Montag, 30. April 2018

Ansichtssache


Der heutige Tag war für mich wieder eine Lehrstunde in Sachen "Kommt drauf an, wie man es sieht". Wir hatten an unserer Schule heute Schulentwicklungstag, kurz SET, für die Schüler immer ganz toll, denn da dürfen sie zuhause bleiben, während die Lehrer sich treffen und versuchen, die Schule am aktuellen Zeitgeist in Pädagogik etc. auszurichten.

Meine Gedanken: Wenn ich doch eh' nicht an der Schule bleiben werde, wirkt das so unnötig für mich, und ich könnte die Zeit viel sinnvoller nutzen, um meine Korrekturstapel endlich zu verkleinern. Dementsprechend habe ich mir auch das Wochenende über eingeredet, dass das irgendwie Zeitverschwendung sei, und überhaupt über den ganzen Tag nur rumgenölt. Und saß dann folgerichtig heute morgen übermüdet im Bus, Schultasche an der Seite, Brownies für das Büffet auf dem Schoß. Und dachte mir, so, jetzt sind acht Stunden rumsitzen angesagt, arbeiten, nerv, ich hab' kein Bock, können wir nicht früher Schluss machen, das ganze Getöne.

Machen wir es kurz: Ich habe mit ein paar wunderbaren KollegInnen zusammengearbeitet, und es hat richtig Spaß gemacht, das Thema Bild- und Tonbearbeitung in ein schulinternes Mediencurriculum umzuwandeln. Es hat Spaß gemacht, mit einem wesentlichen Effekt: Die Zeit ging viel zu schnell um, und dass ich dann am Ende doch früher gegangen bin, hängt damit zusammen, dass mir tierisch übel geworden ist, und ich weiß immer noch nicht genau warum. Da kündigt sich hoffentlich nix an, kann ich nicht gebrauchen.

Ich habe aus dem SET deutlich mehr mitgenommen als die Beiträge zum Mediencurriculum, nämlich das aufgefrischte Bewusstsein, dass ich es selbst in der Hand habe, wie ich meinen Tag erlebe. Darüber habe ich doch neulich erst geschrieben, also wenn immer wieder Beweise dafür auftreten, warum gehe ich nicht gleich positiver an einen solchen Tag? Ich glaube, ich habe da noch Entwicklungspotential.

post scriptum: Witzig, heute im SH-Magazin hat Wettermann Meeno Schrader aus meinem Heimatdorf Weddingstedt berichtet. Irgendwie löst das ein interessantes Gefühl aus. Als wäre ich im Fernsehen.

Freitag, 27. April 2018

Wenn das Herz bricht...


Früher war es sehr einfach, mir das Herz zu brechen. Verschiedene Mädchen haben das in der Schule geschafft, oder auch ein paar Filme, und im Studium haben mir die ersten Männer das Herz gebrochen. Ich bin jetzt ein wenig älter, habe mehr Dinge gesehen und weiß mehr Dinge zu verarbeiten. Dennoch gibt es immer wieder Ereignisse und Momente, die mir eine Wehmutsträne in den Augenwinkel hexen.

Als ich damals meine erste "richtige" Schulklasse verabschieden musste, die 7a in SPO, da hat es mich nach langer Zeit wieder zum Zittern gebracht. Diese Klasse war eine Art Befreiungsschlag für mich - ich werde nie vergessen, wie Leona bei meiner Vorstellung sehr deutlich hörbar "Boah, ich find' den jetzt schon scheiße!" gerufen hat - bei der Verabschiedung liefen dann die Tränen.

Es ist nicht leicht, eine Klasse gehen zu lassen, die einem zwei Jahre lang an's Herz gewachsen ist. Mit ihren Stärken und Schwächen, mit den Ups und Downs, die mancher Schüler der Klasse während dieser zwei Jahre erlebt hat. Ich habe oft auf Konferenzen über diese Schüler gesprochen, das hat nur dazu beigetragen, dass sie ein Teil von mir geworden sind. Und wann immer die Allgemeinsituation mal scheiße war, war es ausgerechnet diese mir an's Herz gewachsene Klasse, die mich dann aufgemuntert hat.

