Freitag, 23. Mai 2025

Stigmatisiert: Die Psychiater


Der Titel sagt es ja schon - nur hätte ich ihn besser als Frage formulieren sollen. Etwas in der Richtung "Warum werden Psychiater eigentlich so oft stigmatisiert?"

Warum spricht man nur hinter vorgehaltener Hand darüber, dass man zum Psychiater geht? Warum schaut man auf andere Menschen herab, die regelmäßig ihre Termine in der Psychiatrie wahrnehmen müssen? Warum geht so oft eine Gedankenkette an: "Psychiater = Seelenklempner =  mit dem Patienten stimmt etwas nicht = ich sollte mich lieber fernhalten"?

Ich denke mir das nicht aus - ich zitiere gern wieder eine Situation aus meiner allerersten Schule, ich bin noch Nulltsemester, stehe zusammen mit Kollegin A-Ha im riesigen Lehrerzimmer und sie stellt mir das Kollegium der Schule ein wenig vor. Total nett von A-Ha, dann fühle ich mich dort nicht ganz so fremd. Was mir damals noch gar nicht auffällt: Sie unterteilt in ihrer Beschreibung die KollegInnen in "Super nett, die helfen dir immer weiter, mit denen kannst du jederzeit sprechen" und in "Von denen solltest du besser die Finger lassen, großen Abstand halten, die sind nicht gut für dich, die haben selbst genug Probleme."

Ich habe das damals, vor dreizehn Jahren, tatsächlich nicht gemerkt und hatte auch keinen Sinn dafür, was für eine unmögliche und gemeine Art das ist, dem neuen Kollegen die Anderen vorzustellen. Dabei erwähnte A-Ha dann auch "Ah, da vorne, von der würde ich die Finger lassen. Die muss jeden Tag Antidepressiva nehmen, das ist eine ganz arme Person."

Rückblickend war das ein absolutes No-Go, aber es ist genau das, was passiert: Es ist kein Problem, zuzugeben, dass man Ibuprofen gegen seine Migräne nimmt, oder Clonidin als Blutdrucksenker oder Warfarin als Blutverdünner. Das ist eben so. Aber fragt Euch mal selbst: Wie viele Menschen haben Euch schon erzählt, dass sie ein Antidepresssivum (AD) nehmen, jeden Tag, Woche, Monat, vielleicht seit Jahren, vielleicht für immer? Man wird da gleich in eine Ecke geschoben.

Ein einziger Mensch in meinen einundvierzig Jahren hat mir offen von seiner AD-Verschreibung erzählt. Ich fand das sehr spannend, und als er gemerkt hat, dass ich ihn deswegen nicht verurteile, hat er mitr alles über die Sonnen- und Schattenseiten berichtet, und am Ende meinte ich zu ihm, dass es total super ist, dass es ADs gibt, die einem manchmal wirklich den Tag retten können. T, so hieß das Medikament abgekürzt, das er bekommen hat, und es hat aus ihm einen anderen Menschen gemacht. T, so heißt auch das AD, das ich jeden Morgen nehme.

Und ich habe kein Problem damit, über das Kortison gegen die colitis ulcerosa zu sprechen, oder das Metamizol gegen die Kolikschmerzen - aber über das AD rede ich eher selten, und über das Beruhigungsmittel noch seltener, denn sobald es an den Kopf geht, an Probleme mit dem Gehirn, scheinen viele Menschen misstrauisch zu werden und lieber vier Schritte rückwärts auf Abstand zu gehen, so wie A-Ha damals.

Das ist einfach nur shayze.

Vor ein paar Tagen hatte ich wieder meinen regulären Termin bei'm Psychiater. hingegangen bin ich ein wenig gekrümmt, ein wenig lustlos - nach Hause gefahren bin ich aufrecht, mit einem Lächeln und dem Gefühl, dass es alles zwar nicht "un-schlimm" ist mit Colitis und Reflux und Neurodermitis und Autismus, aber dass man sich alles zurechtdrehen kann, dass man damit besser umgehen kann.

Ich bin so stolz auf meinen Psychiater, und auch die Menschen im Wartezimmer haben mehrfach erwähnt, wie toll sie ihn finden. Ja, man muss Zeit mitbringen, manchmal viel Zeit, aber was er dann bewirken kann, ist einfach toll. Und dabei geht es mir nicht in erster Linie darüm, dass ich am Ende ein neues Rezept für meine Medikamente bekomme - es geht darum, dass mir im Büro jemand gegenübersitzt, der mich ernst nimmt und Interesse an meiner Situation zeigt. Kein "Migräne? Ja, ich habe manchmal auch schlimme Kopfschmerzen" oder ähnlicher Schwachfug.

Warum habe ich das Gefühl, ich müsste Angst haben und aufpassen, wenn ich über meinen Psychiater rede? Er kann so viel Positives bewirken und wird trotzdem so stigmatisiert? Whatever, wer meint, auf ihn oder mich herabschauen zu müssen, dem wünsche ich, dass er oder sie nicht selbst in die Position kommt, dass herabgeschaut wird.

post scriptum: Eine Weichflasche mit Flüssigwaschmittel geht in der vollen Einkaufstüte auf. Willkommen im Wochenende, hier brauche ich was, um den Blutdruck runterzufahren...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen