik-Nachrichten/Nachrichten-Politik-aus-der-Welt/Live-Blog-Donald-Trump-landet-in-Hamburg

Das Video ist derzeit wesentlich viraler als das des LKWs - vollkommen zu Recht. Scheint, als hätte Olaf Scholz nur von der Wand bis zur Tapete gedacht; was in Hamburg derzeit abgeht, könnte ihn die nächste Wahl kosten, dieser Meinung schließe ich mich an. 
Aber nun zurück zum Blogthema.

Ich denke mal, jeder Junglehrer in Schleswig-Holstein, der sich in das Regelschulsystem integrieren möchte, hat schon einmal vom pbOn gehört. Das ist das landeseigene Bewerbungssystem, dort werden alle Stellenangebote gesammelt und nach Vertretungs- und Planstellen sortiert. Dort legt jeder Lehrer sich eine Bewerbungsmappe an, mit allen nötigen Unterlagen - Lebenslauf, Anschreiben, dienstliche Beurteilung und aktueller Arbeitsvertrag.

Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben einen Arbeitsvertrag, der über ein ganzes Jahr lief. Ich möchte nicht den letzten Vertrag in SPO verschweigen, den der Schulleiter auf ein Jahr hin beantragt hatte, den ich aber kürzer haben wollte, um flexibler zu sein und von dort wegzukommen, sollte ich das wollen. Ich wollte es.

Nun, vor etwa einem Jahr habe ich also meine Bewerbungsunterlagen samt und sonders aktualisiert, Silke Rohwer, damals Schulleiterin der Gemeinschaftsschule Neumünster-Brachenfeld hat mich per Suchmaschine gefunden und war neugierig. Der Rest ist Geschichte. Ich hatte das pbOn im Sommer 2017 längst vergessen - wozu hätte ich mich dort auch weiter rumtreiben sollen, es stand ja eine Zukunft in Brachenfeld in Aussicht. Im Laufe des Jahres wurde meine Bewerbungsmappe dann passiv gesetzt, weil es keine neuen Bewerbungen gab, das Ganze ist quasi eingeschlafen.

Gestern gab es den Weckruf. Es nützt ja alles nichts, ich muss mich den Tatsachen stellen: Ab August bin ich arbeitslos - mal wieder. Jener Beitrag hat damals diesen Blog eröffnet. Als jene Kollegin, die mich ersetzt, mich heute darauf hingewiesen hat, dass Faldera (noch so ein NMS-Laden) eine Planstelle mit Englisch ausgeschrieben hat - "und du meintest doch, dass du gerne an einer Gemeinschaftsschule arbeiten möchtest" - habe ich dann endlich meine Bewerbung aus dem Dornröschenschlaf wachgePDFt und mich wieder für das allgemeine Bewerbungsverfahren angemeldet. Lustig nur, dass von Faldera gar keine Ausschreibung zu finden ist.

Na und?

Es fühlt sich so scheiße an. Das pbOn wieder aktualisieren zu müssen, es fühlt sich an wie ein riesiger Schritt zurück. Was immer ich auch glaubte, erreicht zu haben - KLICK - es wirkt auf einmal nichtig. Alle netten Menschen, die ich kennengelernt habe, alle Eltern, die ich mühsam von meiner Qualifikation überzeugen musste, all' der Gegenwind und alle Barrieren, die ich habe überwinden müssen - wofür? An einer eventuellen neuen Schule werden die Barrieren wieder da sein, die ganze Scheiße wird von vorne beginnen. Ich fühle mich wie ein Erstsemester, und an einer unbekannten Schule werden sie mich - mal wieder - ganz genau so aufnehmen: Wie einen frischen Uni-Absolventen, der von Schule überhaupt keine Ahnung hat. Voreingenommen und voller Vorurteile: So haben sie es in Brachenfeld gemacht, so haben sie es in Eckernförde gemacht, so haben sie es in Husum gemacht.