Und die Schüler haben ihren Dr Hilarius auch kennengelernt, sie haben ihn glücklich und traurig gesehen, er hat geschrien, getobt und getanzt, sie haben mit ihm gestritten und gelacht; es mag ihnen zu dem Zeitpunkt vielleicht nicht so ganz bewusst gewesen sein, aber er war ihnen ebenso lieb geworden wie sie ihm. Dieser Trennungsschmerz bei der Verabschiedung von meiner ersten "richtigen" Klasse hat mir noch lange nachgehangen.

Ihr kennt das Gefühl. Und daher wisst Ihr auch, dass man sich an das Klassenabgeben mit der Zeit gewöhnt, das nimmt mich mittlerweile nicht mehr so stark mit wie damals. Wie muss es sich erst für einen Waldorflehrer anfühlen, nach acht (!) Jahren nicht mehr Klassenlehrer seiner Klasse zu sein... wie viel Zeit man mit einer Klasse verbracht hat, das kann sich erheblich auf die Ausprägung des Abschiedsschmerzes auswirken.

Umso mehr hat mich ein Erlebnis von gestern bewegt. Ich habe eine Klasse abgegeben, da eine erkrankte Kollegin wieder in den Dienst zurückkehrt. Ich hatte gar nicht mal so lange in dieser Klasse unterrichtet, nur drei Monate. Es war allerdings eine sehr individualistische Klasse, in der viele schräge Köpfe saßen, und diese Vielfalt hat mich von Anfang an begeistert. Da waren Großmäuler, Hochleister, Sprachfreaks, Coole... wie sehr die Klasse mich beeindruckt hat, konnte ich daran feststellen, dass ich die Namen der Schüler (zu einem für meine Verhältnisse großen Teil) schnell drauf hatte.

Es fühlte sich an wie ein Nach-Hause-Kommen, wenn ich in die Klasse kam und von mir schnell liebgewonnenen Verhaltensweisen begrüßt wurde - Schleimerei, Rumgewinsel, Extrafleiß, und sie hatten als Klasse, die zu Beginn des Schuljahres aus zwei Klassen neu zusammengesetzt worden war, trotzdem eine Art gemeinsamen Charme gewonnen. Ich habe die intellektuelle Herausforderung sehr genossen, die Begeisterung für das Fach bei den einen, die too cool for school-Attitüde der anderen, von Woche zu Woche. Immer wieder.

Das wird mir jetzt fehlen. Und es macht die Situation nicht leichter zu verarbeiten, dass sie sich bei mir für die "coole Zeit zusammen" bedankt haben. Ich hatte ein Gefühl von "Ich würde euch noch so gern bis zum Abitur begleiten!" und beneide die Kollegin ein wenig darum, dass sie jetzt wieder das Lateinheft in die Hand nimmt. Die Schüler und ich waren uns einig, dass wir dieses kleine Intermezzo so schnell nicht würden vergessen werden. Ihr kennt diese Abschiede, liebe Kollegen, und habt selbst viele davon schon erlebt. Klar wird man von Jahr zu Jahr etwas mehr abgehärtet.

Und trotzdem hat es mir gestern fast das Herz gebrochen.

post scriptum: Was für ein toller Film! Heute habe ich Terrence Malicks "The Tree Of Life" (2011) gesehen, ein unglaublich ambitionierter Film, der es sich vorgenommen hat, die gesamte Existenz darzustellen. Und weil Malick sich dabei auf Lebensereignisse stützt, die jeder von uns verstehen kann, die jeder von uns so oder so ähnlich erlebt hat, ist es, als würde ich in einen Dialog mit dem Film treten. Das war echt ein tolles Erlebnis, purer Genuss.

Mittwoch, 25. April 2018

Sie läuft... und läuft... und läuft...

Das wird tatsächlich an US-Schulen verwendet.

