Dienstag, 31. Mai 2016

Identität - Die Geschichte von Timo und Julian (part 2)




Disclaimer: Diese Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der Autor sicher nicht fähig.



part 2

Wir kennen uns von den Saturnalien, der Theateraufführung an unserem Institut. Wir studieren beide Latein. Naja, er studiert, ich habe mein erstes Staatsexamen bereits erworben. Julian ist mir damals in der Gruppe gar nicht so sehr aufgefallen, ein bisschen unscheinbar, ein bisschen Nerd. Aber er hatte immer gute Laune und ist eingesprungen, wenn mal ein Darsteller ausgefallen ist. So hatten wir über einige Wochen losen Kontakt bei den Proben, aber nach der Aufführung trennten sich unsere Wege wieder.
Für mich nahte der Tag des Auszugs. Ich hatte erfahren, dass ich mein Referendariat in Husum absolvieren sollte, also hatte ich mir dort eine günstige Wohnung gesucht. Vor dem Umzug wollte ich aber noch einen netten Abend mit meinen Freunden in Kiel verbringen und hatte deswegen zum Sit In eingeladen. Alle Bekannten, die mir so eingefallen sind, und auch Julian war dabei. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass er kommt, warum sollte er auch, wir hatten uns seit Monaten nicht gesehen. Doch ich hatte seine Zusage postwendend in meiner Mailbox und somit sahen wir uns im Juli noch einmal, bevor ich Kiel verlassen sollte. Ich hatte mir nichts weiter dabei gedacht und mich dann ins Referendariat gestürzt, die Kieler Verbindungen zu lösen versucht und wollte Anschluss in Husum finden.
Pustekuchen. Neue Stadt, graue Stadt, spießige Stadt, nichts zu erleben, spießige Schule und so verbrachte ich ein Jahr dort, in dem ich mir darüber klarzuwerden versuchte, wie es mit meinem Leben weitergehen sollte. Denn von Husum hatte ich die Nase mittlerweile gestrichen voll, das war kein Ort, an dem ich glücklich werden konnte. Ich vermisste meine Kieler Freunde, daran konnten auch die sporadischen Besuche meiner besten Freundinnen Corinna und Regina – Cory und Reg – nichts ändern.
Die Sommerferien sollten mein Leben auf den Kopf stellen. Keine Schule, keine Unterrichtsvorbereitungen, viel gedankliche Freizeit. Es war Zeit, für einen Nachmittag nach Kiel zu fahren, wir hatten uns bei Reg verabredet. Es war nur fair, dass nicht immer sie es waren, die die lange Tour nach Husum fuhren. Die Sonne schien, es war angenehm warm, ein Donnerstag im Juli. Es fühlte sich gut an, wieder nach Kiel zu kommen, ein bisschen wie Heimkehr. Und dann war da auch noch die Vorfreude darauf, Julian wiederzusehen.

Warum hat Timo mich eingeladen? Wird bestimmt ganz nett werden, aber er ist der Einzige in der Runde, den ich zumindest etwas näher kenne. Aber warum soll ich mir darüber jetzt den Kopf zerbrechen? Ich habe handfeste Probleme im Kopf. Ich habe seit ein paar Tagen nichts mehr von meiner Freundin gehört. Sie wollte diesmal allein in den Urlaub fahren, ich hab nicht ganz verstanden, wieso, ich hatte nicht den Eindruck, dass zwischen uns etwas im Argen ist. Und ich konnte Situationen eigentlich immer gut einschätzen. Ich habe das Handy in der Hosentasche, irgendwann wird sie sich schon melden. Vielleicht lenken die Leute mich ja ein bisschen ab, ich bin gedanklich eh nicht ganz anwesend. Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, bis ich an Reginas Haustür geklingelt habe. Ich habe mir einen Parkplatz gesucht, der zwanzig Minuten Fußmarsch entfernt liegt, bin ein bisschen genervt deswegen. Jetzt stiefel ich die Treppen nach oben, dritte Etage, hieß es. Lächeln aufsetzen. Nichts anmerken lassen. Wäre scheiße, wenn die Anderen meinetwegen keinen schönen Nachmittag haben. Ich möchte niemandem etwas kaputtmachen. Und vielleicht wird es ja wirklich ganz nett, ich habe eigentlich keine Probleme damit, neue Leute kennenzulernen.
Und ich freue mich auch darauf, Timo wiederzusehen. Das letzte Mal muss schon ein paar Monate her sein, kann mich nicht genau erinnern. Das war bei der Auszugsparty in seiner alten Wohnung. Ich kenne Timo seit knapp zwei Jahren, aber auch nur, weil wir zusammen an der Theateraufführung mitgearbeitet haben. Ich fand ihn klasse, er hatte immer einen Plan, er hatte immer den Überblick, irgendwie stand er immer im Mittelpunkt und ist mit allen gut klargekommen. Ich war ein bisschen neidisch, weil ich sonst diese Rolle habe. Es war cool, ihm zuzuhören, ich dachte mir, dass ich von dem noch etwas lernen kann. War schon schade, dass wir nach der Aufführung keinen weiteren Kontakt mehr hatten, nichts Regelmäßiges. Ich hätte mich gern mal mit ihm auf einen Kaffee getroffen. Aber er hat mich nie angeschrieben, und warum hätte ich das übernehmen sollen, er hätte bestimmt abgelehnt. Und deswegen freue ich mich jetzt einfach, dass ich dabei sein kann, und dort steht auch schon Regina im Türrahmen und lächelt mir entgegen.

Ich war stinksauer über den Verkehr auf der Autobahn, ich wusste, ich würde zu spät kommen. So drehte ich die Musik auf volle Lautstärke und öffnete die Fenster auf Durchzug. Ich sang, nein, ich schrie die Liedtexte mit, na toll, gleich vier Uhr, ich sollte jetzt schon da sein. Fünf Minuten, zehn Minuten, zwanzig Minuten zu spät, hämmerte es in meinem Kopf, als ich an Reginas Wohnung klingelte. Sie wohnte zusammen mit ihrem Freund Malte, ein Vorzeigepärchen wie aus den Familienzeitschriften, fehlte nur noch das Kind. War aber zur Zeit nicht in Planung, oder doch? Bestimmt hatte ich Reg schon öfters gefragt und es einfach wieder vergessen.
Ich bin ein sehr egozentrischer Mensch. Dinge, die mich interessieren, kann ich mir gut merken. Aber es interessierte mich nicht wirklich, ob sie schon in der Familienplanung waren, das war aus Höflichkeit gefragt, das macht man eben so. Ich hasse Höflichkeitsfloskeln. Ein „Wie geht’s Dir?“, wenn mich die Antwort überhaupt nicht interessiert. Ein „Gut“ als Antwort, damit man wieder seine Ruhe hat. Wieder einer dieser Momente, in denen ich mich frage, warum die Menschen nicht ehrlicher sein können? Ich habe das Konzept der Notlüge gelernt. „White lies“ sagen die Amis, glaube ich. Insgeheim wünsche ich mir, dass ich irgendwann komplett ehrlich sein kann – aber Vieles wollen die Menschen nicht wissen. Sie tun so, als ob man offen sein kann, ja, man wird sogar darum gebeten. Und dann wird man vor den Kopf gestoßen – „Was soll ich damit jetzt anfangen?“ – „Wieso glaubst du, dass ich mit so was umgehen kann?“ – „Es ist besser, wenn wir unseren Kontakt an dieser Stelle beenden.“ Alles schon erlebt. Reg hat immer versucht, mich da zu stärken, indem sie mir klargemacht hat: Jene Menschen, die dich nicht so nehmen wollen oder können, wie du bist, sollten in Deinem Leben keine weitere Relevanz haben.
Relevanz. Naja, so hatte ich es damals für mich umformuliert, denn das erschien mir einleuchtend. Seitdem denke ich bei jedem Menschen darüber nach, ob er für mich relevant ist oder nicht, und ich hatte mich entschieden, zu unserem Treffen nur relevante Menschen einzuladen. Ich war selbst etwas erstaunt, dass Julian dazugehörte. Vielleicht war es seine dauerfröhliche Art, die mich damals auf der Bühne angesteckt hat. Er strahlt eigentlich immer – ich nahm mir vor, das als Vorbild zu sehen, auch wenn ich innerlich noch kochte, dass ich zu spät war. Regina und Malte standen in der Tür und begrüßten mich. Über ihre Schulter hinweg konnte ich einen Blick in das Innere der Wohnung werfen und entdeckte ihn: Weißes Shirt, karierte Surfshorts, das rechte Handgelenk voller Festivalarmbänder, die Oberarme tätowiert, braungebrannt, der Blick ein bisschen müde. Endlich sahen wir uns wieder. Er ganz in weiß, ich ganz in schwarz, das Wort „komplementär“ schoss mir durch den Kopf und ich wusste noch nicht, welche Bedeutung es in Zukunft haben sollte

to be continued...

Montag, 30. Mai 2016

Psychoactive Substances Act 2016


WARNHINWEIS: In diesem Artikel werden sogegannte "Designerdrogen" namentlich erwähnt. Sie mögen ohne rechtliche Konsequenzen zu erwerben und konsumieren sein, aber sie haben die Sicherheitstests nie vollständig durchlaufen. Über ihre Gefährlichkeit kann keine Angabe gemacht werden. Es liegen dokumentierte Todesfälle durch den unvorsichtigen Gebrauch nicht geprüfter Substanzen vor. Daher rät der Verfasser energisch davon ab, diese "research chemicals" zu konsumieren. Safer Use geht vor; Ihr habt nur einen Körper, also passt auf ihn auf! 

Diese Überschrift klingt so englisch - und ja, es geht um ein rechtliches Papier im Vereinigten Königreich. Es ist ein Gesetz, das im Januar diesen Jahres die königliche Genehmigung erhalten hat und seit dem 26.05.16 flächendeckend in Kraft getreten ist. Dieser Artikel möchte das Vorhaben der Regierung kritisch zur Disposition stellen und ein bisschen aufklären, worum es sich dabei handelt - mit der Frage im Blick, ob das für Deutschland vielleicht auch sinnvoll wäre.

Heute sagt man "psychoaktive Substanz", früher sagte man "Droge". Ich bin ganz erleichtert, dass endlich der neue Ausdruck breitere Anwendung findet, da "Drogen" gesellschaftlich stigmatisiert sind. "Psychoaktive Substanzen" meinen alle Substanzen, die auf das zentrale Nervensystem wirken, egal, ob beruhigend oder anregend oder psychedelisch.

Das bedeutet: Koffein, Nikotin, Alkohol, Heroin, Kokain und unzählige mehr sind sämtlich psychoaktive Substanzen. Hier findet sich kein Platz mehr für die Doppelmoral des allseits beliebten "Nein, ich nehme keine Drogen. Mal ein Glas Alkohol ab und an, ja." und für Lehrer, die ihren Schülern erklären, dass Drogen böse sind, und dabei die Kaffeetasse in der linken Hand schwenken. Endlich bekommen wir eine sachliche Beurteilung zumindest ins Blickfeld der Gesellschaft - auch wenn diese sich in der Masse sträuben wird, ihren morgendlichen Kaffee als Abhängigkeit zu betrachten. Face facts: Ihr seid ohne Euren Kaffee morgens nicht Ihr selbst? Dann seid Ihr abhängig, akzeptiert das. Ist doch auch in Ordnung. Nur bitte nicht diese verlogene, geheuchelte Doppelmoral an den Tag legen.