Dieser eine Klick auf das Feld Bewerbungsmappe aktualisieren tritt so viele Gedanken los... und leider keinen einzigen guten. Und es bleibt dabei: Diese Bewerbungsmappe ist pro forma, denn ich möchte in Brachenfeld bleiben. Lieber werde ich arbeitslos, als wieder an eine neue Schule zu gehen und diesen ganzen Sozialterror noch einmal durchstehen zu müssen!

Freu' mich schon drauf, das meinem Sachbearbeiter in der Arbeitsagentur erklären zu müssen...

Donnerstag, 6. Juli 2017

Kratzer im Lack

Etwas dunkler. Etwas flacher. Und Tieferlegen ist in Kiel purer Selbstmord - aber in diese Richtung dürfte es gern gehen ^^

Zeig' mir Deinen Lehrerparkplatz, und ich sage Dir, wer bei Dir unterrichtet!

Ein Lehrerparkplatz dient als wunderbares Analytikum eines Lehrerkollegiums. Und es geht gar nicht nur danach, was für Autos da stehen. Da findet man alles, hier einen Porsche, dort einen Jaguar, da einen Mercedes, hier einen BMW, und überall verteilt die etwas "kleineren" Wagen. Viel interessanter ist da der Zustand der Autos - wie jemand zu mir meinte: "Ja, meinen Wagen erkennt man immer an den Kratzern im Lack."

Und die kommen nicht von ungefähr, sondern sagen ein wenig über die Lehrerpersönlichkeit aus. Natürlich verlocken "protzige" Karren eher mal zu Vandalismus - es geht doch nichts darüber, einen Mercedesstern oder einen Jaguar abzubrechen. Denke ich mal. Aber interessanterweise ist gerade ein sehr auffälliger Benz auf unserem Parkplatz komplett unversehrt. Kein Wunder, wenn man weiß, dass darin Jens, einer der beliebtesten Lehrer der Schule fährt. Den finden die Schüler cool, und sie finden auch sein Auto cool. Sie würden daran niemals Vandale üben.

Anders ist es da bei Hiltrud (so nenne ich sie mal), die von der alten Schule ist. Wenn es nicht irgendwann verboten worden wäre, Schüler zu schlagen, wäre sie vielleicht immer noch dabei. Aber man kann die Schüler ja immer noch vor die versammelte Klasse stellen und zusammenschreien, und Klassenstrafen verteilen, die werden schon noch das Maul halten. Fehlt eigentlich nur noch eine Trainerpfeife im Unterricht, aber sie unterrichtet Mathe und Latein, kein Sport - und ihre Stimme reicht vollkommen aus.

Die Schüler hassen Hiltrud. Das Kollegium auch, aber darüber wird nicht gesprochen, und das ist auch besser so. Die Kinder in Hiltruds eigener Klasse trauen sich nicht, aufzubegehren, denn sie ist schnell dabei, Eltern in die Schule vorzuladen. Und auch sie anzuschreien, vor den Augen ihrer Kinder, so dass schließlich beide mit rotgeweinten Augen die Schule verlassen.

Andere Kinder haben Hiltrud nur in einem Fach, aber das reicht schon aus. Und sie wissen nicht, wie sie sich zur Wehr setzen können, denn obwohl Hiltruds Methoden in der ganzen Schule bekannt sind, tut niemand etwas dagegen. Also wird unauffällig der Schlüsselbund gezückt und Hiltrud fährt ihre Kratzer im Lack wie Trophäen spazieren. Ja, sie ist stolz darauf: "Das zeigt nämlich, dass ich mich durchsetzen kann und nicht so einen Waschlappen-Unterricht mache!"

Und da vorne, der BMW, der gehört Eckhart. Der Wagen sieht picobello aus, und keiner erkennt mehr, dass ihm vor einem Monat von Unbekannten die Reifen zerstochen worden sind. Und keiner sieht mehr, dass vor zwei Wochen an der Tankstelle mehrere Täter mit Ziegelsteinen die Windschutzscheibe eingeworfen haben. Warum jemand so etwas tut? Weil Eckhart es wagt, im Unterricht Ansprüche zu stellen. Mit drei Vierteln seiner Klassenarbeiten muss er zur Genehmigung. Vier von fünf Schülern fallen in seinen Prüfungen durch. Das aber nicht, weil er Freude daran hat - sondern weil es nötig ist.