Ich arbeite im Unterricht gern mit Filmen und Serien. Das war schon immer so. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es von der Schulform abhängen kann, ob man damit Erfolg hat. Meine Erfahrungen mit Serien an Gemeinschaftsschulen waren sehr gut. So gut, dass ich z.B. in St.Peter-Ording eine der Englischstunden pro Woche benutzt habe, um mit der Klasse eine Folge Are You Afraid Of The Dark? zu schauen. Wenn man die richtigen Filme oder Serien findet, kann man Schüler damit manchmal besser und viel nachhaltiger erreichen als mit einer normalen Unterrichtsstunde. In SPO und NMS habe ich dafür sogar von Eltern positives Feedback bekommen.

An der Kieler Gelehrtenschule mache ich das nicht mehr. Hier wird sehr großer Wert auf die Einhaltung des Lehrplans und vor allem auf ordentliche Stoffprogression gelegt. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, deswegen mache ich es nicht mehr. Ich muss aber zugeben, mir fehlen die Stunden mit AYAOTD? (bzw. in der Oberstufe dann The Twilight Zone).

Und dennoch. Ein Film, den ich seit sieben Jahren immer mal wieder in der Schule verwende, ist Tom Tykwers Kunststück Lola rennt (1998). Zunächst einmal ist der Film handwerklich kreativ und einwandfrei, so hat Roger Ebert in seiner Rezension geschrieben: "The director, a young German named Tom Tykwer, throws every trick in the book at us, and then the book, and then himself." Dass Tykwer ein Talent für Regie hat, davon hat mich vor einiger Zeit insbesondere Cloud Atlas überzeugt (und zwar hier und hier). Ich habe Lola rennt je nach Lerngruppe auf unterschiedlichste Arten präsentiert. Mal habe ich ihn vorentlastet, habe ein bisschen über Tykwer erzählt, habe den Plot grob umrissen oder bereits auf die besondere Struktur des Films verwiesen (dass nämlich derselbe Durchlauf dreifach mit leichten Veränderungen gezeigt wird). Manchmal habe ich die Schüler auch vollkommen unvorbereitet darauf losgelassen.

Da ich zur Zeit an einer Schule mit einem hohen Anteil an überdurchschnittlich intelligenten Kindern unterrichte, wollte ich einen Versuch wagen. So habe ich einer neunten Klasse in einer Abschiedsstunde erzählt: "Ich möchte mit euch einen Film schauen. Das ist interessant, denn es ist ein FSK16-Logo darauf. Das liegt aber nicht daran, dass zuviel Gewalt oder Sex im Film vorkommt, sondern dass man der Meinung ist, dass ihr unter sechzehn Jahren noch nicht die nötige Reife besitzt, um diesen Film zu verstehen und wertzuschätzen. Das würde ich gern einmal testen und euch damit herausfordern, also haltet Schreibzeug bereit."

Okay, die 16er-Freigabe liegt gar nicht am Film selbst, sondern am Bonusmaterial auf der DVD. Aber es war ein guter Aufhänger, um die Schüler etwas neugieriger und aufgeschlossener herangehen zu lassen - denn ich habe auch schon sehr ernüchternde Unterrichtserfahrungen mit dem Film gemacht. Diese neunte Klasse allerdings hat mir bewiesen, dass sie schon einiges verstehen; zumindest ein paar Schüler konnten erkennen, dass es in dem Film um den Schmetterlingseffekt geht, mehr aber noch um das Schicksal und ob bzw. wie man als Individuum darauf Einfluss nehmen kann. Da das Ganze in einem Latein-Kontext stattfindet, fielen natürlich die Begriffe fatum und praedeterminatio, und wir konnten darüber einen kleinen Moment diskutieren - dann war die Doppelstunde leider zu Ende. Dass aber auch nach Stundenschluss noch eine Schülerin zu mir gekommen ist und sich mit mir über die Deutung des Films unterhalten hat, hat mich ebenso gefreut, wie es mich beeindruckt hat, dass zwei Schüler Parallelen zu Groundhog Day oder sogar zu Capras It's A Wonderful Life ziehen konnten. Sie mögen nicht auf Kieszlowskis Blind Chance gekommen sein, haben sich aber für eine neunte Klasse als teilweise sehr reif geoutet und das war ein schönes Erlebnis für mich.

Und deswegen wird Lola immer weiter rennen...

Montag, 23. April 2018

Plädoyer gegen Videospiele

Are you ready to spiel?

Ich sollte eigentlich die Klassenarbeit der 7b korrigieren. Und ich müsste das jetzt machen, damit ich sie morgen zurückgeben kann, denn so langsam läuft mir die Zeit weg. Logik sagt mir ganz klar, dass ich jetzt anfangen muss mit der Korrektur, dann schaffe ich es heute noch, und danach werde ich mich erleichtert fühlen, kein schlechtes Gewissen haben, und die Nacht ruhig und zufrieden schlafen können, und ein paar Schüler morgen sehr glücklich machen - und einige auch traurig, aber meistens ahnen sie schon, was da auf sie zukommt.

Eigentlich sollte ich das machen. Und eigentlich sollte ich noch die Kochwäsche in die Maschine werfen, und die trockene Wäsche abnehmen und in den Schrank sortieren. Der Biomüll muss dringend nach unten in den Hof, und ich habe immer noch nicht das Fenster geputzt, das vor lauter Regenflecken ganz blind ist. Essen könnte ich auch mal, dann hätte ich etwas mehr Energie, um alle diese Dinge zu erledigen.

Aber ich muss doch unbedingt wissen, was der Held Noctis in der Wasserstadt Altissia erlebt! Ich muss schauen, ob er dort die wichtigen Schätze erhält, die er braucht, um die Welt vor der dunklen Bedrohung zu retten. Ich verfolge seine Reise nun schon so lange, es fühlt sich an, als würde ich ihn kennen, als würde ich tatsächlich mit ihm reisen. Und ich weiß, dass ein spektakulärer Kampf gegen den Wassergott Leviathan bevorsteht, den muss ich eben noch erleben, bevor ich mich an die Arbeit mache. Und ein paar Monster verkloppen, um mich ein wenig abzureagieren, bevor ich mich an die Korrekturen setze.

Und schließlich, dessen scheinen sich sehr viele Menschen bewusst zu sein, geht es immer wieder so: Ich müsste etwas Wichtiges tun, ziehe aber die Videospiele vor, prokrastiniere, und schließlich, darin scheinen sich viele wichtige Menschen einig zu sein, machen Videospiele ja auch gewalttätig, und deswegen wäre es viel besser, wenn es gar nicht erst Videospiele gäbe. Man sollte unsere Jugend vor ihnen schützen, und offensichtlich auch die heutigen Erwachsenen, die damals mit ihnen aufgewachsen sind und sie immer noch als einen festen Bestandteil ihres Privatlebens erachten.

Und so ziehen nach jedem neuen Schulamoklauf und nach jedem Attentat neben den AfD-Anhängern und Konservativen und Rückwärtsgerichteten und Xeno[oder jede beliebige Minderheit]phoben auch die Feinde der Videospiele immer wieder über die Straßen und fordern ein Verbot. Und viele Medien saugen das gierig auf und wandeln es in eine Berichterstattung um, die den unwissenden Zuschauern suggeriert, dass die Videospielwelt ausschließlich aus Beiträgen wie Castle Wolfenstein besteht. Videospiele? Das bedeutet Ballerei, Menschen umbringen, möglichst viele, möglichst schnell, möglichst spektakulär. Nach dem neuesten Trend auch noch als Virtual Reality, damit die Kinder schön authentisch erleben dürfen, wie es ist, Menschen umzubringen, zu erschießen, abzuschlachten.

Videospiele gehören verboten!!!

...so heißt es dann immer wieder, seit vielen Jahren, und das wird auch noch lange so weitergehen. Oder fällt Euch etwa irgendein positiver Aspekt bei Videospielen ein? ;-)

Samstag, 21. April 2018

Woyzeck: Trau' Dich, HB!

Ich selbst merke, wie ich herausragende Leistungen manchmal nicht angemessen lobe...

Als Underachiever bezeichnet man im schulischen Kontext Schüler, die in ihren Leistungen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Die Gründe dafür können vielfältig sein, und für eine Lehrkraft kann es eine besondere Herausforderung sein, einen hochbegabten Underachiever zu erkennen: Wenn der Schüler immer nur Dreien abliefert, im Zeugnis, in Leistungsnachweisen, im Unterricht, woher soll ich dann auf die Idee kommen, dass er hochbegabt ist?