Großbritannien hat ein Drogenproblem, so wie Deutschland auch. Diverse Substanzen unterliegen der Überwachung, in Deutschland reglementiert durch die Anlagen I-III des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG). Es gibt allerdings eine rechtliche Grauzone, speziell im Bereich sogenannter "Designerdrogen" (research chemicals / RCs). Hier werden bekannte Substanzen wie z.B. Etizolam (ein Beruhigungsmittel) chemisch leicht umstrukturiert - in diesem Fall ein Chlor-Atom aus dem Molekül entfernt - so dass das Wirkspektrum kaum verändert wird und man Deschloroetizolam erhält (ebenfalls ein Beruhigungsmittel).

Der Trick dabei: Etizolam untersteht in Deutschland der BtmG-Anlage III, ist also ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel, das ohne Verschreibung nicht gehandelt werden darf. Deschloroetizolam wiederum ist nicht im BtmG aufgeführt. Es darf ohne Rezept von Chemie-Laboren vertrieben werden - immer mit dem Hinweis, dass es natürlich nicht zur Anwendung am Menschen gedacht ist, sondern nur als Laborreagenz.

Konsumenten von Beruhigungsmitteln mögen sich also zunächst ärgern, dass das einst "freie" Etizolam dem BtmG unterstellt worden ist, freuen sich aber nun über die ähnliche Alternative Deschloroetizolam. Vermutlich wird diese irgendwann auch dem BtmG unterstellt werden, aber dann finden die hellen Köpfe neue Designerdrogen mit ähnlichen Effekten. Es ist für das Bundesamt für Arzneimittel ein Kampf gegen die Hydra, ein Kopf wird abgeschlagen, drei neue wachsen nach.

Dem hat nun die britische Regierung den in der Überschrift erwähnten PSA2016 entgegengesetzt. Er stellt Besitz und Handel sämtlicher psychoaktiven Substanzen unter Strafe. Ach nein, natürlich nicht: Koffein, Nikotin und Alkohol erhalten mal wieder Ausnahmeregelungen. Kritiker warnen: Man müsse eigentlich auch eine ganze Reihe Nahrungsmittel, die psychoaktive Substanzen in kleinen Mengen enthalten, verbieten - und prangern die Inkonsequenz bzw. aus Konsequenz resultierende Unmöglichkeit der Durchführung des PSA2016 an.

Ich halte die Aktion für einen Schritt in die falsche Richtung. Noch mehr Substanzen werden kriminalisiert. Sind sie legal nicht mehr verfügbar, wird die Drogenkriminalität steigen, denn man kann die Neugier und die Genusssucht des Menschen nicht einfach mit Gesetzen unterdrücken. Das versuchte man in der Prohibition und es verlief katastrophal. Das versuchte man in Deutschland mit dem BtmG, und versucht es immer noch, und wozu führt es? Zahlreiche Drogentote durch unreines Straßenheroin, zahlreiche Notfälle durch den Konsum nicht geprüfter Designerdrogen (s.Warnhinweis oben!).

Das kann es nicht sein. Ich hoffe, dass die deutsche Regierung sich daran kein Beispiel nimmt. Ich hoffe, dass Marianne Mortler, die derzeitige Drogenbeauftragte der Regierung, noch viel dazulernen kann. Immerhin wurde 2014 ein denkwürdiges Urteil vom EuGH gesprochen, nämlich dass der Konsum eben jener legalen psychoaktiven Substanzen nicht unter das Arzneimittelgesetz in Deutschland fällt und dass somit der Handel nicht kriminalisiert wird. Details finden sich in diesem Artikel.

Im folgenden Video findet man einige Einschätzungen, wie die (damalige) Zukunft aussehen könnte, wenn das Opioid Tilidin mit nur wenigen Ausnahmen dem BtmG unterstellt würde; mittlerweile ist der Rechtsschritt vollzogen. mMn sehen wir eine realistische Einschätzung (der Streetworker von GANGWAY) und eine idealistische (der Herr vom LKA Berlin):


Sonntag, 29. Mai 2016

Sahnige Mensa?


Sport ist gesund! So schallt es uns von allen Seiten entgegen. Da denke ich an meinen sehr sportlichen großen Bruder, der sich - gefühlt - jeden Knochen im Körper mindestens einmal gebrochen hat. Nein, wie gesund! Da denke ich daran, dass ich vielleicht mal einen Sport/Englischlehrer vertreten muss, weil er beim Volleyballspiel einen Unfall hatte. Außerordentlich gesund! Da denke ich an die Sportstunden in der Oberstufe zurück, in denen ich beim Sprinten meinen ersten Kreislaufzusammenbruch erleben durfte. Gesünder geht's kaum!

Doch nach diesem ironischen Einstieg zurück zum Ernst. Der Mensch befleißigt sich der lateinischen Sprache auf dem Weg in seinen Fitnesstempel, indem er konstatiert: Mens sana in corpore sano. Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper (Latinisten wissen, worauf das jetzt hinausläuft). Das ist also der Aufruf an alle trägen, unsportlichen Menschen wie mich, der mir sagen soll: Wenn Dein Körper fit ist, dann wohnt darin auch ein wacher Geist.

Hier wurde ein Zitat hinsichtlich seiner Bedeutung ein wenig gebogen. Da gab es doch mal in der Antike diesen Juvenal, der hat "mens sana in corpore sano" geschrieben. Wer es nachschauen möchte, findet das in der zehnten Satire, Vers dreihundertsechsundfünfzig - es ist immerhin korrekt zitiert. Aber da steht kein "ist". Da steht nicht "In einem gesunden Körper ist ein gesunder Geist". Wie haben wir das dann zu verstehen?

Die zehnte Satire beschäftigt sich mit allen möglichen Dingen, die man von den Göttern erbitten könnte. Reichtum, Schönheit und so weiter. All diese Wünsche werden demontiert im Tenor "Warum sollte man das alles wollen?" Es stellt sich daraufhin die Frage, ob man denn für überhaupt irgend etwas beten/bitten (orare) sollte. Und daraufhin folgt dieser Vers:  

orandum est ut sit mens sana in corpore sano

Man soll also darum bitten, dass in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohne. Um die Bedeutung des Verses mal ganz bildlich darzustellen - denn wir sprechen hier immerhin über eine Satire: Da sitzen zwei kluge Menschen in der Sonne und betrachten die Männer, die ihre Muskeln stählen. Sie haben Respekt vor dieser Leistung, doch dann stößt der Eine den Anderen an und raunt: "Naja, wollen wir mal hoffen, dass in diesem aufgepumpten Körper auch ein wacher Geist ist." Ausgehend davon, dass es eben nicht so ist. 10.000 Volt in den Armen, aber in der Birne brennt kein Licht.

So, das war klug geschissen, hält mich alles aber nicht davon ab, morgen ein neues Paar Sportschuhe zu kaufen.

Samstag, 28. Mai 2016

Identität - Die Geschichte von Timo und Julian (part 1)


Um meine Hirntätigkeit während der Arbeitslosigkeit auf etwas Sinnvolles zu lenken, habe ich mir überlegt, einen kleinen Fortsetzungsroman zu schreiben. Früher, in meiner Jugend, habe ich das sehr gern gemacht und dabei auch zwei Romane und mehrere kleinere Schriften zu Papier gebracht. Das Ziel ist dabei gar nicht, irgendwelche Leser damit anzusprechen oder gar einen Verlag zu finden. Für mich ist es wichtig, dass ich meine kreative Energie produktiv nutzen kann - wie ein Ventil. Ist so ganz nebenbei ein Tipp für alle Lehrkräfte mit hochbegabten Schülern: Gebt ihnen etwas, woran sie sich kreativ austoben können. Futter für's Gehirn. Wenn sie keinen Bock auf Euren Unterricht haben, nützt es nichts, sie trotzdem zur Teilnahme zu zwingen. Macht ihnen klar, dass die Inhalte zur Klassenarbeit sitzen müssen und dann stopft ihnen den Kopf mit Füllmaterial; Aufgaben zum Intelligenz"training" funktionieren hier wunderbar!

Nun also diese Geschichte, der ich jedes Mal einen Disclaimer voranschiebe, damit keiner denkt, sie habe irgendwas mit der Realität zu tun. Manch ein Mensch nimmt das alles hier womöglich zu ernst, das können wir ja nicht zulassen. Genug Numeruswechsel, also geht es hier los mit dem ersten Teil - der allerdings nur sehr, sehr kurz ist, um als Prolog quasi in die Thematik einzuführen. Und wehe, jemand glaubt, er könne dann morgen den zweiten Teil erwarten - lasst Euch überraschen, es wird auf jeden Fall weitergehen.



Disclaimer: Diese Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der Autor sicher nicht fähig.




Identität – die Geschichte von Timo und Julian

part 1

„Dreißig Jahre alt, und, fühlst du dich jetzt irgendwie anders?“
Sie fragt gern ganz direkt. Ich weiß das zu schätzen, denn ich habe mittlerweile die Nase voll von indirekten Fragen, Andeutungen und alledem. Warum machen manche Menschen es sich so schwer? Warum sprechen sie nicht klar und deutlich aus, was sie denken? Es gibt da etwas, das nennt sich Diplomatie, und sie gebietet uns, mit unserer Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit etwas sparsamer umzugehen. Die Wahrheit kann sehr verletzend sein. Ich bin ab und an völlig unfähig, diplomatisch zu agieren.
Ich muss wohl etwas zu lange in mein Glas gestarrt haben, denn sie wiederholt ihre Frage.
„Ich weiß nicht. Es wird immer so ein Wirbel um die Null gemacht, manche feiern ihre Geburtstage neunundzwanzig, neunundzwanzig-b, neunundzwanzig-c, zweiunddreißig. Als wäre es tatsächlich so etwas wie ein Todesurteil. Ich fühl’ mich jedenfalls nicht tot, im Gegenteil, ich bin puppenlustig und neugierig. Es kommt mir ein bisschen so vor, als ob jetzt eine abenteuerliche Phase meines Lebens beginnt.“
Ich ahne noch nicht, wie sehr das zutreffen sollte. Meine Tante lächelt mich an.
„Hast du denn schon bestimmte Abenteuer im Blick?“
„Ich wäre erstmal froh, wenn ich das Referendariat überstehe.“
„Na komm, so unglücklich siehst du auch wieder nicht aus.“
„Aber ich hasse es. So viele Menschen, denen ich es recht machen muss. Studienleiter eins, Studienleiter zwei, Mentoren eins und zwei, Schulleitung, Ausbildungsgruppe… ich vergess’ bald noch, wer ich eigentlich bin, so sehr verbiege ich mich in diesen Lehrproben. Vor dem Ref war es schöner, da habe ich einfach unterrichtet, wie es mir gefällt. Das hat allen Beteiligten gefallen. Und jetzt erkenne ich mich selbst in meinem Unterricht nicht mehr wieder.“
„Ein halbes Jahr noch, dann ist es geschafft. Und die schlimmste Phase hast du hinter dir. Und denk dran, dass du Menschen hast, die dich unterstützen, wo es nur geht.“
Wie könnte ich das vergessen. Es sind nicht viele Menschen, ich habe nicht viele Freunde, aber mit den wenigen verbindet mich eine sehr enge Beziehung. Und in diesem Sommer ist einer dazugekommen. Ich befinde mich momentan in einem Gefühlssturm, ausgelöst durch einen Tag im Park mit ihm. Mit Julian.

Freitag, 27. Mai 2016

Warum eigentlich "Dr Hilarius"?

Ich könnte mir vorstellen, dass bei dem Einen oder dem Anderen die Frage direkt mit diesem Bild beantwortet ist. Man sieht das Bild, sinniert über Dr Hilarius und denkt sich: "Stimmt, das alles passt perfekt zusammen." Könnte ich mir vorstellen, mache ich aber nicht. Bleiben wir realistisch.

