Donnerstag, 11. Januar 2024

Tag 163 - Ein nagendes Gefühl


So, und nun noch einmal in Ruhe. Und vorwärts. Freitag geht's wieder nach Neumünster, in die neue Schule, diesmal mit dem Kielius, denn die GDL hat zum Streik aufgerufen. Herrliche Situation für einen Buddhisten, denn nichts ist entspannender, als das anzunehmen, was kommt (sagt der Dalai Lama).

Ich hatte zwei Schulen im Blick, jene in Neumünster und die Gutenbergschule in Kiel. Letztere wäre für mich besonders interessant gewesen, denn es handelt sich um ein FöZ Lernen, und es hätte mich gereizt, mal diesen für mich neuen Schultyp kennenzulernen. SchülerInnen mit Förderstatus I habe ich bereits an verschiedenen Schulen unterrichtet, dort aber jeweils im Inklusionskonzept. Es wäre spannend gewesen, ausschließlich und "richtig" mit Förderlehrkräften zusammenzuarbeiten. Den Horizont erweitern, und nicht in der routinierten Pädagogik erstarren.

Und das kam mir auch deswegen sehr nahe, weil ich eigentlich auf die Stellenausschreibung in Neumünster nicht so ganz passe, und damit kommen wir zum Kern des heutigen Beitrags - ein Gefühl, das ich am Freitag hoffentlich werde ausräumen können. Es hat mich sowieso etwas gewundert, denn die Stelle ist ordentlich ausgeschrieben. Bisher bin ich immer direkt von den Schulen angeschrieben worden, die eine Vertretung brauchten. Das war ungewöhnlich, eine förmliche Bewerbung für eine Vertretung aufzusetzen (hängt mit der WoSt-Zahl zusammen).

Und dann standen solche Passagen in der Stellenausschreibung, die mich verunsichert haben - dass jemand für den DaZ-Bereich gesucht wird, und die gewünschten Zweitfächer, naja, wie üblich: Latein ist eigentlich Ausschlusskriterium. Das braucht jetzt niemand mehr. Also bin ich mit dem Mindset hingefahren, dass es einen Versuch wert ist, aber ich eigentlich nicht geeignet bin. Aber ich darf das Angebot nicht ausschlagen, sonst tanzt mir die Agentur für Arbeit auf der Nase herum. Ab nach Neumünster!

...und dann realisiere ich auf dem Fußweg zur Schule, dass ich an einem ganz langen grauen Gebäude vorbeigehe, das ganze sechs Hausnummern für sich beansprucht: das Landesamt für soziale Dienste. Genau an dieses Gebäude habe ich meinen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung geschickt. Genau aus diesem Gebäude kam ein Jahr lang keinerlei Rückmeldung zu diesem Antrag. Ich warte seit genau hundertdreiundsechzig Tagen auf einen Entscheid zu meinem Widerspruch (ich habe GdB 30 [rechtlich aber mit Schwerbehinderten gleichgestellt], sei aber, wie mein Psychiater mir bestätigt, definitiv als GdB 50 einzustufen). Ich komme nicht umhin, ein wenig zu grummeln, als ich das Gebäude passiere.

Tja, und dann der Besuch in der Schule. Erstmal versuche ich die beiden Haupteingänge, nur um herauszufinden, dass sie verschlossen sind. Now what?? Weil ich noch zehn Minuten Zeit habe, beschließe ich, einmal um den Block zu gehen, um zu sehen, ob die Schule noch andere Eingänge hat. Emotion: Panik, dass ich es nicht zum Gespräch schaffe, weil ich nicht weiß, wie ich in die Schule kommen soll.

Nach dem Rundgang schaffe ich es dann endlich, auf den Schulhof zu gehen und eine Schülerin zu fragen, wie ich zum Sekretariat komme. Aber typisch Autist: Immer erstmal selbst versuchen, bevor man um Hilfe bittet, und auch das kostet dann große Überwindung. 

In der Schule war es dann toll. Herzlich. Ich habe mich im Gespräch willkommen gefühlt, natürlich erfordert ein offizielles Auswahlgespräch auch die offiziellen KollegInnen dafür, und so waren wir zu fünft in dem Raum. Natürlich sage ich hier nichts über das Gespräch - aber über meinen Gemütszustand. Ich war froh, dass das nette Menschen waren, aber mein Herz ist in die Hose gerutscht, als da die üblichen Standardfragen für Auswahlgespräche aufgeploppt sind. Meine Erfahrung: Ich kann den Leuten nicht das sagen, was sie hören wollen, das wird nichts. Viele Planstellen, viele Absagen, ich habe reichlich Expertise.

Und so bin ich danach erleichtert, aber verunsichert zurückgereist nach Kiel. Dann kam ein paar Stunden später die Zusage, dass man mir die Stelle anbieten könne, und ich war von den Socken. Ich habe eine lange Meditation gebraucht, um das zu verarbeiten, und in dieser Meditation ist dann ein nagender Zweifel aufgekommen: Hat man sich für mich entschieden, nur weil ich eine Behinderung habe? Es gibt folgenden Passus, der in geradezu jeder Ausschreibung vorhanden ist:

"Die Landesregierung ist gesetzlich verpflichtet, Schwerbehinderte zu beschäftigen."

Nehmen sie mich nur deswegen, und nicht, weil ich ein guter Kandidat war? Das beschäftigt mich wirklich, und lässt mich nicht los. Einzig der nachfolgende Satz bringt da etwas Hoffnung:

"Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber werden daher bei entsprechender Eignung bevorzugt."

Hoffentlich bin ich geeignet.

post scriptum: Kurze Science Fiction-Filme gehen immer. Bringen den Geist zum Nachdenken, und wenn es dann auch noch eine leichte Komödie ist, warum nicht? "Robot & Frank", mit John Langella und Susan Sarandon, James Marsden und Liv Tyler, handelt von einem Juwelendieb im Rentenalter, der langsam nicht mehr allein zuhause zurechtkommt. Der Film spielt "in the near future", und Frank bekommt einen Roboter als Helfer an die Seite gestellt. Wie der Helfer sich dan zu einem Komplizen in einem Juwelendiebstahl entwickelt, ist der Hauptbestandteil des Films. Quirky, ganz eigener Humor, nicht wirklich vorhersehbar und mit ernsthaften Gedanken über das Älterwerden und das Vergessen. Kann ich nur empfehlen; bei "Freevee" kostenlos verfügbar. ;-)

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