Die Sannitanic und auch die große Buba haben seit vielen Jahren sehr engen Umgang mit hochintelligenten Menschen, und sie sind beide Lehrerinnen, denen ihre Erfahrungen im Unterrichtsalltag zugute kommen können. Mir geht es in diesem Beitrag gar nicht so sehr um die Diagnostik als um die Frage, wie man als Lehrer mit einem hochbegabten Underachiever umgehen sollte. Und erinnere mich dafür an Rainer Krüger, mein Deutschlehrer im zwölften Jahrgang.

Ich war nie besonders gut in Deutsch. Halt, das stimmt nicht; Grammatik und Diktate konnte ich immer gut, aber sobald es an's Interpretieren ging, stellte sich heraus, dass ich ein Dreierkandidat war. Ich bin über eine Drei im Zeugnis selten hinausgekommen. Und dabei hatte ich mir so oft und intensiv die Frage gestellt, was meine Deutschlehrerinnen wohl von mir hören wollten! Ich wollte es ihnen Recht machen, und leider traf ich bei Frau Z und Frau J meistens daneben.

Dann kam die Oberstufe, und ich hatte keine Ahnung, wie ich meine Deutschnote verbessern sollte. Ich kam auf die Idee "Naja, wenn du eh' nicht auf was Besseres als eine Drei kommst, dann schreib' Krüger jetzt nicht das hin, was er vielleicht hören will, sondern das, was du wirklich über den Text denkst". Das führte zu dreizehn Punkten in meiner ersten Deutschklausur über Schillers Die Räuber. Das konnte ich überhaupt nicht verstehen. Eine Eins??? Habe ich zur Abwechslung einmal irgendwas richtig gemacht?

Rainer Krüger tat das, was man als guter Pädagoge in solch' einer Situation wohl tun sollte: Er ermutigte mich, meine Gedanken aufzuschreiben. Er ermutigte mich, in den Klausuren meine Theorien zu schreiben, auch wenn sie vielleicht für mich selbst ungewöhnlich schienen. Das führte dann zu vierzehn Punkten für In der Sache J. Robert Oppenheimer von Heinar Kipphardt - ich konnte einfach nicht verstehen, dass ich diesmal irgendwas verstanden zu haben schien. Und ich weiß noch genau, wie ich mich geschämt habe dafür, und wie ich versucht habe, das in der Klasse geheim zu halten. Aber Krüger spornte mich an.

Und dann kam der Mut. Dann kam der Ehrgeiz. Dann wollte ich es wissen. Und so schrieb ich dann ausgerechnet über Büchners Woyzeck (der Kurs hat geflucht, wie unverständlich das sei) meine erste Deutschklausur mit fünfzehn Punkten. Von da an wurde ich mir meines Potentials bewusst, und auf diese Weise habe ich am eigenen Leib erfahren dürfen, wie es ist, sich vom Underachiever weiterzuentwickeln, und ich habe selbst erleben dürfen, wie wichtig dabei die Mithilfe der Lehrkräfte ist.

Deshalb, liebe Kollegen und Kolleginnen: Wenn Ihr einen Verdacht auf einen hochbegabten Underachiever habt, dann macht ihm Mut! Motiviert ihn, seine Gedanken zu äußern, macht ihm klar, dass er sich dafür nicht schämen muss. Und wenn er einmal eine tolle Leistung abliefert, dann lobt ihn bitte! Nehmt es nicht als selbstverständlich hin - "Na siehste, ich wusste es doch." - sondern macht ihm klar, dass er etwas Besonderes vollbracht hat. Denn es gibt viele Hochbegabte, die nicht von allein, nicht von sich aus ihr Potential abrufen (können).

Sie brauchen Eure Unterstützung.

Freitag, 20. April 2018

Pädagogikexamen

Prüfungszwirn - zumindest im Ansatz - an einem Tag, der mir in Erinnerung geblieben ist.

Noch nicht wieder vollkommen fit. Auch wenn das Wetter perfekt ist und der Tag eine kaum steigerbare Hintergrundkulisse für einen Parkbesuch gewesen wäre, mein Kreislauf hätte vermutlich irgendwann abgeschaltet; ich bin also zuhause geblieben. Aber auch in Ordnung - denn der Tagesverlauf hat mich an eine kleine Geschichte erinnert.