Da könnte man nun zunächst über Orthografie diskutieren: Das englische Wort "hilarious" enthält schließlich noch ein o; es bedeutet soviel wie "witzig, lachhaft, zum Schreien komisch, total verrückt". Okay, manche dieser Attribute treffen vielleicht in ganz dünnen Ansätzen auf mich zu. Habe ich meine Blog-Persona also danach benannt?

Nein. Es handelt sich um eine Figur aus Thomas Pynchons Roman The Crying of Lot 49. Dr Hilarius ist der Seelenklempner der Protagonistin Oedipa Maas. Ich weiß noch, wie ich beim ersten Lesen schreiend vor Lachen auf dem Boden gelegen habe. Wie kann man einen Psychodoc nur "Dr Hilarius" nennen, das ist grandios! Ebenso grandios wie das gesamte Buch, ein postmoderner Roman über eine geheime Verschwörung, skurrill, lustig und anspruchsvoll. Mit jedem Lesen verstehe ich das Buch etwas mehr; Pynchon ist bekannt dafür, dass er extrem komplexe Welten entwirft, in denen er seine Figuren agieren lässt. Manche nennen Lot 49 ein Musterbeispiel des postmodernen Romans, ich schließe mich dem an. Pynchon selbst ist enttäuscht von dem Werk. "Als hätte ich alles verlernt!" oder so wird er sich geäußert haben. Lassen wir ihm sein Selbstmitleid.

Ich psychologisiere selbst gern herum. In meiner Wohnung steht eine Couch; wer sich drauflegt, sieht als Erstes einen Zettel, der an der Decke klebt: "100% ehrlich, offen, authentisch - sei DU!" Wer sich bei mir auf die Couch legt, geht in der Regel mit reichlich Gedankenfutter nach Hause. Und ich entwickle mich bei diesen Sitzungen (eigentlich eher Liegungen?) auch selbst weiter.

Flo hat oft bei mir auf der Couch gelegen. Wir haben über viele Dinge gesprochen, die ihn beschäftigt haben, wir haben auf dieser Couch Weltbilder umsortiert und ausgemalt. Manchmal vermisse ich das; generell scheint meine Wohnung eine entspannende Wirkung zu besitzen. Hier kann jeder so sein, wie er möchte, und offen über alles reden. Flo wusste das zu nutzen, und als Gegenleistung für seine Offenheit habe ich versucht, ihm neue Blickwinkel zu zeigen. Zur Not auch mit Stift und Papier - liegen jederzeit neben der Couch parat.

Ich sollte Eintritt nehmen!

Donnerstag, 26. Mai 2016

Schlimme Ecke!


Schlimme Ecke ist der Name eines Sketches von Dirk Bach aus den Neunzigern. Er spielt dabei einen arbeitslosen Sozialhilfeempfänger, der seine freie Zeit damit verbringt, am Fenster seiner Wohnung zu stehen und zu beobachten, welch' herrliche Unfälle unten an der Kreuzung passieren. Moment... fühle ich mich gerade ertappt?

Ich wohne an einer Hauptstraße, genauer an einer Kreuzung mit einigem Verkehr, und der Blick aus einem der Fenster, die die Kreuzung überblicken, ist in der Regel mit visuellem Plaisir verbunden. Meist lockt mich zuerst das Akustische: So hörte ich eben entnervtes Hupen aus der Seitenstraße und sehe, dass eine ältere Dame samt Benz aus der Diesterwegstraße kommt und den Verkehr blockiert, weil sie erst nach Überfahren der Haltelinie ins Grübeln kommt, ob sie nun nach links oder rechts auf die Hamburger Chaussee abbiegen soll. Also bleibt sie erstmal stehen, bis die Grünphase vorbei ist. Das Hupen beginnt, ich komme gelaufen wie ein Sensationsreporter, Chipstüte in der rechten Hand, Colaflasche in der linken, fast ein bisschen wie Werner beim Wochenmarktspiel im gleichnamigen Film.

Dabei gibt es eigentlich nicht mehr viel zu sehen an dieser schlimmen Ecke. Oder? Denn es ist ja alles blockiert. Aber gut so, das erlaubt einen klareren Blick von oben auf die Mienen und Gesten der Autofahrer: Die ältere Dame lächelt freundlich eine junge Mutter mit Kinderwagen an, die sie fast überfahren hätte. Die junge Mutter im Auto hinter ihr schlägt mit der Hand auf das Lenkrad, fährt sich entnervt durch die Haare und fährt rückwärts hinter die Haltelinie zurück. Davon bekommt die ältere Dame nichts mit; sie schaut fasziniert auf den vorbeifließenden Verkehr.

Und ich bin ein wenig genervt. Das war es schon? Dabei wollte ich gerade eine Pizza in den Ofen schieben, so als kleines ALGI-Frühstück. Naja, dann gehe ich halt zurück und ziehe mir endlich mal meine 7,99€-Jogginghose vom Discounter an, um das Feeling zu komplettieren. Plötzlich höre ich das gleiche Hupen wie vorhin noch zweimal, nein, drei Mal hintereinander aus der gleichen Richtung. Ich springe hocherfreut und voller Spannung zurück in Erwartung all der Verkehrskapriolen, die sich da unten gerade abspielen mögen. Leider bin ich zu spät: Die ältere Dame ist soeben nach rechts abgebogen und die junge Mutter im Auto lässt die Rauchschwaden aus ihrem Kopf durchs Fahrerfenster abziehen. Hoffentlich überfährt sie jetzt nicht aus Wut drei Katzenbabys!

Schlimme Ecke, sag' ich da nur. Über einen weiteren Bewohner der schlimmen Ecke habe ich schon einmal berichtet. Auch die Buslinie 52 tingelt regelmäßig mit ihrem hochgradig in die Jahre gekommenen Gepäck über den Asphalt. Und was passiert sonst noch so? Ich muss gar nicht lang' warten, dann geht die Show weiter:

Zwei Häuser und siebzehn Schritte weiter links befondet sich eine derzeit "aus leider all den falschen Gründen" in den Medien präsente Klinik - das sorgt für Sirenen, Notfälle und mit Wachs verstopfte Ohren, leider sind die Fahrer der Wagen nicht alle so hübsch wie der olle Odysseus und die "Crew" ringt ab und an mit dem Tode. Ich habe ja leider keinen Röntgenblick, so dass ich in die Wagen hineinschauen könnte, und somit bleibt das Einzige, was mich an diesen Momenten zynisch erheitert, die Unfähigkeit mancher Autofahrer, dem Notarzt Platz zu machen. Also warte ich auf anderweitige Sensationen.

Doch schlagartig wird mir bewusst, dass ein Unterhaltungskonzept wie die Schlimme Ecke nur dann funktionieren kann, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Also schlurfe ich mit Wegwerf-Jogginghose und Socken-in-Birkenstocks-Outfit runter zum Laden und kaufe mir das billigste, trashigste Fast Food, das ich finden kann, und wünsche der Kassiererin noch einen schönen Abend. Um 13.37 Uhr. Das ist, wie wenn man in der Apotheke am Dienstag "ein schönes Wochenende!" wünschen würde. Aber sowas macht ja keiner.

Bis zur nächsten Ausgabe der Schlimmen Ecke!

Mittwoch, 25. Mai 2016

Offen (mal wieder etwas rätselhafter)



Das ist ein interessantes Wort. Was bedeutet das? Ich lasse die Etymologie außen vor - wobei ich das ja eigentlich liebe: Manche Wörter haben eine hochspannende Entwicklungsgeschichte. Ich schreibe einfach - wieder ein bisschen im Sinne des Bewusstseinsstrom und des Gehirnsturm - Wendungen auf, die mir im Zusammenhang mit "offen" und "verschlossen" einfallen.

Eine offene Tür. Der Kiosk hat geöffnet. Tag der offenen Tür. Ergebnisoffen diskutieren. Offen sein für Anregungen. Ich schaue auf ein offenes Feld. Eine offene Wunde. Da ist noch eine Rechnung offen. Offene Frage? Offene Schule. 24/7 offen. Ein offener Posten. Ins offene Land fahren.

Wer offen ist, ist aufgeschlossen.

Eine verschlossene Tür. Er ist in sich verschlossen. Wir haben geschlossen. Dieses Geschäft wird geschlossen. Hast Du zugeschlossen? Der Nachtclub ist geschlossen. Freundschaft wird geschlossen. (warte mal, sieht das Wort für Euch mit jedem Hingucken auch immer seltsamer aus?) Sie schließen Frieden. Geschlossene Gesellschaft. Verschlossen reagieren.

Wer ein bisschen um die Ecke denkt, findet hier einen Appell an die Mitmenschen.

post scriptum: Und allein mittels letzteren Satzes bedarf es keines Um-die-Ecke-Denkens mehr!

Dienstag, 24. Mai 2016

Die Farsta-Methode

Dieser Artikel ist spannend zu schreiben und ich bin heilfroh, dass Blogspot den Entwurf alle paar Sekunden speich aufgehängt denn mein Rechner spackt zur Zeit sehr fleißig rum. Um das zu veranschaulichen, schreib ich hier einfach rein, wo die olle Trulla sich überall a aufgehängt Am besten, ich lasse das Gerät eingeschaltet und mache während der Abstürze irgendwas Anderes, mal sehen, wie lange es auf diese Weise dauert, den Beitrag zu schreiben. FirefoxNeustart Und ich weiß noch nichtmal, ob ich den Artikel überhaupt heute posten kann.

Mir wird dabei mal wieder bewusst, wie abhängig man sich doch von der Technik macht. Ich muss nachher unten bei einer Nachbarin einen Zettel an di WindowsNeustart Na toll, dabei hatte ich den Absatz fast fertig. Jedenfalls, einen Zettel drankleben. Irgendwie geht ja ohne Facebook gar nichts, ich rege mich grad ein wenig über mich aufgehängt Okay, ich muss das anders machen, so werde ich nie fertig, ich lass' erstmal diverse Systemprogramme durchlaufen, inklusive Defragmentierung. Wir lesen uns dann vermutlich morgen wieder. Ich frage mich, wann ich es sch aufgehängt das online zu posten.

-------------thematischer neustart-------------

Es gibt ja den abgesicherten Modus, in dem man die ganzen Systemchecks machen kann, zum Glück. Ich hab irgendwann aufgegeben, hier weiterzuschreiben. Momentan funzt die Technik und ich kann den Artikel also dem Thema der Farsta-Methode widmen.

Es handelt sich hierbei um eine Verfahrensweise bei Mobbing-Fällen in der Schule. Der Name stammt von einem Stockholmer Stadtteil, in dem die Methode entwickelt wurde. Ich bin mir sicher, dass sich darüber intensiv streiten lässt, deswegen stelle ich das hier mal für alle (angehenden) Pädagogen zur Disposition.

Es handelt sich hierbei um ein konfrontatives Interventionsprogramm: Nachdem der vorliegende Fall von einem Team (vorgeschlagen werden zwei bis fünf in Gesprächsführung ausgebildete Personen) gründlich recherchiert worden ist (Wer? Wo? Was? Wann? Wie lange?), wird zunächst der folgende Ablauf gründlich organisiert, damit es zu keinen Wankelmütigkeiten seitens der Pädagogen im späteren Gespräch kommen kann. Jenes Gespräch, die Befragung des Täters (oder der Täter, in diesem Fall getrennt voneinander), steht im Mittelpunkt der Maßnahme, deren zu vermittelnde Botschaft lautet: Mobbing wird an Schulen nicht geduldet. Grenzen und Regeln müssen gesetzt, eingehalten und deren Nichteinhaltung mit Konsequenzen geahndet werden.

