Ja, ich war sehr gern Zivi! ...oder? |
Ich habe hier vor ein paar Tagen einen Beitrag über mein Verhältnis zu Handball geschrieben. Ich würde heute gern auf das dem zugrunde liegende Problem etwas tiefer eingehen. Dazu blicke ich mal wieder zurück in meine Jugend. Handball ist die eine Sache, aber da gibt es auch andere Anekdoten.
Was das zugrunde liegende Problem ist? Der unbändige Wunsch, meine Mitmenschen nicht zu enttäuschen.
Sonntags sind wir immer zu Oma gefahren. Dort haben wir Kaffee getrunken, Kuchen gegessen und jedesmal zwei oder drei Runden Drei bis Dreizehn gespielt, das Kartenspiel hat auch einen anderen Namen, an den ich mich aber nicht erinnere. "Du warst doch immer gerne mit dabei, wenn wir zu Oma gefahren sind", tönt es. Aber eigentlich fand ich das langweilig. Die Erwachsenen haben über Themen gesprochen, die ich nicht verstanden habe. Ich mochte Drei bis Dreizehn nicht wirklich. Aber ich habe brav gelernt, wie es geht und natürlich immer mitgespielt, denn ich wollte nicht, dass Mama und Papa von mir enttäuscht sind. Dass ich froh war, nach der ersten Runde aus der Gruppe entlassen zu sein, und dass ich mir dann viel lieber eigene Beschäftigungen gesucht habe, registrierten sie nicht. Wie denn auch? Wie hätten sie es merken sollen, wenn ich sie anstrahle und ihnen erzähle, wie viel Spaß mir das Kartenspiel bereitet. Das schauspielerte ich sehr überzeugend - damit sie nicht von mir enttäuscht sind - jahrelang.
Na klasse, in der Meditation hatte ich so schöne, anschauliche Geschichten von damals parat, und nun sind sie weg. Egal, es geht um's Prinzip, nämlich dass in der Konsequenz meiner Schauspielerei meine Eltern überzeugt waren: "Das hast du früher immer gern gespielt! Das hast du früher immer gern gegessen! Früher mochtest du immer..."
Und ich? Haufenweise Selbstverleugnung, aber der Zweck wurde erfüllt: Sie waren nicht enttäuscht von mir. Dass ich dadurch nie richtig herausgefunden habe, was ich denn nun eigentlich mochte, war egal. "Was ist Dr Hilarius für ein Kind?" - diese Frage hat man damals nie wahrheitsgetreu beantworten können, denn wenn Mama mir neue Schuhe kaufte, dann trug ich sie und sagte brav "Ja, die finde ich gut." So ging es mit Essen, Sport, Kleidung - ich wurde quasi eine Projektionsfläche der Wünsche meiner Eltern und ich versuchte, ihren Vorstellungen so gut wie möglich gerecht zu werden.
Ich dachte, als Kind muss man das nun mal so machen.
Es hat sehr lange gedauert, bis sich etwas in meinem Kopf getan hat. Zwanzig Jahre Anpassung, das wird man nicht mal eben schnell los. Aber letztlich ist es irgendwann passiert, der Schalter ist umgeklappt. Jetzt sage ich offen (manchmal zu offen, ich weiß), was mir gefällt. Jetzt stehe ich zu diesen Dingen. Jetzt weiß ich, dass ich eine eigene Persönlichkeit haben darf. Jetzt weiß ich, dass meine wahren Freunde sich darin zeigen, dass ich ihnen nie etwas vorspielen muss, damit sie nicht von mir enttäuscht sind.
Jetzt ist das Alles anders, und ich bin so glücklich damit und kann gar nicht verstehen, wie Menschen Anderen etwas vormachen, ihnen zuliebe. Leute, das ist doch so einfach, Ihr müsst es niemandem recht machen! Sagt einfach, was Ihr denkt! Ja, so sehe ich das... denn immer wieder vergesse ich, dass ich auch mal so war. Immer wieder vergesse ich, dass ein jahrzehntealter Panzer aus Schauspielerei erstmal aufgebrochen werden musste.
Zum Glück fällt es mir dann hin und wieder ein, zum Glück erlebe ich in manchen Meditationen meine Jugend erneut, erlebe mich, wie ich es allen recht machen wollte, sie sollten nie von mir enttäuscht sein. Und gewinne ein wenig Empathie zurück für einen Menschen, der noch in diesem Panzer steckt. Der jedem das sagt, was er hören will, und darüber hinaus sich selbst oft genug verleugnet und damit falsche Signale nach außen sendet.
Und ich wünsche mir so sehnlich, dass Er diesen Schritt schafft...
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