Es war der Sommer Zweitausendelf...

...und es war richtig heiß. Trotzdem hatte ich ausschließlich schwarze Kleidung an, die die Sonnenstrahlen natürlich in zusätzliche Wärme für den Körper umgewandelt hat. Aber schwarz musste es sein, mit einem Hauch von Eleganz, es war nämlich der Tag meiner mündlichen Examensprüfung in Pädagogik. Bei Prof. Dr. Heidrun Allert. Eine Dozentin, bei der ich keine einzige Lehrveranstaltung besucht hatte, aber ich brauchte irgendjemanden, der mein Examen in Pädagogik abnehmen konnte.

Natürlich hätte ich mich auf sie vorbereiten können. Schauen, wo ihre Schwerpunkte liegen, einen Kurs bei ihr besuchen, vielleicht in ihr Kolloquium gehen. Aber nein, der Hochbegabte denkt natürlich wieder, dass er auch das ganz allein schaffen muss. Also stelle ich mich my way auf die Prüfungsthemen Soziale Netzwerke und Humanistische Pädagogik ein. Letzteres Thema mit Schwerpunkt Transaktionsanalyse. Da wusste ich noch nicht, dass ich Pädagogik toll finde, und da wusste ich auch noch nicht, dass ich instinktiv nach der humanistischen Pädagogik handele. Und so saßen wir dann zu dritt dort, Frau Allert, der Beisitzer aus dem Ministerium und Dr Hilarius, der versucht, so zu wirken, als verstünde er etwas von Pädagogik.

Eigentlich geht es mir heute gar nicht um die Prüfung. Es geht mir um die Bewertung, genauer: Um eine Formulierung, die ich seit Jahren nicht aus dem Kopf bekomme. Nach dreißig Minuten Prüfung habe ich etwa fünfzehn Minuten gewartet, bis das Ergebnis feststand, und dann sagt mir der Herr aus dem Ministerium: "Dr Hilarius, über die Bewertung der Prüfung waren wir uns eigentlich sofort einig. Wir haben uns vielmehr gefragt, warum sie nicht im Fernsehen arbeiten."

Das hat mir die Wahrnehmung meines mündlichen Examens gerettet, aber vor allem war es eine Rückmeldung, die ich schon so oft bekommen habe. Auch meine damalige Schulleiterin, die mir im Ref-Gutachten Unwahrheiten in den ersten Entwurf des Gutachtens geschrieben hat, schrieb über meine schauspielerische Ader. Das schien wohl keine Unwahrheit zu sein.

Und tatsächlich denke ich oft darüber nach, sehr oft. Wie mein Leben wohl wäre, wenn ich zum Film ginge. Ob ich überhaupt eine Chance hätte. Ob ich vielleicht die Rampensau in mir hemmungslos rauslassen könnte. Und da hilft es auch nicht gerade, dass die Jobsituation für Lehrer eher mittelmäßig ist und ich nicht gerade ein attraktiver Bewerber an Schulen bin. Immer wieder habe ich Momente, in denen ich mich frage, warum ich es nicht einfach versucht habe. Warum ich es nicht einfach versuche. Ob das die richtige Sparte für mich wäre?

Aber beim Meditieren kommen so viele Gedanken, die dagegen sprechen. Ich hätte Angst, die Sannitanic und die große Buba zu verlieren. Ich hätte Angst, nicht mehr mein Leben selbst in der Hand zu haben. Ich hätte Angst, dass viel mehr Menschen bestimmte Erwartungen an mich setzen würden als jetzt; Erwartungen, die ich enttäuschen könnte - eine Angst, die es mir nicht leicht macht, das Leben zu genießen.

Die große Buba hatte mir vor einigen Monaten, als ich ihr mal wieder von meinem Faible für Stummfilme vorgeschwärmt habe, den recht neuen Film The Artist (2011) empfohlen. Habe ich mir aufgeschrieben, aber natürlich wieder ewig gewartet bis zur Umsetzung des Tipps. Heute war es dann soweit und ich freue mich, dass ich einen tollen Stummfilm über Stummfilme genießen durfte. Und ich musste mich wieder an die Pädagogikprüfung erinnern und an diese Frage, die ich im Studium wieder und wieder gehört habe.