Der Täter wird ohne Vorankündigung aus dem Unterricht geholt und mit seinen Taten konfrontiert, dazu wird ein Gesprächsverlauf vorgeschlagen:

Abschließend wird eine Art Vertrag geschlossen mit dem Ziel, eine Wiederholung des Verhaltens nicht zuzulassen.

Ich finde bemerkenswert, dass für dieses Gespräch zwei Zeitstunden empfohlen werden.

Meine Meinung: Ich habe nun zwei Jahre an einem GemS-Teil gearbeitet, an dem also Haupt- und Realschüler und nur sehr wenige Gymnasiasten (im einstelligen Bereich pro Jahrgang) unterrichtet werden. Weiterhin wage ich es nach wie vor, jene Schule als einen pädagogischen Brennpunkt zu bezeichnen, da viele Kinder aus jugendpädagogischen Einrichtungen (a.k.a. Kinderheimen) sowie Internatskinder dort unterkommen. Sie haben nicht per se schwierige Hintergründe, aber die Quote ist sehr hoch. Es hat Gründe, warum sie im Heim oder im Internat sind.

Dementsprechend bin ich mit vielen disziplinarischen Zwischenfällen konfrontiert worden, auch mit einigen Mobbing-Vorfällen. Darin eingebunden habe ich mich überzeugen lassen von der Haltung unserer Sozialpädagogin. Sie ist sich sicher, dass wir (als Pädagogen) das Verhalten der Täter nicht ändern können, schon gar nicht die Täter selbst. Ein erster Schritt liegt also in der Stärkung der Opfer (ähnlich dem sogenannten No-Blame-Approach), um für die Täter weniger interessant zu erscheinen.

Das bedeutet nicht, dass man nicht mit den Tätern spricht. Man kann sie mit den Geschehnissen konfrontieren - allerdings nicht in der "Du hast..."-Form (und auch noch alles belegt mit einem dicken Unterlagen-Ordner, danke, ich weiß, wie erniedrigend das sein kann), sondern in der "Sarah hat mir einen Fall geschildert, mich interessiert Deine Version." - und auch nur, wenn das vorher mit Sarah gründlich besprochen wurde. Ziel ist nicht die Kriminalisierung der Täter, sondern das Finden von Ursachen, denn jedes Verhalten hat eine Ursache und meine humanistische Haltung sagt mir nach wie vor, dass jeder Mensch eigentlich gut ist.

Ich bin von der Farsta-Methode nicht überzeugt. Wenn ich das Gesprächsblatt (s.Bild) sehe, wirkt das Gespräch wie ein Polizeiverhör. Die Anberaumung auf ein bis zwei Zeitstunden finde ich erdrückend für einen Schüler. Die Formulierung "Wir werden Dich ... lang beobachten" tut mir fast schon weh. Die Konfrontation lässt explizit keine "Rechtfertigungsstrategie" zu. Das kann ich zwar verstehen, aber nicht gutheißen, da hier jeder Versuch, ein Verhalten zu erklären, im Keim erstickt wird. Es geht ausschließlich um harm reduction, nicht Ursachenbekämpfung, und ich wage zu behaupten, dass der Täter nach der Beobachtungsphase und dem abschließenden Gespräch leicht rückfällig werden kann, da sich an seinen Lebensverhältnissen nichts geändert hat.

Ich lasse mich gern eines Besseren belehren und bin auf Eure Meinungen gespannt. Hängt es vielleicht auch vom lokalen sozialen Gefüge ab, welche Methode zur Anwendung kommen sollte? Sozialer Brennpunkt gegenüber gehobenerem Viertel? Fehlt mir einfach die Erfahrung, um das vernünftig beurteilen zu können?

Internetquellen:
Die Farsta-Methode an der Hochschule von Darmstadt...
...und ein Kommentar der Sensationspresse.

post scriptum: Fakt ist, dass mein Notebook langsam den Geist aufgibt. Passend dazu ist heute der Status des Akkus um eine Stufe gesunken. Ich brauche ein neues Notebook. Ich brauche Geld. Ich brauche einen Job. Britta Ernst, hilf' mir!

Samstag, 21. Mai 2016

Stupidity galore!

Disclaimer: So, ich muss mich heute aufregen über Dummheit. Ich erwarte von keinem Menschen, dass er meine Intelligenz besitzt, es gibt schließlich unzählige Menschen, denen ich nicht das Wasser reichen kann, von denen ich aber nichtsdestoweniger akzeptiert werden möchte. Intelligenz ist kein Wertungskriterium, das ich an einen Menschen anlege. Wenn jemand merkt, dass ich das trotzdem mache, weist mich bitte darauf hin, denn das kann ich kaum ertragen.

Dieser kleine Disclaimer musste sein, denn sonst würde dieser Artikel gelesen werden können als "Dumme Menschen sind scheiße" - und das wäre doch etwas zu einfach gedacht und würde den Denkenden selbst als dumm entlarven. Ich habe heute in einem Artikel einen Tweet von Donald Trump (bzw. Drumpf) gesehen:

Trump sagt genau das, was Massen von Wählern hören wollen. Sie fressen ihm aus der Hand, weil er ihnen Aussagen vorlegt, über die sie nicht nachdenken müssen. Sie bekommen nicht den geringsten Anreiz, das zu hinterfragen. Es klingt einfach, als müsste man nur sein Kreuz beim Mann mit den Pommeshaaren und dem Brathähnchen-TENG setzen und die Welt wäre friedlich.

Das Problem sehe ich darin, dass es Dummheit ist, die die Menschen dazu bewegt, dann ihre Kreuze zu setzen. Dummheit führt zu Alleinherrschaft, weil die Menschen, die ihr Gehirn nicht anstrengen wollen, froh sind, wenn jemand ihnen das Denken abnimmt. Und wenn es dann halt ein Diktator ist, umso besser! Noch weniger selbst denken! Wie sagt man so schön? "Mit leerem Kopf nickt es sich leichter." Und wie Herr Kries gern sagte: "Selber denken macht fett."

Und dann, wenn es erstmal so weit ist, wundern sie sich, warum keines der unrealistischen Wahlversprechen umsetzbar ist. Sie wundern sich, warum sie auf einmal nicht mehr selbst entscheiden dürfen. Sie staunen, dass es noch mehr Tote durch Waffengewalt in den USA gibt. Sie verstehen nicht, warum die Steuern erhöht werden, um eine Mauer vor Mexiko zu bauen. Sie sehen nicht ein, dass der Präsident auf Kosten der Menschen, die ihn gewählt haben, die Vielverdiener bevorzugt. Talk about biting the hand that feeds.

Dann braucht es erst recht wieder intelligente Menschen, die in aller Ruhe erklären, was da schief gelaufen ist. Dann braucht es Intelligenz, gepaart mit Besonnenheit, um die Trümmer der Demokratie wieder aufzurichten. Dann braucht es viel Zeit, damit Intelligenz eine stabile Regierung wiederaufbauen kann. Damit irgendwann, wenn alles wieder verhältnismäßig friedlich und gut läuft, die Dummheit so viel gedankliche Freizeit hat, dass sie sich wieder aufregen kann. Über Minarette, über angeblichen Identitätsverlust, über sexuelle Vielfalt und die deutsche Rechtschreibung. Irgendwas ist immer.

Tucholsky hat gewarnt, man solle niemals die Macht dummer Menschen unterschätzen, die einer Meinung sind. Immer wieder wird uns die Bedeutung jener Worte dieser Tage vor Augen geführt. Und damit will ich gar nicht sagen, dass bestimmte Menschen z.B. der AfD dumm sind, ganz im Gegenteil: Sie sind intelligent und eloquent und wissen, wie man einfache Menschen manipulieren kann. Dass die bildungsnahe Bevölkerungsschicht ihre Sprechweise, ihr Gedankengut sofort durchschaut und anprangert, kommt ihnen dabei noch zugute, weil sie sich (da geht Kommunikationstheoretikern der Arsch auf Grundeis) dann selbst als Opfer der angeblichen Lügenpresse stilisieren können und noch mehr Zustimmung erhalten.

Deswegen muss ich nochmal erwähnen, dass es mich erlesenst ankotzt, wenn Menschen die Dummheit anderer Menschen ausnutzen. Es gehört sich nicht, Schwächen von Menschen auszunutzen, die sie nicht zu verantworten haben. Man sucht sich nicht aus, ob man dumm oder intelligent geboren wird, oder mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung. Und beim Lesen dieses Satzes überlege ich grad peinlich berührt, ob ich so etwas tue, manipulatives Wesen, das ich nun mal bin. Vielleicht ist auch die Zielsetzung dahinter in diese Überlegungen mit einzubeziehen.

Ich habe hier im Blog mal etwas über Borniertheit geschrieben, bis man mich aus Borniertheit gebeten hat, jenen Beitrag zu entfernen. Daraus (und aus anderen, relativ aktuellen Eindrücken aus der realen Welt da draußen) leite ich ab, dass auch intelligente Menschen es sich immer mal wieder einfach machen. Dinge nicht hinterfragen, nicht die andere Seite anhören, sondern erst zum Urteil gelangen. Weil es einfacher ist. Weil sie sich dann wieder auf für sie interessantere Dinge stürzen können.

Jemand möge mal bitte Hirn vom Himmel regnen lassen, und als Aperitif Aufgeschlossenheit und Neugier. Abgerundet mit einer Nuance Geduld, aber schnell!

post scriptum: Ich esse wieder Fertiggerichte, schlechtes Zeichen. Ich brauche wieder Arbeit.

Freitag, 20. Mai 2016

Zwei Freundinnen

Ich habe zwei beste Freundinnen.

Die Eine bringt mich dazu, albern zu sein. Sie spornt mich an in meinen Ideen, sie hilft mir dabei, sie umzusetzen. Sie hat die Fähigkeit, interpersonale Schwingungen zu spüren. Sie hat einen gedanklichen Webstuhl, an dem sie die Fäden zusammenspinnt, die ihr die Welt erklären. Sie hat Verständnis für meine Schwächen, auch wenn es zeitweise Überwindung gekostet hat. Sie sagt, es war quasi Liebe auf den ersten Blick. Dank ihr hat die Bushaltestelle unten vor der Tür eine ganz neue Bedeutung bekommen. Sie weiß, was es heißt, eine "Gaby" zu sein. Wenn sie mit einer Freundin im Duett singt, bekomme ich Gänsehaut. Sie kann wirrstes Kauderwelsch reden und ich verstehe sie trotzdem. Sie braucht keine Satzglieder. Bei ihr habe ich das Gefühl, dass ich ganz der sein darf, der ich bin. Nur mit ihr kann ich eine Marzipantorte zermatschen, ohne dass es mir peinlich ist. Sie ist meine phonetische Wundertüte.

Die Eine erdet mich, wenn ich mal wieder dieses irre Glitzern in den Augen habe und meine Höhenflüge etwas zu weit von der Realität entfernt stattfinden. Sie ist immer für mich da und ich für sie. Sie ist eine unglaublich starke Frau, die sich im Leben auskennt. Sie hat immer einen Plan parat und verliert nie den Überblick über die Situation. Sie hat mich im Studium gerettet, mehr als nur einmal. Sie war (zusammen mit Tini) die eigentliche Kraft der Fachschaft. Sie bügelt viele meiner Fehler wieder aus. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich Achterbahn-Mut bekommen habe. Ich beneide ihre Schüler darum, dass sie so eine tolle Lehrerin haben. Sie gibt mir einen Sinn für das Maß der Dinge, sie schildert mir, was in dieser Welt normal ist. Dank ihr weiß ich, wann ich bestimmte Grenzen überschritten habe. Auch wenn ich noch so viel Mist gebaut habe, hilft sie mir, wieder auf die Spur zu kommen. Sie kann ganz toll nähen und geht mit mir zur Lost Souls.