Dabei ist Eckhart ein unglaublich netter Kollege, und ich merke in jedem Gespräch, dass ihm das Wohlergehen der Schüler tatsächlich am Herzen liegt. Leider fällt es den jungen, impulsiven Schülern nicht leicht, diese Seite zu erkennen. Und so werden sie seinen Wagen auch weiterhin demolieren, fürchte ich.

Ich möchte irgendwann auch ein richtig auffälliges Auto haben. Was Sportliches, gern in schwarz, mit dunkelblauen Paintbrush-Applikationen oder so, Flammen, Schädel, irgendwas. Und ich überlege, ob das meine Schüler auch anstachelt, die Schlüssel, Schraubenzieher und Ziegelsteine zu zücken.

Aber irgendwie denke ich, dass ich ohne Kratzer im Lack auskommen werde.

Mittwoch, 5. Juli 2017

Sechs im Zeugnis

Nein, liebe Kollegen, geht bitte auch mal in die Vollen - auch wenn, oder gerade weil es wehtut.

Bevor ich zum Thema komme, merke ich noch an, dass die Aussage des gestrigen Beitrags nicht sein sollte "Warum habe ich keine Planstelle?" - denn die Antwort auf die Frage kenne ich ja. Ich musste mich nur einmal darüber auskotzen, dass man noch so viel Gutes tun kann - "quitt" wird man im Leben nie sein. Allerdings sorgt es für ein gutes Karma, und wenn ich der buddhistischen Denkweise weiterhin folgen möchte, sollte ich mich auch weiterhin so verhalten wie bisher.

Es gibt die nervige Angewohnheit, Schüler im Dreier-/Viererbereich zu benoten. Das sind quasi Wischiwaschi-Noten, nix Halbes und nix Ganzes, aber man hat es als Lehrer damit leicht, man muss sich dafür nicht rechtfertigen. Nehmen wir die Zwei auch noch hinzu. Wenn man eine kurze Zeugniskonferenz möchte, sorgt man dafür, dass nur solche Noten auftauchen. Ungelogen: Es ist tatsächlich zu beobachten, dass die Noten-Randbereiche selten ausgeschöpft werden. Und meiner Meinung nach zu selten. Das habe ich seit meinem Einstieg in das GemS-System gelernt.

Weil man ja als Lehrer immer noch etwas Mitleid hat. Ja, das arme Kind, ist halt still, meldet sich nie, aber stört immerhin nicht, das sollte doch schonmal eine Vier wert sein, oder? Nein. Denn Vier heißt "ausreichend", und es reicht nicht aus, im Unterricht zu sitzen und Sauerstoff umzuwandeln. Dafür gebe ich eine Fünf, und das mache ich meinen Schülern in den ersten Stunden klar, damit nachher keine bösen Überraschungen kommen.

Was ich gelernt habe: Wenn man im Halbjahreszeugnis zwischen Vier und Fünf schwankt, sollte man lieber eine Fünf geben. Das ist die sogenannte pädagogische Note, als Antrieb, es endlich besser zu machen. Buba la Tättah, meine kleine Kampfwesbe (sic), regt sich jetzt vielleicht auf: Wie scheiße ist das denn, den Schülern extra 'ne schlechtere Note reinzudrücken, damit sie sich dann verbessern (zumindest habe ich früher so gedacht)? Mega fies! Aber vielleicht wird auch BlT die Erfahrung machen: Wenn man dem Schüler zum Halbjahr signalisiert, dass es noch für eine Vier ausreicht - joah, dann kann man ja weitergammeln. Die Vier bewirkt da leider nur Ungünstiges, und deswegen gilt es als eine pädagogische Fünf.