"Warum sind sie nicht Schauspieler geworden?"

Donnerstag, 19. April 2018

Fünfzehn Punkte. Fünfzig Grad.

Langsam wird es Zeit für Unterricht draußen!

Die erste Schulwoche ist fast vorbei und ich hoffe, dass alle Kollegen gut gestartet sind - in die Woche der Sprechprüfungen für das Abitur in Englisch. Diese Prüfungen sind ein neuer Triumph in der Gleichschaltung des Abiturs, vermutlich mit dem Ziel der Vergleichbarkeit der Abiturergebnisse an den unterschiedlichen Schulen. Fühlt sich nur irgendwie für den Prüfer komisch an, der keine Miene verziehen darf, keine eigenen Sprechimpulse geben darf, jeglichen Hauch von Menschlichkeit abzulegen hat. Versteht sich von selbst, dass man die Schüler im Unterricht auf diese Prüfungssituation vorbereitet; schließlich sollen sie alle Prüfungsteile selbst moderieren, strukturieren, vortragen. Und das klappt mal mehr, mal weniger gut.

Ich erinnere mich noch an mündliche Englischprüfungen als Teil des ESA - Hauptschulabschluss. Und die Angst, dass die Schüler so unfit in der englischen Sprache sein könnten, dass man dort betreten schweigend sitzt und selbst die erlaubten Gesprächsimpulse nichts bewirken. Das sind dann die Situationen, in denen mir für gewöhnlich auch noch der Magen knurrt. Peinlich... wobei, solche Situationen können auch hervorragend im Abitur auftreten. She don't ist ein Klassiker, und als Lehrer muss man sich zurückhalten. Solche Schnitzer wandern ausschließlich in's Protokoll, und dann kommt der Zeitdruck.

Zeitdruck Eins besteht darin, jeden Schüler nach etwa vier Minuten abzuwürgen und zum nächsten Aufgabenteil zu lenken, egal, wie gut die Diskussion gerade laufen mag. Und Zeitdruck Zwei besteht darin, nach der Prüfung innerhalb von zehn bis maximal fünfzehn Minuten zur Notengebung zu gelangen. Gerade wenn man zum ersten Mal eine Abiprüfung abnimmt, fällt es einem womöglich noch nicht so leicht, einen Notenbereich vorzuschlagen. Deswegen ist es sicherlich gut, wenn man nicht in's kalte Wasser geworfen wird, sondern mit einem erfahrenen Kollegen zusammenarbeiten kann.

Sag' ausgerechnet ich, der nicht gut mit Anderen zusammenarbeiten kann...

Aber, und das sollte hier nicht verschwiegen werden, es kommen auch immer wieder ein paar richtig gute Prüfungen, die im Einserbereich anzusiedeln sind. Und da ist es ein richtiger Genuss, sich als Englischlehrer einfach zurückzulehnen und zu grinsen. Ich hoffe, dass es auch in den Klausuren solche lichten Momente geben wird, dann macht auch die Zweitkorrektur Spaß.

Passend dazu wird es warm draußen. Und heiß hier drinnen. Das ist mal wieder typisch: Kaum wird es Sommer, haut es mich erstmal aus den Latschen, und so habe ich mit Brummschädel, verstopfter Nase und "interessantem" Kreislauf flachgelegen. Vielleicht kommt dazu, dass ich an den ersten Schultagen gedanklich so eingebunden war, dass ich mal wieder das Essen und Trinken vergessen habe. Ich muss mir wieder die Schilder in der Wohnung aufhängen, die mich daran erinnern. Dass ich wieder mehrere Tage nichts im Blog gepostet habe, ist ebenfalls ein Symptom der geistigen Auslastung.

Ich liebe den Frühling und den Sommer, ich liebe die Sonne, ich liebe die Wärme, und ich habe kein Problem damit, wenn es in der Wohnung heiß wird. Einer der Gründe, warum ich immer noch in dieser Wohnung bin.