Mit der Einen lebe ich symmetrische Kommunikation, mit der Einen kommuniziere ich komplementär (Watzlawick anyone?). Was kann ich mir mehr wünschen?

Und ich liebe sie beide.

Mittwoch, 18. Mai 2016

Wenn eine Absage erst der Anfang ist...

Manchmal nehme ich mir Dinge im Leben vor, ich setze mir Ziele, die ich erreichen will. Das kann etwas ganz Banales sein, wie z.B. "einmal genau diesen Ausblick genießen":

Das ist zwar banal, aber nicht leicht zu schaffen. Entweder, ich sage mir "Ach komm, das ist viel zu weit weg, was für ein Stress, Du musst da hin kommen, und was das kostet! und bestimmt viel zu viel los da, und eine Unterkunft findst Du auch nicht, und mit den Busplänen in den USA kenne ich mich erst recht nicht aus". Das sind alles Gedanken, die ich hatte und die mich davon abhalten wollten, einmal in die USA zu reisen, um den Freizeitpark Kings Island zu besuchen.

Oder ich sage mir "Ich weiß noch nicht, wie, aber ich mache das". Eingedenk aller Hindernisse stecke ich mir im Leben immer mal wieder Ziele, die sehr hoch sind und eigentlich den Aufwand nicht wert. Der Punkt ist für mich wichtig: Eine Achterbahn kann ich auch einfacher haben, dafür muss ich nicht in die USA reisen. Aber ich will genau da hin. Ich möchte zu genau dieser Achterbahn. Warum? Weil ich es mir als Ziel gesetzt habe. Das ist eine Zielsetzung in meinem Leben.

Ich glaube, diese Zielsetzungen haben wir alle. Sie sind sehr unterschiedlich, extrem persönlich und auch individuell unterschiedlich leicht oder schwer zu erreichen. Und ich möchte hier aufrufen zum Mut, Dinge durchzuziehen. Denn man kann sehr viele Ziele erreichen, auch wenn sie "zu" hoch gesteckt scheinen. Irgendwie geht es! Aber dazu verlangt es persönlichen Einsatzes.

Und je höher die Ziele sich befinden, desto umständlicher wird der Weg und desto mehr Hindernisse und Absagen werden eintrudeln. Aber es ist möglich. Dazu gehört Durchhaltevermögen, Rückgrat und der Wille zum eigenen Ziel. Dazu ein Dickschädel, der Kompromisse nur ungern zulässt. Das Ziel ist da oben, nicht irgendwo auf dem Weg dahin. Und ich gebe mich auch nicht zufrieden, wenn ich irgendwo auf dem Weg dahin strande.

Ja, da brodelt was in meinem Kopf, nein, ich werde nicht konkret. Es beginnt mit einer Anfrage, auf die eine Absage folgen wird, ganz sicher. Und dann geht es erst richtig los, dann werfe ich in die Waagschale, was ich zu bieten habe, denn ich habe gute Argumente. Es werden noch weitere Absagen kommen, es wird die Menschen irgendwann richtig nerven. Aber ich lasse mich davon nicht abbringen. Das ist mein hochgestecktes Ziel, das will ich erreichen und das werde ich erreichen. Und ich muss lernen, mit Rückschlägen umzugehen, denn sie sind abolut notwendig - an Erfolgen entwickele ich mich nicht weiter.

Es wäre ganz einfach, wäre da nicht die Ungeduld. Große Dinge brauchen Zeit, irgendwann habe ich das auch verstanden. Aber wir haben ja Zeit, und wir wissen (hoffentlich) um ihren Wert. Ich habe Ziele gesteckt, ich habe Anfänge gemacht, ich warte auf die ersten Absagen. Denn sie sind erst der Anfang. Viele Menschen haben hochgesteckte Ziele ohne den Kampfgeist, diese Ziele auch zu erreichen. Sie geben nach der Absage auf, gut für mich, der ich hartnäckig bleibe und in die zweite Runde gehe, mit wesentlich weniger Mitstreitern. Irgendwann wird das schon am richtigen Ort ankommen, dass es da einen Menschen gibt, der seine Perspektiven immer im Blick hat und klar darauf zusteuert, und dann erreiche ich mein Ziel, weil man dann erkannt hat, dass ich mich von der Menge unterscheide, und es honoriert - und mir wird das Gefühl gegeben, dass man in dieser Welt tatsächlich etwas erreichen kann.

Was für eine Schwafelei! Soll eigentlich nur ein Hauch einer motivational speech sein, keine Ahnung, Leute da draußen, setzt Euch konkrete Ziele! Habt Eure Ziele im Blick! Arbeitet auf diese Ziele hin! Und steht zu Euren Überzeugungen!

Dienstag, 17. Mai 2016

Donald Drumpf

In genau einem halben Jahr, weniger neun Tage, findet die Präsidentschaftswahl der Vereinigten Staaten von Amerika statt. Klingt ein bisschen wie diese Burger-Wahlkampagnen von McD, quelle surprise. Und wir alle haben mittlerweile mitbekommen, dass es eine interessante Konfrontation zwischen Hillary Clinton und Donald Trump wird.

Und wer "Donald Trump" heißt, der darf sich auch mal siegessicher geben, selbstbewusst und arrogant. Schließlich bedeutet das englische Wort trump soviel wie "Trumpf". Wir kennen die englische trump card als "Ass im Ärmel". Solcher Dinge ist man sich natürlich bewusst, wenn man "Donald Trump" heißt. Wenn.

Denn ich habe gelernt, dass die Familie ursprünglich gar nicht "Trump" hieß, sondern "Drumpf".

DRUMPF.

Das muss man erstmal wirken lassen. "Drumpf" klingt nicht so überlegen und siegessicher, nicht so cool, nicht so stylish. "Drumpf" klingt wie fünf Kilo Mürbeteig, die auf ein Wellblech-Vordach klatschen (ist echt so, probiert das mal aus!): "Achtung, Teig fääääääääälllllt!" - DRUMPF!

Und ein bisschen hat so ein Mürbeteig ja auch Ähnlichkeit mit dem republikanischen Präsentschaftskandidaten, für den sich die Republikaner schämen - zumindest mit seiner Haarfarbe. Doch, moment, werde ich gerade etwa ähnlich persönlich beleidigend wie der Drumpfteig? Ich sollte besser auf die sachliche Ebene zurückkommen. Reden wir über Geld.

Drumpf brüstet sich mit seinen Milliarden (derer er zehn sein Eigen zu nennen wagt), dem Erfolg seines Geschäftsimperiums (im Rahmen dessen insgesamt vier Unternehmen Konkurs anmelden mussten) und seiner Beliebtheit im Business - whatever.

Tatsache ist: Es wird jetzt erst recht interessant. Nun, da es feststeht, dass Drumpf Präsidentschaftskandidat ist, wird er sehr genau unter die Lupe genommen werden - auch von den Republikanern, wie zu erwarten ist. Und, wie ich gelesen habe, gehört es wohl dazu, die eigenen Steuererklärungen öffentlich zu machen, um dem Bürger zu zeigen, dass man nichts zu verbergen hat. Clinton hat die Steuererklärungen der letzten dreißig Jahre publik gemacht, die der letzten acht Jahre sind auf ihrer Homepage für jedermann einsehbar.

Ein Drumpf tut das nicht. Ein Drumpf sagt: "Ich würde euch ja liebend gern meine Steuererklärungen vorlegen, aber ich stehe unter besonderer Beobachtung der amerikanischen Steuerbehörde und kann daher erst nach der aktuellen Prüfung die Erklärung öffentlich machen." - Also, das sagt er natürlich nicht. Ich bezweifle, dass der Drumpf Deutsch spricht.

Nun ist das ein interessantes Statement, denn in der Tat steht Drumpf jedes Jahr im Zentrum der Steuerprüfungen. Allerdings hat die Steuerbehörde bereits mit Nachdruck erklärt, dass Drumpf seine aktuelle Steuererklärung öffentlich machen könne - es gebe keinen Zwang, damit bis zum Abschluss der Prüfung zu warten.

Warum also spielt der Drumpf nicht mit offenen Karten? Darüber kann man nur spekulieren (und aus dem Vordach-Mürbeteig Spekulatius backen) - könnte es etwa sein, dass Drumpf gar nicht so milliardenschwer ist? Vielleicht wirklich nur so fünf Kilo? Könnte es sein, dass seine Immobilienunternehmen tief in den roten Zahlen stehen? Seine gesamte Glaubwürdigkeit, die sowieso einen zweifelhaften Ruf genießt, könnte endgültig den Bach runter gehen, es wäre der sichere Sieg für Hillary.

Wäre das so schlimm?

Montag, 16. Mai 2016

Voodoo

Seit dem Studium und der Auseinandersetzung mit den amerikanischen Südstaaten komme ich immer wieder in Kontakt mit Filmen, Videospielen, Literatur zum Thema Voodoo. Hochinteressant, diese andere Religion zu erleben, ihre Symbolik, ihren Glauben. Ein Glaube, der - meiner Meinung nach - sehr viel Respekt vor der Natur aufweist. Spiele wie die Last Half of Darkness-Reihe, Romane von Poppy Z Brite und Filme wie Die Schlange im Regenbogen (The Serpent and the Rainbow, 1988) bringen das Lebensgefühl etwas näher. Ich mag es, mich von fremdartiger Musik entführen zu lassen, Zaubersprüchen zuzuhören, Schamanen zu erleben, magische Artefakte kennen zu lernen. Letztgenannter Film stellt meinen jüngsten Ausflug in diese Welt dar; gestern begonnen und heute beendet.

Ein noch sehr junger Bill Pullman führt uns unter der Regie von Wes Craven nach Haiti, wo eine Medizin aufgetaucht sein soll, die Menschen von den Toten zurückholen kann; inwiefern diese Menschen dann allerdings als "lebendig" bezeichnet werden können, bleibt angesichts ihres zombieähnlichen Zustands fragwürdig. Die Thematik wird noch vor den ersten Bildern eingeführt mittels eines Bildschirmtextes, der uns aufklärt, dass im Voodoo die Schlange die Erde symbolisiert und der Regenbogen den Himmel - und dass es Menschen gibt, die nach ihrem Tod als Verfluchte dazwischen zu wandeln verdammt sind.

Pullmans Reise beginnt ohne viel Exposition bei einem Medizinmann, der ihm eine Substanz verabreicht, mit deren Hilfe er Einsichten erlangen soll - psychedelisch, ohne Frage. Der Zuschauer wird direkt mit der surrealen Art des Films vertraut gemacht. Gleichzeitig wirkt der Trip allerdings nicht besonders inszeniert, nicht aufgesetzt, man erhält nicht den Eindruck, als würde ein Filmset bereist.

Dieser Eindruck zieht sich durch den gesamten Film. Es wurde vor Ort gefilmt mit teils amerikanischer, teils haitianischer Besetzung. Die gezeigten Voodoo-Zeremonien inklusive Priester und Tänzer sind authentisch, sicherlich der non-fiktionalen Buchvorlage von Wade Davis geschuldet. Dabei wirken diese Szenen allerdings nicht wie im Telekolleg, nicht wie in der Sendung mit der Maus. Ich habe mich gefühlt, als könne ich wirklich etwas lernen, indem ich einfach an diesen teils uralten Ritualen teilhabe. Vielleicht habe ich das.

