Samstag, 22. Juli 2017

Offener Brief - Bye Bye Brachenfeld!



vorweg: Dieser Text klingt etwas verbittert. Er wurde in derselben Stimmung verfasst wie dieser hier. Das hat aber auch Gründe, und viele Junglehrer werden diese Gründe verstehen.

Ich arbeite für ein System, in dem es nicht auf Qualität ankommt, nicht auf Beliebtheit, Examensnoten oder dienstliche Beurteilungen. Ich arbeite für ein System, in dem eine Lehrkraft auf ihre Fächerkombination reduziert wird – es besteht ein Bedarf oder nicht. Ich arbeite in einem System, in dem die Chancen für externe Bewerber gleich null sind, wenn die Schule einen hausinternen Favoriten hat. Es ist ein System, das befristet angestellten Lehrkräften keinerlei Sicherheiten bietet – und unser Bildungsministerium ist darauf sehr stolz.

Von meinen mittlerweile elf befristeten Arbeitsverträgen in etwas mehr als fünf Jahren war derjenige in Brachenfeld der einzige, der über mehr als sechs Monate lief. So konnte ich an dieser Schule insgesamt dreizehn Monate bleiben und muss nun leider auf diese Zeit als eine Zeitverschwendung zurückblicken.

Ab der vierten Schule nach dem zweiten Staatsexamen überlegt man sich vielleicht schon einmal, ob es bei einer Bewerbung an einer Schule eine Bleibeperspektive gibt – und sagt, wenn man eh’ schon in der Arbeitslosigkeit ist, nicht jedem beliebigen Arbeitsangebot zu, denn was nützt es? Ich kann keine privaten, langfristigen Planungen angehen. Und ich wünsche mir langsam nichts mehr als eine Perspektive.

Wenn diese Perspektive hier nicht bestanden hätte, hätte ich die Stelle bei Euch nicht angetreten. Nun sieht es aber leider doch so aus, dass ich nicht mehr gebraucht werde. Und damit habe ich über ein Jahr Zeit vergeudet, und das wird mir niemand ausreden können. Erfahrungen sammeln? Ganz ehrlich, auf solche Erfahrungen kann ich verzichten. Besonders die Voreingenommenheit mancher Lehrkräfte hat mich erschrocken. Gutes bei den Schülern bewirken? Wozu, wenn es am Ende wieder nur heißt „Du wirst bestimmt leicht eine neue Stelle finden!“

Diesen Satz empfinde ich mittlerweile als Hohn und ich kann ihn nicht mehr hören. Das hat mit der Realität da draußen nichts zu tun.

Eine neue Schule bedeutet ein komplett neues Umfeld. Wieder muss ich mich mit dem Gegenwind im Kollegium konfrontiert sehen, den ich auch hier hatte. Wieder muss ich lange warten, bevor mehrere Kollegen meine Arbeit als positiv registrieren und nicht als Bedrohung (wenn sich jemand angesprochen fühlt: Das geht nicht persönlich gegen Euch, nicht an dieser Stelle). Wieder wird man mich, voreingenommen von Oberflächlichkeiten, wie einen Praktikanten behandeln, der keine Ahnung vom Unterrichten hat, und der offensichtlich noch nie in einer Konferenz gesessen hat, wieder werde ich mir Zurechtweisungen in meine Kompetenzschranken anhören dürfen. Wieder werde ich mich komplett erklären müssen, mit all’ den Sachen, die in meinem Leben anders laufen, und wieder muss ich mir einen Satz anhören: „Das geht uns doch allen so.“ Und: „Das klingt ziemlich unglaubwürdig.“ Und dann, wenn mal etwas nicht funktioniert, heißt es „Warum hast Du uns das nicht gleich gesagt?“ Und ich wünschte, ich hätte mir diese drei Sätze selbst ausgedacht.

Ich empfinde die Entwicklung der Situation als zynisch, weil ich gerade in der Phase aus dieser Schule gerissen werde, in der ich anfange, wenigstens ein paar mehr Kollegen zu vertrauen et vice versa. Ebenso zynisch scheint es mir, dass ich mittlerweile längst eine Planstelle hätte, wenn ich nicht diverse Ehrenämter und Nebenaufgaben in meinem Studium gemacht hätte – immer vor dem Tenor, dass sich das gut im Lebenslauf macht. Ihr wisst selbst, dass das leider Unsinn ist.

Nur, um ein wenig das Verständnis zu schüren, wie es auch laufen kann: In meiner vorletzten Schule in St.Peter-Ording war der Fachbedarf an Englisch und Latein reichlich gedeckt. Trotzdem hat man mit allen Mitteln (und mehr) versucht, mich an der Schule unterzubringen, und es hat auch geklappt. Es finden sich immer Möglichkeiten, die gewünschten Kandidaten in das Kollegium zu bekommen, hat man mir gezeigt. Auch wenn dort meinetwegen eine langjährige Kollegin gehen musste. Ich kenne diesen Satz „Wir brauchen Dich dringender“ aus beiden Perspektiven, diesmal wieder als der, der geht.

Ich realisiere mit jeder weiteren Schule und mit jedem neuen Arbeitsvertrag, dass es umso unmöglicher wird, Wunschkandidaten zu behalten, je näher sich eine Schule an Kiel befindet. (Natürlich vorausgesetzt, dass man überhaupt Wunschkandidat ist)

Ich nehme nicht an der Verabschiedung teil; mir erschließt sich der Sinn nicht. Wozu soll ich mir die – entschuldigung – jeder Grundlage entbehrenden „Viel Erfolg“-Sprüche anhören? Wozu soll ich den Kollegen, die meine Stelle einnehmen, gespielt ruhig ins Gesicht schauen? Ich habe dieses Theater mehrmals mitgemacht, zweimal gern, weil es meine Entscheidung war, die jeweilige Schule zu verlassen. Diesmal ist es wieder anders, und ich möchte niemandem irgendwelche Sätze entgegenbringen, die er oder sie vielleicht nicht verdient hat. Ich möchte hier keine persönlichen Vorwürfe machen, wenngleich ich weiß, dass manch’ einer sich in diesen Zeilen wiederfindet.

Ich hätte die Sache allerdings vielleicht etwas besser weggesteckt, wenn die Lage transparent kommuniziert worden wäre – und wenn Absprachen eingehalten worden wären. Aber das wissen die Zuständigen bereits.

Ein paar von Euch werde ich sehr vermissen – die „Frau vom Zauberwald“, „Frau Reichelt“, Deike, SLH, Frau „Lost Souls“ und wohl auch ein paar andere.

Euer Englisch/Latein

post scriptum: Da wundert es niemanden, wenn ich manchmal etwas sehnsüchtig auf die Kollegen an Alternativschulen blicke.

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