Freitag, 29. Juli 2016

Das erste Gehalt


Heute geht es mal wieder um ein Gefühl. Ich weiß, ich habe das Gefühl hier schon einmal beschrieben. Es hat meinen gestrigen Tag aber dergestalt beeinflusst, dass es mir ein Bedürfnis ist, das hier noch einmal schriftlich festzuhalten. Vielleicht auch als Ermutigung an alle armen arbeitslosen Seelen, die da draußen auf den "perfekten Job um die Ecke" warten. Ja, es gibt Angestellte, die an so etwas glauben. Ich habe da ein paar ganz liebe Menschen im Blick, die in der Durststrecke sind oder darauf zusteuern, und ich möchte Euch hiermit klarmachen, dass es sich lohnt, am Ball zu bleiben.

Los ging das gestern: Ich brauchte irgendwoher fünfzig Euro, um den Wagen aufzutanken. Woher nehmen und nicht stehlen? Wenn der Dispo vollends ausgereizt ist, gibt es ja noch die Kreditkarte. Ich war mir sehr, sehr sicher, dass ich deren Limit mittlerweile ebenfalls ausgereizt hatte. Verdammt. Und ich wollte nicht bei meinen Mitmenschen betteln gehen, so etwas ist demütigend. Jeder einzelne Cent ist erniedrigend und wiegt während der Dauer der Schuldnerschaft wie eine geistige Zentnerlast auf den Schultern. Genau das ist es, was der Begriff belastend meint.

Das Gefühl der Abhängigkeit. Auf Andere angewiesen zu sein, mehr, als man es unter normalen Umständen vielleicht schon ist. Sich unfrei fühlen. Der innerliche Zwang, das Bewusstsein, der Gedanke, man müsse über jeden geleisteten Schritt, über jeden ausgegebenen Euro Rechenschaft gegenüber all seinen Gläubigern ablegen. Ich ertrage dieses Gefühl kaum, und ich glaube nicht, dass da so unendlich viele Sozialschmarotzer draußen sind, wie gewisse politische Richtungen es einem Glauben machen wollen. Ich denke mir, dass viele von diesen Menschen sich ebenso belastet fühlen. Es macht keinen Spaß, auf Stütze angewiesen zu sein. Geld mithilfe der Kreditkarte abheben und auf das Girokonto einzuzahlen, damit man im Dispo noch so viel Raum hat, dass die Stadtwerke ihre Beiträge abbuchen können. Ich fühle mich wie ein Verbrecher.

Nun, ich habe dennoch gestern vor meiner Kreditkarte meine normale Kontokarte gezückt. Es könnte ja immerhin sein, dass nun doch schon mein allererstes Gehalt nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit auf dem Konto ist. Das Monatsende ist relativ nah (und wir Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis bekommen immer erst am Monatsende das Gehalt). Ich checke den Kontostand, in Erwartung der üblichen Anzeige mit dem Minus vor den über Tausend Euro, die sich in den letzten Monaten angesammelt haben.

Doch da! Nicht nur war das Minus getilgt und mein Konto wieder ausgeglichen - ich hatte sogar ein schönes Plus dort zu stehen! Und das Gefühl ist schwer zu beschreiben - vor allem, weil es sich im Laufe des Tages erst entfaltet hat.

Erster Gedanke: Endlich kann ich meine Miete bezahlen. Endlich kann ich den Stapel Rechnungen überweisen, der auf meinem Schreibtisch liegt. Endlich kann ich tanken fahren. Endlich kann ich Gästen wieder etwas Anderes als nur Leitungswasser anbieten.

Zweiter Gedanke: Okay, wenn ich erstmal alle Rückstände beglichen habe und dann noch die Kreditkartenabrechnung kommt, bin ich wieder im fetten Minus. Aber dann lasten mir keine offenen Posten mehr an!

Dritter Gedanke: Ich bekomme endlich wieder Gehalt. Endlich sind es keine paar hundert Euro Arbeitslosengeld mehr. Endlich kann ich mir wieder Kleidung kaufen! Endlich kann ich meinen Miet-Dauerauftrag einrichten, weil ich jetzt für mindestens ein volles Jahr mein Gehalt bekomme!

Vierter Gedanke: Endlich wieder arbeiten. Endlich wieder im System! Endlich die Lasten von den Schultern werfen. Endlich wieder richtige Beschäftigung! Endlich weniger Freizeit!!!

Gestern hieß es für mich endlich wieder durchzuatmen. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich schön. Dieser Moment, auf den ich wochen-, monatelang hingehofft habe - endlich wieder eine Perspektive zu haben und nicht mehr ziellos herumzudriften.

Ich hatte es schon einmal vor etwa drei Jahren, dass mich ein Schulleiter "von der Straße geholt hat". Ich war damals endlos dankbar, und auch heute bin ich meiner Schulleiterin grenzenlos dankbar für alles, was sie mir von den Schultern genommen hat. Für sie mag es "nur" eine Lücke in der Unterrichtsversorgung sein, die sie gestopft hat. Für den arbeitslosen Junglehrer ist es allerdings etwas, woran er sich klammern kann, etwas, was mir jeden einzelnen Tag aufwertet, jedem Aufstehen einen Sinn gibt und jedes Zubettgehen mit mehr Perspektive versieht.

Und es mag noch so aussichtslos sein in der Arbeitslosigkeit. Und es mag noch so deprimierend, demütigend, erniedrigend und vernichtend sein. Und es mag noch so lange dauern und endlos erscheinen - irgendwann *hat* es ein Ende.

Und dieser Moment wiegt das ganze Warten auf.

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