Nach und nach erforscht Pullman auf der Suche nach dieser (tatsächlich existierenden) Substanz den Voodoo, dringt immer tiefer in die haitianische Gesellschaft vor und wird verwickelt in die Belange des Diktators Duvalier, dem Pullmans Nachforschungen ein Dorn im Auge sind. Der Polizist, den er auf ihn ansetzt, ist selbst Voodoo-Magier und somit scheint alles darauf hinauszulaufen, als sei der finale Showdown kein Kampf des Fleisches, sondern des Geistes.

Ich habe den Film sehr genossen, die authentischen Szenen des Voodoo sind eindrucksvoll und Wes Craven zeigt wieder einmal, dass er einer der Meister des filmischen Horror ist.


Freitag, 13. Mai 2016

Anecdotal Evidence

It was a warm summer's night. There was a gathering of students and their teachers on the meadow below Leibnizstraße. They did this every year: It was an informal celebration of Latin philologists. They had a barbecue with drinks and a buffet, everyone contributed to an evening of leisure.

I always thought my teacher was quite cute. Famous with the girls and a great fellow... he had that beautiful smile, a bit like a little boy's face, and he wore black. Black pants and a black shirt, black leather shoes. He was talking to the girl everyone thought to be his girlfriend, they met a few months ago - a beautiful couple.

Of course I envied her. I've had classes with my teacher for about a year now, and it was always a little difficult to follow the lessons since I started daydreaming the very moment the Lektürekurs Tacitus, Annalen began. Could today be the chance to make that dream come true?

Most people had already gone home, it was just me, my fellow students of the Fachschaft Klassische Philologie - some a little drunk, or a little too drunk. And teacher was there, too. His girlfriend had left some hours ago - some kind of appointment? Whatever, she was gone and I was still there. So I asked my teacher to help me clean up the mess we'd created.

The others took care of the rubbish, we decided to take the computer we used as a jukebox back to the students' representatives' room. I had the keys - of course I had, I was the head of that group. So I asked my teacher to carry the equipment while I held the cables. From an angle it looked as if I was taking my teacher for a walk - which he noticed immediately. We laughed and smiled at each other, taking the elevator to the top floor. "Hm, so you like bondage?" he asked, drunk, smiling. "I've got a dog collar at home, but that is just for style." "I see..."

We went down the dark corridor, no need to turn on the lights. We shoved the equipment into the room and then we started joking around...

"Hey, this is quite the atmosphere, isn't it?"
"Yeah, nobody's here, they're all down on the meadow."
"It's so quiet... I like that."
"Me too."
"I can't even hear the music anymore, and it's so dark... so... well, we could..."
"Yeah?"
"Nah, just thinking."
"Oh, okay."
"We should go back."

I took the keys out of my pocket and locked the room. When I turned around, suddenly he was right in front of me. I stared into his eyes, smiling. He winked at me and I took the chance. "Wanna kiss?" His smile became even broader as he said "I thought you'd never ask."

So I reached out for his neck, holding his head, going in for the kiss. Closing my eyes, feeling his lips on mine, tongues carefully probing, touching, caressing. Two men without any cares in this world, enjoying each other's company, enjoying the moment. The kiss lasted for what felt like an eternity, the world around me became blurred, it was just the two of us, holding us in each other's arms, enjoying that intimate moment.

But it couldn't last forever. I felt I had to break the kiss, so I opened my eyes, moved my head back a little and whispered "I think we should go back to the others".

"Yeah", he said, "we should do that."

Creating an everlasting memory.

Mittwoch, 11. Mai 2016

Einwirkzeit

Ich werde im Leben immer wieder mit einer Situation konfrontiert. Diese Situation fällt in einem unterschiedlichen Rahmen aus, mal auf Jahre angelegt, mal innerhalb weniger Wochen. Aber es passiert immer wieder, history repeats itself, der Hochbegabte erkennt bestimmte Muster und denkt sich "Nicht schon wieder!".

Wenn Dr Hilarius in jemandes Leben ernsthaft eintritt, dann gleicht das einer nuklearen Katastrophe (yay, typische Übertreibung) - und auch noch falsch! Nuklear würde bedeuten, dass das Gebiet auf Jahre hin verseucht bleibt, mit extrem nachhaltigen Negativwirkungen. Dr Hilarius schlägt also eher ein wie eine Bombe: Scheiben splittern, Balken krachen, ganze Etagen stürzen ein und ja, es ist auch schon mal ein Haus zu Bruch gegangen.

Bildlich gesprochen. Ich bewege Menschenbilder. Oder meine ich gerade Weltbilder? Wohl eher das. Manchmal rüttele ich an ihnen, manchmal breche ich sie - je nach Ausgangslage! - komplett durch. Wer mein Leben beiläufig streift, ist eher verwirrt und unsicher und weiß am Ende nicht, wer dieser Typ eigentlich war. "Also Deinen Unterricht hätte ich ja gern mal gesehen." - "Das hätte ich gar nicht von Dir erwartet."

Wer sich aber auf mich einlässt, hat einen harten Ritt vor sich. Per aspera ad astra. Ich zeige Unzulänglichkeiten auf - bei mir selbst, denn ich baue oft Mist, aber auch bei Anderen, denn der Mensch handelt gern mal unsachlich. Emotional. Unsinnig. Und manchmal fällt mir das leider auf (und das wiederum bemerke ich nicht!) und ich spreche es dann aus mit dem Ziel eine Situation zu verbessern. Kritikfähigkeit kombiniert mit Rückgrat, Arsch in der Hose, die Konsequenzen des eigenen Handelns zu tragen, es scheint all dieser Dinge zu bedürfen, um die oben angesprochene nicht-nukleare Katastrophe zu überleben.

Denn sie ist nicht-nuklear. Aus der Arbeit mit einem Hochbegabten kann man einen Erkenntnisgewinn ziehen, ein eigenes Entwicklungspotential entdecken. Man wächst an ihm durch die Spiegelung des Selbst in ihm. (Psychoanalytiker, frohlocket!) Er ist kein standardisierter Impulsgeber, er kann neue Sichtweisen aufzeigen.

Und das tut nun mal leider weh. Es kann pieksen. Aber dann, nach der Einwirkzeit, wirkt das Medikament - hä? Warte mal, wir waren bei der Atombomben-Metapher und ich springe in die Medizin. Hochbegabten-Gedankensprünge. Tut mir Leid, Reset. Zur allgemeinen Erheiterung lasse ich diesen Text aber einfach mal stehen - was glaubt Ihr, wie viele solcher Momente ich täglich erlebe?

So, jetzt sind wir eh' alle aus dem roten Faden raus. Ariadne, geh' heulen!

Also: Mit meinem Handeln möchte ich niemanden verletzen. Es fällt mir nur manchmal *echt* schwer, mein eigenes Handeln zu erklären.

Und das ist mein Ernst.

Dienstag, 10. Mai 2016

Lack of Queues

Sag mal, Dr Hilarius, bist Du tot? Mal wieder zwei Tage nichts geschrieben - ist eigentlich völlig undramatisch, signalisiert mir aber, dass es mit meiner Selbstdisziplin momentan etwas hakelt, da gibt's noch Entwicklungspotential.

Es geht mal wieder um Freizeitparks. Das interessiert Euch nicht? Like I care! Das Wetter schreit geradezu danach, sich in das erfrischende Wildwasser zu stürzen und danach mit hundertsiebenundzwanzig Sachen trocken pusten zu lassen. Vielleicht morgen, mal schauen. Heute jedenfalls habe ich in einer alten Ausgabe der Amusement Today gestöbert. Sie veranstalten jährlich die Golden Ticket Awards; das ist für die Freizeitparkszene in etwa so wie die Academy Awards ("Oscars") für Hollywood. Ich verfolge die Preisverleihung immer recht gespannt, mich interessiert, welchen Park die Amerikaner zum Beispiel für den Best Park halten. Das war vierzehn Jahre lang Cedar Point in den USA, ungeschlagen, bis der Europa Park quer über den Teich hinüber bekannt genug geworden ist und 2014 zum besten Freizeitpark weltweit gekürt wurde. Diesen Titel trägt er noch immer, und das zu Recht.

However, mir ist beim Lesen der Schlagzeilen eine Formulierung aufgefallen, ein Qualitätsmerkmal für Freizeitparks: "lack of queues" (/kju:z/) - und ich war verwirrt. Warum ist es ein Zeichen der Qualität eines Freizeitparks, wenn da keine Anstellschlangen sind? So sieht eine klassische queue line aus:

Das ist der Wartebereich der Achterbahn GateKeeper in Cedar Point. Diese Warteschlangen sind doch wunderbar: Hocheffizient können hier viele Menschen auf engem Raum kontrolliert Richtung Bahnhof geleitet werden. Klasse, oder?

Nein.

Es ist effizient, ganz ohne Frage. Und in einem Zeitalter von Acceleration, Neuroenhancement etc., in dem es alles immer schneller laufen muss, mag das angemessen sein, aber schön ist das nicht. Langeweile kommt auf in diesen Metalllabyrinthen. Na, wie oft müssen wir noch hin und her gehen? Nur noch vier mal, dann sind wir im nächsten Umleitungsblock. Große Freizeitparkketten wie Cedar Fair oder Six Flags benutzen diese Methode häufig, auch weil sie kostengünstig ist. Die Alternative ist teurer: Die Warteschlange in die Gesamtthematisierung integrieren.

Keine Metall-Leitlinien, sondern direkt auf das Burggelände, in das Horror-Labor, in die Diamantenmine, in die Kathedrale. Ich bin ein großer Fan umfangreicher Thematisierungen, die den ganzen technischen Schnickschnack verstecken. Dr Hilarius, bring' doch mal ein Beispiel, damit man sich das vorstellen kann! Nehmen wir den Fluch von Novgorod im Hansa-Park. Sollte ich morgen hinfahren, könnte ich ja mal ein Foto nachliefern. Am Wegesrand steht ein Stein mit der Aufschrift "Fluch von Novgorod", man geht durch ein Tor und wandert einen verwitterten Pfad entlang, vorbei an Vogelscheuchen und Krähen, bis man schließlich im Weliky Novgorod landet und weiter durch die Gewölbe geht. Alles hübsch anzuschauen, kein langweiliges hin und her, hinter jeder Ecke erwartet den Besucher ein neuer Anblick.

So wird es auch beim Schwur des Kärnan sein. Zum Glück zieht langsam auch der Heide-Park nach und bastelt spannende Warteschlangen. Das gehört zum Erlebnis dazu, die Sinne sollen schließlich verwöhnt werden. Die Wartezeit soll so angenehm wie möglich gemacht werden. Und da, sorry, finde ich die großen Freizeitparkketten nicht sehr geschickt. Sie haben die größten Achterbahnen, wahre Monster, toll! Aber irgendwie fühlt man sich wie auf einem Fließband, wenn sich immer die Abfolge wiederholt: Warten-hin-her-hin-her-hin-her-JUHU!-Warten-hin-her-hin...

Um den Rückschluss zu ziehen zum Titel des Beitrags: Genau aus diesem Grund, der Immersion in die Themenwelt des Parks, ist es ein sehr positiver Faktor, wenn keine auffälligen Warteschlangen-Konstruktionen sichtbar sind. Es trägt dazu bei, dass man als Besucher ganz neugierig einfach mal in die Höhlenöffnungen reinschaut, einfach mal in die Tür hineingeht, einfach mal schaut, was abseits des Weges liegt.