Ich bestätige aus meiner bisherigen (noch nicht sehr umfangreichen) Berufserfahrung, dass die Fünferschüler sich ausnahmslos im zweiten Halbjahr verbessern konnten, und das hat ihnen richtig gut getan.

Damit hätten wir also auch mal Randnoten gegeben - wobei, halt stopp, da gibt es doch noch die Sechs! Im amerikanischen System läuft das ein bisschen anders, da erhält man ein A, B, C, D (=1, 2, 3, 4) - oder aber ein F, wenn es nicht mehr für ein D reicht: Failure. Da wird nicht noch zwischen Fünf und Sechs unterschieden. Ich finde das eigentlich sinnvoller, und das entspricht ja auch unserem akademischen System.

Manchmal aber geht es nicht anders. Schülerin Pomsa, neunter Jahrgang. Klar, fiktiv. Pomsa sitzt in der hintersten Reihe, zusammen mit ihren "bros", too cool for school. Pomsa meldet sich nie, macht keine Hausaufgaben, lästert offen über anwesende Mitschüler, mobbt in Anwesenheit des Lehrers Andere. Ich liebe solche Schüler, damit kann ich arbeiten! Und ich habe wirklich intensiv mit Pomsa gearbeitet. Ich habe ihr klargemacht, schon zu den Herbstferien, dass sie auf eine Fünf zusteuert. Leider sind die schriftlichen Leistungsnachweise ebenfalls mangelhaft. Zu Beginn des neuen Jahres setze ich mich mit Pomsa zusammen, bespreche die Halbjahres-Fünf.

Ich beschreibe, wie ich Pomsas Verhalten im Unterricht wahrgenommen habe, ich gebe ihr die Möglichkeit, ihren Blickwinkel zu schildern. Nützt nichts, die Fünf steht. Pädagogische Fünf, hoffentlich macht Pomsa etwas draus. Zweites Halbjahr - im Block bis zu den Osterferien meldet sich Pomsa ein einziges Mal im Unterricht und gibt eine richtige Antwort. Ein einziges Mal liest sie einen Text vor - sogar gut, das kann sie, weil sie ganz mädchenunüblich viel über Internet zockt und sich mit Chattern in der ganzen Welt unterhält. Wir stellen fest: Pomsa ist nicht dumm! Aber lässt sich im zweiten Halbjahr noch viel mehr hängen als vorher, natürlich immer mit Lässig-Blick, like I care für Arme. Vor den Osterferien schnappe ich mir Pomsa, wir gehen ins nächste Gespräch, ich packe es anders an und frage, warum sie in der Schule ist. Was für einen Abschluss sie machen möchte, was sie nach der Schule machen möchte, ob sie vielleicht schon 'nen Plan hat.

Naja, Realschulabschluss soll es schon sein, und ich nicke und wir blicken beide auf den Teppich. Kleine Pause, und dann versuche ich Pomsa klarzumachen, dass es in Englisch momentan nicht einmal im Ansatz für Hauptschule reicht. ESA. No fucking way. Wir machen ein gutes Gespräch draus, und dann geht's Richtung Sommerferien und ich merke, dass ich Pomsa doch nicht so toll erreicht habe, wie ich zunächst dachte. Zeugnisnoten. Schuljahresendzeugnisse.

Und ich gebe zum ersten Mal in meinem Leben eine Sechs zum Schuljahresende.

Wie immer setze ich die Schüler vor einen englischen Film, damit sie beschäftigt sind, und bespreche draußen in Ruhe ihre Zeugnisnoten - und natürlich ist irgendwann auch Pomsa dran. Und ich erkläre ganz ruhig und anschaulich Pomsas Unterrichtsverhalten - und teile mit, dass es in Englisch eine Sechs wird.

Es ist das erste Mal, dass Pomsa Alles aus dem Gesicht fällt. Arsch auf Grundeis. Wir kennen die Begrifflichkeiten. Scheiße, jetzt isses richtig in die Binsen gegangen, und womöglich kommen noch weitere Fünfen dazu? Pomsa ringt um Worte, was kann sie tun, damit sie besser wird blablabla, the rest is history.