Freizeitparks können ein richtiges Abenteuer sein - aber nicht, wenn man dabei von metallischer Realität erschlagen wird.

post scriptum: Truth be told - Kärnan hat die Herzfigur. Und als Gerüst hat Gerstlauer da einen Stahlwald kreiert, der sich nicht so leicht verstecken lässt. Aber irgendwie muss ein Hypercoaster ja gestützt werden, und was das wohl kosten würde, wenn man nun auch noch die Stützen aufwändig thematisieren müsste! Es ist eine Gratwanderung zwischen Intensitätsmonster und Darkride-Coaster.

Samstag, 7. Mai 2016

Massive Milka Onslaught



Es war einmal zu meiner Jugend, da gab es vielleicht fünf verschiedene Sorten Milka Schokolade und das war's dann auch. Und es hat gereicht. But, the times are changing, tempores mutantur, die Schläfen ändern sich und die Zeiten auch. Wer heutzutage auf dem Süßwarenmarkt bestehen will, muss aufstocken. Mittlerweile nehmen die Milka-Produkte bei unserem Laden ein ganzes Regal ein. Natürlich gibt es da die obligatorischen zweihundertsiebzehn Sorten Tafelschokolade in wahlweise einhundert oder dreihundert Gramm, die neuen Sorten sind etwas manipulativer, zum gleichen Preis stecken dann neunzig Gramm drin. Die Sortenvielfalt reicht von Noisette über Nuss und Nuss-Nougat bis zu Teta-Nuss und Thrombose.

Doch das war erst der Anfang, denn Milka macht auch Gebäck. Kekse in diversen Sorten, mit und ohne Schokolade, Kuchen, klein und groß, fehlt eigentlich nur noch die Milka-Pizza. Ich muss zugeben, dass ich die Cookies Sensations ziemlich genial finde, die von außen knusprig gebacken sind und innen weich, geht so ein bisschen aus dem soft baked-Trend hervor, man merkt langsam, dass der Verbraucher mehr Abwechslung braucht, und zwar nicht nur bei den Geschmacksrichtungen, sondern auch bei den Konsistenzen. Den "Strukturen", wie der Gourmet vermutlich sagen würde.

Aus diesem Grund hat man jetzt die neue Schokolade "Triple" auf den Markt geworfen. Sie erhält ihren Namen daher, dass jeder Riegel der Schokolade drei unterschiedliche Sorten enthält, genauer gesagt, drei unterschiedliche Strukturen. Das gibt es in den Sorten "Kakao" (mit flüssiger Schokolade/Schokoladencreme/Schokokeksstücken) und "Karamell" (mit flüssigem Karamell/Karamellcreme/Karamellkrokant). Und ich muss sagen, das schmeckt einfach...

...leider geil. Die Geschmacksrichtungen sind überhaupt nichts Neues; die Confiserien, die gern den Takt angeben in Sachen Innovationen, setzen zur Zeit auf Cocktailfüllungen. Die Idee aber, drei Sorten in einer Schokoladentafel zu vereinigen ist großartig. Da haben doch schon so ein paar olle Knacker vor über zweitausend Jahren etwas behauptet von "Variatio delectat!" - Abwechslung erfreut, in jeglicher Hinsicht. Und anstatt sich drei Tafeln mit unterschiedlichen Sorten zu kaufen, die man eh nicht alle isst, weil man sich dann grauenhaft fühlt und nie wieder in den Spiegel sehen kann, bietet Milka hier die Möglichkeit, mit einhundert Gramm ein Spektrum abzudecken. Toll auch zum Anbieten, und man darf wetten: Kein Gast wird die Party verlassen, bevor er nicht alle drei Sorten einmal probiert hat.

post scriptum: Warum lasse ich mich von Milka eigentlich nicht für solch eine Werbung bezahlen? Jaja, Dr Hiwarius, für diesen Fehwer wirst Du mit Deinem Weben bezahwen!

Freitag, 6. Mai 2016

Sonnencreme und Pfefferspray...



...hätte ich heute gut gebrauchen können, denn ich war im Hansa-Park. So ein verdammt gutes Wetter, das verlockt einfach, und ich wollte sehen, wie weit die Arbeiten beim Schwur des Kärnan vorangekommen sind. Also springe ich ins Auto, fahre mal wieder ganz nichtsahnend los, biege kurz vor Sierksdorf links ab und sehe in der Ferne schon den Turm der Festung aufragen. Dann kommt zur Rechten der Fußweg in Sicht, der den Bahnhof Sierksdorf mit dem HaPa verbindet. Das heißt, er käme in Sicht, wenn man vor lauter Menschen noch den Asphalt sehen könnte. Ein nicht enden wollender Strom ("Nolite! Wollet nicht!") an Besuchern fließt in Richtung des Parkeinganges, klar, eben ist gerade der Regionalexpress aus Lübeck angekommen, der bringt bei solchem Wetter immer viele Menschen mit.

Also biege ich links ein Richtung Parkplatz und suche eine Reihe mit freien Plätzen. Reihe 4...6...8... und mir kommen massenweise Touristen entgegen. Langsam schwant mir, dass es voll werden könnte. Kein Wunder: Himmelfahrtswochenende, Brückentag, himmlisches Wetter, nicht zu heiß, aber trocken und sonnig. Ich biege schließlich in Reihe 20 ein, das kann doch nicht sein, dass da nichts frei sein soll. Ich fahre weiter. Und weiter. Und weiter, bis dahin, wo der Parkplatz aufhört und der Wald anfängt. Hier gibt es schon keine Straßen mehr, die Wege sind nicht gepflastert und ich rolle den Trampelpfad entlang, der Kies knirscht unter meinen Rädern. Wenn man vom Eingang aus schaut, ist es da ganz hinten links. Nein, noch weiter hinten. Siehst Du dort, wo die Birken stehen und die Menschen aussehen wie Ameisen? Ja, also von dort aus noch drei Meilen gen Norden. Kurz vor Fehmarn.

Und ich bin heilfroh, dass ich nicht erst noch eine Karte kaufen muss, kann also die sabbernden Monstermassen und ihre Betreuer links und rechts rumnölen lassen. Nein, hier brauche ich noch kein Pfefferspray - aber Sonnencreme wäre eine gute Investition. In Erwartung horrender Wartezeiten spaziere ich zu Nessie und sehe erfreut, dass zwei Züge in Betrieb sind. Damit erreicht die Bahn bei 90-Sekunden-Taktung eine theoretische Kapazität von 1120 Fahrgästen pro Stunde. Das ist für einen Park in der Größe des HaPa vollkommen ausreichend. Als Vergleichswert: Silver Star im Europa-Park verschlingt pro Stunde mehr als 1800 Fahrgäste - trotzdem muss man warten. Aber nach zehn Minuten sitze ich auf meinem Stammplatz (ganz hinten rechts) und genieße den traumhaften Blick über die Ostsee.

Unweigerlich führt mich der Weg zu Kärnan, die Warteschlange reicht bis zum Eingangstor des Festungsgeländes, man darf in diesem Fall mit ziemlich genau einer Stunde Wartezeit rechnen. Im Englischen nennt man so eine Bahn capacity nightmare, das trifft es bei etwa 384 Fahrgästen pro Stunde. Ist voll okay, ich lass mich sonnen - solange es noch geht; die meiste Zeit verbringt man im Schatten des Turmes und in den Gewölben der Festung. Und während ich so warte, wünschte ich mir das Pfefferspray herbei, um einfach diese unreflektierte Scheiße loszuwerden, die mir von dämlichen Teenagern vor und hinter mir entgegenschallt (a la "Uhh, warum schreien die denn alle, ist doch gar nicht schlimm." - Ja, Dschasstin, Du bist so super cool, dass Du noch nichtmal weißt, dass es diverse Gründe gibt, in der Achterbahn zu schreien - whatever, er scheint den Kopf auf Durchzug zu haben, kein Problem, wenn da drin nichts zum Blockieren ist). Heute hat's leider nicht so gut geklappt mit dem Ausblenden. Spätestens, als der Gang ansteigt und es die Festungsmauern entlang geht, bin ich abgelenkt durch das Betrachten der Fortschritte. Die Fassadenarbeiten kommen gut voran, insgesamt würde ich jetzt schätzen, steht die Thematisierung bei etwa 60%. Am Turm selbst ist noch nichts geschehen; das darf aus Gründen der Durchhärtung des Betons erst im August losgehen. Das Zugbrückentor ist fertig und sehr schön, der Soundtrack ist ordentlich installiert und insgesamt neun Flachbildschirme zeigen einem das Kärnan Museum TV, die Dokumentation, die den ganzen Besuch in der Festung umrankt. Die ersten fünf Teile sind mittlerweile hier bei Youtube zu sehen.

Im Inneren der Festung erwarten einen mehrere Räume, bevor man zum Bahnhof gelangt. Drei Räume sind noch in Arbeit, ich weiß, was dort entstehen soll, aber will niemanden spoilern. Danach gelangt man in den Taschenraum, wo ein weiteres thematisches Video den Fahrgästen das System der Gepäckabgabe erklärt. Das Thema? Wir erforschen den heutigen Kärnan und haben das geheime Atelier des Baumeisters entdeckt. Von da an wird es richtig spannend und da man sich nicht mehr an Taschen o.ä. klammern muss, kann man von jetzt an alles auf sich wirken lassen. Was dieses "Alles" ist, werde ich in meiner Analyse beschreiben, sobald das Projekt komplett fertiggestellt ist. Es ist jetzt bereits sehr beeindruckend, und der Soundtrack ist haargenau auf die Fahrt abgestimmt. Man bekommt eine kleine Gänsehaut, wenn man im Dunkeln im Turm hochgezogen wird und dabei Erik Menveds magische Formel hört, mit der er die Festung gegen Feinde gesichert haben soll. Hoffentlich kann ich bald mal wieder in der ersten Reihe fahren - man wird per Zufall zugeteilt (mit einem recht genialen Trick).

Ach, das war schön, ich fühle mich durchgeschüttelt, jetzt können mir auch nervige Parkbesucher nichts mehr anhaben. Dachte ich und wurde eines Besseren belehrt. Es scheint heute wieder eine Epidemie des "Ich bleibe ohne Vorwarnung mitten auf dem Weg stehen und stelle meinen Kinderwagen links neben mich, gebe meinem Balg rechts ein Brötchen, so dass auf diesem fünf Meter breiten Weg keiner mehr vorbeikommt" umgegangen zu sein. Hoffentlich erholt man sich davon wieder. "Pánta rhêi", sagt der Grieche, aber der heutige Besucherstrom fließt nicht.

Naja, ich trottel' dann wieder zurück zum Auto, stehe auf der Brücke, die über die B20whatever führt, und schaue die parkenden Autos an. Es ist nicht zu glauben: Bis auf die hintersten Wald-Birke-Trampelpfad-Fehmarn-Ecken ist alles belegt. Was bin ich froh, dass ich früher gehe und nicht in den Abendverkehr komme, lang lebe die Saisonkarte.

Ein grandioser Tag für den Hansa-Park.
Ein grandioser Tag für Sonnenbrand.
Ein grandioser Tag für Dr Hilarius.

Mittwoch, 4. Mai 2016

Psychologie


Fünfzehn Jahre hat es gedauert, bis ich Silent Hill 2 gespielt habe. Dabei trifft das Spiel genau meinen Nerv - ich interessiere mich für Psychologie. Ich habe mich im Studium mit Subjektskonstitution, Spiegelung im Anderen und diversen Konzepten auseinander gesetzt. Der Mensch ist höchst faszinierend in seinem Handeln, könnte man sagen.