Ich denke, dass diese Sechs nötig war. Ich denke, wenn alle Kanäle nicht mehr funktionieren, muss es mal krachen, und deswegen möchte ich abschließend an alle dies lesenden Pädagogen die Bitte richten: Nutzt das gesamte Notenspektrum - Ihr tut Euren Schülern mit den Wischiwaschinoten keinen Gefallen. Wenn es nötig ist, gebt die Fünf - oder die Sechs. Und wenn es sich jemand verdient hat, dann natürlich auch die Eins.

Pomsa hat eine Menge Anschiss bekommen - aber manchmal muss man wirklich erstmal ordentlich auf die Fresse fliegen, bevor man merkt, dass man etwas ändern muss.

Dienstag, 4. Juli 2017

Deine Scheiße

Irgendwann kommt die Wut...

...und dann gibt es immer mal wieder diese Momente, in denen Du Dich fragst, wofür Du das Alles eigentlich machst.

Für wen? Für was? Ganz offensichtlich nicht für Dich.

Für wen hast Du Dich im Studium in der Fachschaft engagiert? Offensichtlich für all' die Studenten, denen Du in ihrem Studium hast helfen können, die dann ihre Abschlüsse gemacht haben und jetzt die Planstellen haben, auf denen Du hättest sitzen können. Offensichtlich nicht für Dich, und erst recht nicht für Deinen Lebenslauf, denn es interessiert kein Schwein, was Du neben Deinem Studium gemacht hast, und noch weniger würde es interessieren, wenn Du Hakan, Ayse oder Fatima hießest.

Wozu hast Du im Studierendenparlament gearbeitet? Wozu bist Du gegen Studiengebühren auf die Straße gegangen, wozu hast Du für bessere Studienbedingungen gekämpft? Für die neuen Studiengänge, Bachelor und Master, aus denen nun ebenfalls die ersten Absolventen die Jobs vor Deiner Nase wegschnappen, denn sie sind jünger, haben bessere Fächer. Eine hohe Semesterzahl macht sich nicht gut, die ist fast so schädlich wie der falsche Name.

Wozu hältst Du Dich an Verkehrsregeln, wenn Du sowieso dafür angehupt und angeblinkt wirst, dass Du in der Stadt nur fünfzig fährst, und wenn Du rechts überholt wirst von diesen beschissenen Junglehrern, denen Du vor zwei Semestern noch mit den Prüfungen geholfen hast, und wenn Du im Lehrerzimmer dämliche Sprüche reingedrückt bekommst, dass Du viel zu langsam fährst?

Wozu bist Du überhaupt offen und ehrlich, wenn Du mit Lügen und Vorspielen viel weiter kommst, an Deinen Job kommst, Dich bei Deiner Schulleitung einschleimen kannst, dem Amtsarzt jeden Scheiß erzählen kannst, wenn Dir aus Deiner Ehrlichkeit ein Strick gedreht wird und Leute Dir einen Vogel zeigen, denn wie kann man nur so blöd sein, auf Fragen ehrlich zu antworten?

Wofür das alles, wenn es doch offensichtlich viel mehr bringt, ein egoistisches Arschloch zu sein und in erster Linie immer nur an sich selbst zu denken? Und warum solltest Du aus dieser Erkenntnis nicht eine Konsequenz ziehen?

Warum sollst Du irgendeinem Menschen - Deinen Schülern überhaupt noch raten, ehrlich zu sein, offen zu sein, aufrichtig zu sein, fair zu sein, hart zu arbeiten, sich an Regeln und Absprachen zu halten, sich an Gesetze zu halten, hilfsbereit zu sein, wenn Du davon nichts als Ärger, Spott und Probleme hast?

Und deswegen rate ich niemandem mehr dazu, Gutes für Andere zu tun.
"Kümmere Dich um Deine eigene Scheiße."

Sonntag, 2. Juli 2017

Seelenstriptease

Meine erste Band - yep, da habe ich mich wohlgefühlt.

So, ich packe jetzt einmal ein düsteres Kapitel meiner Jugend aus, fünf Jahre, die manche Leser nicht werden verstehen können, allerdings denke ich, dass die Mehrheit das damalige Verhalten des jungen Dr Hilarius wird nachvollziehen können. Es geht um Handball und damit verbundene Verleugnung meiner eigenen Persönlichkeit.

Ich bin aufgewachsen in einem Dorf, dessen Einwohner zu einem großen Teil handballverrückt waren. Jedes Wochenende schien ein Punktspiel eines der Lokalteams in der Sporthalle der Grundschule stattzufinden - oder aber ein Bus fuhr los, beladen mit Mannschaft und begeisterten Fans, um andernorts irgendwelche Titel zu verteidigen.

Meine Eltern schauten sich jedes Spiel an, und natürlich spielten meine beiden älteren Brüder in der ortsansässigen Mannschaft. Man kannte sich, man war miteinander befreundet , die Familien in der Doppelkopfrunde meiner Ma waren handballverrückt, ebenso der Skattreff meines Vaters. Es ist nur logisch, dass auch ich Handball gespielt habe; meine Eltern haben mich umgehend in die entsprechende Mannschaft gesteckt, und so ging ich einmal in der Woche zum Training. Das Handballspielen tat mir gut; ich bekam ausreichend Bewegung und machte etwas mit Anderen zusammen, und deswegen ging ich auch immer wieder gern los.

Dachten meine Eltern.

Tatsache ist, dass ich Handball gehasst habe. Ich fand es nicht nur langweilig und uninteressant, ich habe es gehasst, bei jedem Training aufs Neue mitzuerleben, wie ich der mit Abstand unsportlichste Spieler der Mannschaft war und achtundneunzig Prozent der Punktspiele auf der Bank verbrachte - was mir am liebsten war. Nur wenn unsere Mannschaft haushoch in Führung lag, hat man mich nochmal auf den Platz geschickt, linksaußen, und da bin ich hin- und hergelaufen und hoffte, dass niemand den Ball zu mir passte. Ich würde ihn sowieso nicht fangen, oder fallenlassen, oder das Falsche damit anstellen. Ich konnte kein Handball, ich war zu unsportlich, es interessierte mich nicht, ich fühlte mich dort gemobbt, ich fühlte mich dort falsch, ich hab' immer wieder das Gefühl bekommen, alles falsch zu machen.

All' das hielt ich vor meinen Eltern verborgen, machte gute Miene zum bösen Spiel. Nie würde ich jemandem gesagt haben, dass ich den Sport lieber heute als morgen aufgeben würde. Alles eine Frage des method acting, fünf Jahre lang. Ich nahm an, dass von mir erwartet wurde, dass ich Handball toll finden müsse. Ich nahm an, dass das alles nötig sei, um meine Eltern nicht zu enttäuschen. Damit sie stolz auf mich sind. Nie habe ich widersprochen, und ich habe mich insgeheim jedesmal gefreut, wenn das Training aus welchem Grund auch immer ausfallen musste.

Für mich war Handball nicht nur eine Zeitverschwendung, sondern es machte mich depressiv, ich füllte haufenweise Seiten meines Tagebuchs darüber, wie sehr es mich nervte. Man mag vielleicht denken, Mensch, warum hast Du nie etwas gesagt? Und meine Tante hat zu meiner Ma anscheinend auch öfters gesagt, merkst du denn nicht, dass der Junge da völlig falsch aufgehoben ist? Aber nein, sie merkten es nicht, und wann immer sie mich fragten, log ich ihnen vor, dass ich das gern mag.