Im Gegensatz zu anderen "Survival Horror"-Games wie Resident Evil wird die Spielwelt hier durch die Psyche des Protagonisten kreiert. Die Monster, die man bekämpft, sind Manifestationen seiner eigenen Schuld, sexuellem Verlangen usw.; schon die erste Szene des Spiels, oben im Bild dargestellt, bereitet den Spieler darauf vor, dass es psycho-logisch wird. Und der Anspruchslevel ist im Vergleich zu anderen Spielen hoch. Die Rätsel mögen vollkommen deplaziert wirken ("benutze Dosenöffner mit Dose, um darin enthaltene Glühbirne in eine Fassung zu drehen, damit genügend Licht auf eine Tür fällt und man das Schlüsselloch findet", "löse vier unterschiedliche Schlösser, die eine Kiste sichern, um darin ein Haar (!) zu finden, mit dem man - kombiniert mit einem gebogenen Drahtstück - im Duschabfluss nach einem Schlüssel angelt"), aber in der Retrospektive ergeben sie einen Sinn.

Faszinierend, noch während ich diesen Beitrag schreibe, geht mir ein Licht nach dem anderen auf und ich verstehe. Jemand sagte mal: "Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden." Das ließe sich auch auf das Spiel anwenden. Auch hier gibt es die Möglichkeit eines zweiten Spieldurchlaufs, der - ganz dem hermeneutischen Zirkel entsprechend - auf einem anderen Level abläuft, mit einer neu gewonnenen Erkenntnis. Ähnlich wie das Sternenkind in Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey, das neugeboren aus dem Weltall auf die Erde blickt, mit einem Bewusstsein dessen, was alles vorher geschehen ist. Reifer, sozusagen.

Man wandert nicht durch ein altes Herrenhaus und zerlegt dabei auf möglichst splatterige Weise Zombies (was nicht heißen soll, dass das keinen Spaß macht, ich liebe Resident Evil und Alone in the Dark: The New Nightmare). Man durchwandert die eigene Psyche und kämpft gegen die inneren Dämonen. Das ist auch der Grund, warum (in der Spielwelt) jeder Charakter die Stadt Silent Hill anders erlebt. Das Mädchen, das vom Vater sexuell missbraucht worden ist, streift durch ein anderes Silent Hill als der Junge, der immer wegen seiner Körperfülle gemobbt wurde und in der Folge seine Peiniger tötete.

Es gibt einen Twist gegen Ende des Spiels, aber während des Durchlaufs werden immer wieder Hinweise eingestreut, so dass man nicht mehr von der Auflösung überrascht ist. Das sollte man dem Spiel nicht vorwerfen; es ist in sich unglaublich stimmig und lässt sich reibungslos - und ohne richtige Längen - durchspielen. Dass man den Schwierigkeitsgrad der Action und der Rätsel unabhängig voneinander vor Beginn des Spiels einstellen kann, finde ich sehr geschickt.

Es gibt viele Rezensenten da draußen, die SH2 als das beste Horror-Spiel auf dem Markt bezeichnen. Ich kann das in der Form nicht teilen; ich würde sagen, es spielt ganz oben mit. Ich möchte keinen ersten Rang vergeben, denn dann müsste ich mich entscheiden zwischen Project Zero 2 und Silent Hill 2. Das ist nicht nötig.Ich habe mich wunderbar unterhalten gefühlt und das Spiel wird noch eine ganze Weile nachwirken. Thumbs up!

post scriptum: Aus aktuellem Anlass habe ich alle Beiträge dieses Blogs zu meiner derzeitigen Schule entfernt. Ich bin darum gebeten worden und verstieße gegen §12 BGB, "Namensrecht", wenn ich dieser Bitte nicht nachkäme. Also wundert Euch nicht, wenn der eine oder andere Artikel, wenngleich auch Lob dabei war, nun nicht mehr angezeigt wird.

Ich weiß jetzt, was jemand (siehste?) meinte, als er zu mir sagte: "Tobi, sie sind für ein Kollegium unglaublich wichtig. Ihre Schule wird davon profitieren, dass sie bestimmte Sachverhalte aufzeigen und Dinge hinterfragen, auch Haltungen ihres Dienstherrn; allerdings sind sie genau aus diesem Grund unbequem und nicht jeder kann damit umgehen. Lassen sie sich davon aber nicht abbringen."

Das habe ich im Studium auch öfters zu hören bekommen. Ich habe im StuPa gearbeitet, Fachschaftsarbeit verrichtet und bin bei jeder Demo mit auf die Straße gegangen. Wenn ich nun damit aufhörte, liefe ich Gefahr, zu einem leo mansuetus zu werden, den Statius so trefflich beschrieben hat.

Dienstag, 3. Mai 2016

Maxdome meets AfD

So, ich muss das hier nochmal breittreten. Nachdem ich das gestern bei Heise Online als kleinen Newsbeitrag gelesen habe (von einem Namensvetter vollkommen zu Recht mit den Tags "Homophobia" und "AfD" versehen), ist es ein wenig gesackt. Das könnte heißen, dass ich mich wieder etwas beruhigt habe - nein. Ich kotze noch immer. Wenn das so weitergeht, habe ich bis morgen Modelmaße erreicht. Doch zunächst einmal ist hier der Link zum Artikel, der mich aufregt.

Maxdome wird gern mal im Fernsehen beworben als Netzangebot von Pro7 und Konsorten - mit dem Stolz, eine riesige Auswahl anzubieten und eigentlich DIE Adresse schlechthin zu sein, wenn man Filme online sehen möchte. Und wunderbar: Wie oft ist es schon vorgekommen, dass ich einen Film unbedingt sehen wollte, der aber wiederum in ein Nischenprogramm gehörte und für mich damit nicht leicht aufzufinden war. Sicherlich hätte Maxdome mir weitergeholfen.

Bis vor Kurzem hatte dieser Saftladen eine Sparte, ein spezielles Filmgenre "Queer" im Angebot und damit ein Alleinstellungsmerkmal unter dem reichhalten Netz-Kino-Overkill. Über 400 Filme aus dem SchwuLesBischen Angebot (und all seinen Spielarten, LGBTQIS oder so ^^). Klasse! Denn es ist nun mal so, dass solche Filme nicht als massentauglich angesehen und deswegen selten angeboten werden. Labels wie Pro-Fun oder Salzgeber kämpfen darum, ihre Filme einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Und wir alle wissen, dass es nicht nur die zehn Prozent der Gesellschaft sind, die so etwas schauen. Wenn die Heten sich unbeobachtet oder einfach mal entspannt und frei fühlen, dann überkommt sie die Neugier (wen meine ich da bloß gerade???) und sie werfen zumindest mal einen Blick hinein. Und das ist auch vollkommen in Ordnung!!!

Da wollte ich also gerade stolz auf Maxdome sein und lese dann, dass der Kanal seine Sparte "Queer" auflöst. Die offizielle Begründung klingt nachvollziehbar: Man wollte das Angebot umstrukturieren, um nicht zu viele Sparten unübersichtlich werden zu lassen. Die Filme seien nun in "Romantik" und "Drama" allesamt wiederzufinden. Nun mag man davon halten, was man will. Sicherlich ist es eine lächerliche Einstellung zu glauben, man könne jegliches queere Kino in Drama oder Romantik einteilen. Macht man ja auch nicht mit Heten-Hollywood. Aber gut, ich schluck diese Übelkeit angesichts der Borniertheit erstmal herunter.

Dann lese ich weiter und erfahre, dass mehrere Quellen nachgeforscht haben. Tatsächlich sind die Filme nicht umsortiert. Von vorher über 400 Genre-Filmen sind mittlerweile nur noch eine Handvoll bei Maxdome aufzufinden. Das war also eine saftige Lüge, man habe das einfach nur umgestellt. Und was antwortet dieser Saftladen, auf jene Unwahrheiten angesprochen? "Ja, wir haben zugunsten der Familienfreundlichkeit einige Filme aus dm Programm genommen, aber man findet ja immer noch lesbischwule Filme bei uns, nur halt in anderen Sparten."

ICH GEB DIR GLEICH FAMILIENFREUNDLICHKEIT!!!


Wow, ich könnte gerade explodieren! Da hat die Muse Incompetentia zugeschlagen, oder war es einfach das Grundsatzprogramm Inquisitionsprogrammat der AfD, das hier zum Tragen kommt? Da werden weiter völlig unproblematisch Pornos und Splatterfilme angeboten, naja komm, das ist doch auch eher familientauglich, schließlich erlebt jede Familie das in ihrem Haushalt fast täglich. Aber zwei Männer, die sich küssen, zwei Frauen, die sich streicheln, eine Romanze zu dritt, entschuldigung, das kann man keiner Familie zumuten. Die klassische nukleare Familie aus Mutter, Vater und Kind muss gestärkt werden.

Da ist es nur ein Tropfen auf das heiße Bein, dass die AfD in aktuellen Umfragen endlich wieder Zustimmung einbüßt. Es ist immer noch zuviel des Guten. Schade, dass ich kein Maxdome-Abo habe, sonst könnte ich es jetzt kündigen. Aber immerhin kann ich die Seite weiter boykottieren. 

Shame on you, Maxdome!

Montag, 2. Mai 2016

Clamotes Infernales (nom.pl.f.)

Heute gab's Post von EMP, neue Spiral-Shirts sind angekommen. Jetzt darf es gern Sommer werden.

Das erinnert mich an die Zeit im Referendariat und an die Infobroschüre des IQSH zum Thema "Vorbereitungsdienst". Das war mal pure Gehirnwäsche, Gleichschaltungsversuch erster Güte. Manch ein Mitarbeiter, absolut überzeugt von sich und seinem Handeln - muss man wohl, wenn man ein Teil des IQSH werden möchte - geht durchaus davon aus, dass jeder Uni-Absolvent so werden möchte (und auch sollte) wie er. Sonst hätte er nicht durchblicken lassen, er sei überzeugt davon, dass wir - unbedarft, wie wir damals waren - später einmal genauso qualifiziert werden wie er. So qualifiziert, dass wir damit kaum noch an der Schule arbeiten werden. Wegbelobigen, jeder Qualifizierte an den Ort, wo er möglichst wenig Schaden anrichtet.

Wenn ich mich strikt an die Broschüre gehalten hätte, würde ich jetzt anders in der Schule herumlaufen. Denn so heißt es in diesem Blatt unter Anderem zum Thema "Kleidung" auf Seite 17: "Da Sie als Lehrkraft Vorbildfunktion haben, achten Sie bitte auf angemessene Sprache und Kleidung." Wie nichtssagend! "Angemessen" ist genau der richtige Ausdruck für meine Sprache - angemessen an die Klientel, die ich da zu erudieren habe.

Und das Thema Kleidung hatten wir ja schon, who cares, warum ich schwarz trage? Es gibt mir ein Gefühl der Genugtuung, meine clamotes infernales zu tragen, allein schon, um dem IQSH eins auszuwischen.

Naja, dem Laden sei Fairness geboten - zumindest der Formulierung in der Broschüre nach wird unkonventionelles Denken begrüßt. Auf Seite 3 steht: "Das IQSH setzt auf innovatives Denken an den Schulen.", dabei wird aber nicht erwähnt, dass es das innovative Denken des IQSH sein muss. Alternative Methoden werden mit 5 benotet, da wird nicht lang diskutiert (und deswegen wird man immer die "angemesseren" Bewerber mir vorziehen). Es gibt nur EINE Art, Lehrer zu werden. Es gibt nur EINE Hauptstraße durch die Ausbildung. Und den Text.

Ich vermisse das Referendariat nicht.