Ich sagte in meiner Jugend so gut wie nie, was ich wirklich mochte. Was ich gern las, gern schaute, gern machte. Natürlich sagte ich niemandem, dass ich mich nicht für Mädchen interessierte. In unserer Familie wurde über viele Dinge nicht offen gesprochen, und ich habe nie gelernt, offen zu sprechen, sondern immer nur meinen Mund zu halten. Nicht, weil meine Mutter das explizit gewollt hätte, aber in ihren Erklärungen schwebte immer der Beisatz mit: "Was sollen denn die Leute denken?" Gerade, wo sie doch Grundschullehrerin im Ort war und es irgendwie negativ auf sie zurückfallen konnte. Ja, auch diesen Satz kannte ich zur Genüge: "Die denken dann, Mutter Hilarius kümmert sich nicht im ihre Kinder!"

Über die Jahre meiner Kindheit und Jugend lernte ich, wie ich mich verhalten musste, um meiner Mutter möglichst wenig Kummer zu bereiten. Ich wollte, dass sie glücklich ist, ich wollte, dass sie stolz ist, dass sie zufrieden mit mir ist. Ich war schön schräg genug durch die Dinge, die ich nicht verbergen konnte, und Schauspielerei hatte ich damals wie heute sehr gut drauf. Und so spielte ich fünf Jahre lang Handball. Ich quälte mich durch mindestens zweihundertfünfzig Trainingseinheiten, durch mindestens einhundert Spiele, in denen ich meinem Team nix als Stress bereitete, durch unzählige Turniere, die für mich die Hölle auf Erden waren, denn oft war es heiß und stickig, mein Kreislauf war im Eimer, da ich auch damals schon gut Essen und Trinken vergessen konnte, und ich musste nicht nur ein blödes Spiel überstehen, sondern derer mehrere, und keines von ihnen bereitete mir auch nur irgendwelche Freude.

Und ich habe oft allein in meinem Zimmer gesessen und meinen Frust in mein Tagebuch geschrieben, und ich bin nicht zu meinen Eltern gegangen, denn ich dachte, so muss ich eben sein. So habe ich mich zu verhalten, und wenn ich das nicht täte - was sollten denn die Eltern denken?

Nach fünf Jahren habe ich endlich den Mut aufgebracht, meinen Eltern einen Brief zu schreiben. Ich weiß nicht mehr, ob es dazu der Mutmachung meiner Tante bedurft hatte, ich weiß nicht mehr, was diesen Brief ausgelöst hatte. Ich habe meinen Eltern endlich all' diesen Frust geschrieben, all' diese Fehlannahmen ihrerseits aufgeklärt und dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als endlich mit dem Handballspielen aufhören zu dürfen. Und das war dann glücklicherweise das Ende dieser Phase. Ich wurde danach Mitglied der Musicalband meiner Schule, Dr Hilarius an den Synthesizern, und ich weiß, dass ein, zwei Leser dieses Atikels mich noch von genau dorther kennen. Das war toll, da habe ich mich wohl gefühlt, das entsprach mehr meinem Wunsch nach kreativem Schaffen.

Auch wenn es so klingt, als wollte ich hier meinen Eltern Vorwürfe machen - besonders meiner Mutter - und als würde ich mich auf diese Weise für alles angetane "Unrecht" rächen wollen: Darum geht es nicht. Ich weiß aus tiefer Überzeugung, dass meine Eltern es nie böse gemeint haben. Woher hätten sie wissen sollen, dass ich in dieser Phase gelitten habe? Ich habe nichts gesagt, mir nichts anmerken lassen. "Eine Mutter merkt sowas doch!" - ach ja? Weiß ich nicht, kann ich nichts zu sagen, diese hat es jedenfalls nicht bemerkt.

Ich glaube, ich möchte mit diesem Beitrag einfach nur darauf aufmerksam machen, dass es solche Situationen geben kann. Dass Ihr Euer Kind in ein Konzept einpassen wollt, das nicht zu ihm gehört. Dass Ihr meint, Ihr tut ihm etwas Gutes, indem Ihr seine Freunde, seine Kleidung und seine Freizeitgestaltung aussucht. Dass Ihr ihm zwar immer wieder sagt, es darf das alles selbst aussuchen, aber es traut sich nicht, weil es Euch liebhat, weil es Euch niemals traurig machen möchte.

Weil Ihr seine Eltern seid.