Ich hoffe, dass ich morgen fitter als heute bin, denn ich würde den Tag gern im Freizeitpark verbringen. Mit dem Kreislauf von heute wird das allerdings nichts; ich lasse mich überraschen.

Samstag, 14. April 2018

Make it a great day!

Time for some adventure! ...hoffentlich bald wieder ;-)

Vor ein paar Jahren bin ich zum ersten Mal in die USA geflogen. Ich hätte dort Vieles machen können, aber ich wollte eigentlich nur einen Freizeitpark besuchen. Die Reise habe ich lange und detailliert durchgeplant, und ich hatte auch ein bisschen Angst davor, denn das war etwas komplett Neues. Ja, ich war vorher auch schon einmal geflogen, vor elf Jahren zur Exkursion nach Griechenland. Aber diesmal war ich ganz allein in einer anderen Welt. Und ich erinnere mich noch sehr gut an einen Satz aus einer Mail, und zwar hatte ich wegen diverser Fragen an den Park geschrieben und hatte auch eine Antwort bekommen, die mit folgendem Satz endete:

"Make it a great day here at Kings Island!"

Das ist natürlich eine Standardphrase, eigentlich nichts Besonderes, aber sie hat bei mir damals einen Nerv getroffen - sonst würde ich mich wohl kaum Jahre danach noch daran erinnern und einen Artikel dazu schreiben. Denn dieser Satz hat mir vor Augen geführt, dass ich es selbst in der Hand habe, wie mein Tag im Park wird. Ich selbst kann daraus einen fantastischen, unvergesslichen Tag machen.

"Klingt ja schön und gut, aber stell' dir vor, es regnet, dein Portemonnaie wird geklaut, du hast einen Kreislaufzusammenbruch... das sind alles Dinge, die du nicht in der Hand hast, und dann klingt das Make it a great day! nicht mehr ganz so einfach." - Das ist vollkommen richtig. Es ist wahrlich schwer, einen Tag im Freizeitpark zu einem großartigen Tag zu machen, wenn er von Unwägbarkeiten beherrscht wird. Der Wagen springt nicht an. Das Getränk im Rucksack ist ausgelaufen. Und dann zieht auch noch Regen auf! Aber, wie ich hier im Blog mittlerweile schon mehrmals erzählt habe, helfen mir die buddhistischen Lehren, mit diesen Unwägbarkeiten umzugehen. Kopftechnisch. Denn unser Empfinden eines Tages wird durch unser Gehirn gesteuert. Und deswegen trainiere ich immer weiter, um den Dingen Positives abzugewinnen.

Natürlich habe ich großartige Tage in den USA verbracht, und diese Mail hatte mir richtig Laune darauf gemacht. Man kann nun von der Sache abstrahieren, indem man nicht nur sagt, dass ich mein Empfinden eines Tages selbst in der Hand habe, sondern dass ich mein ganzes Leben selbst in der Hand habe. Natürlich gibt es auch hier wieder die Unwägbarkeiten: Arbeitslosigkeit, Schulden, Krankheit, Unfall. Aber der Grundgedanke ist immer präsent: Ich habe mein Leben selbst in der Hand und muss mich von niemandem steuern lassen. Im grauen Alltag vergesse ich das manchmal wieder, und dann sind solche kathartischen Momente sehr hilfreich.

Es gibt diverse Medien, Bücher, Videospiele und Filme, die sich genau mit diesem Topos auseinandersetzen. Das scheint ganz beliebt zu sein. In Matrix (1999) lernt ein Hacker, die Welt nach seinen Vorstellungen auszugestalten. In Dark City (1998) macht der Held das dann auch.

Kennt Ihr das Gefühl? Diese Momente, in denen man sich endlich wieder bewusst wird, dass man sein Leben selbst kontrollieren kann? Ich hatte gerade erst über Momente geschrieben, in denen wir klarer sehen können; die Buddhisten nennen das Bodhichitta.

Nicht falsch verstehen: Natürlich gibt es auch nach dieser Einsicht noch die Unwägbarkeiten. Gab es immer, wird es immer geben. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Und nicht immer sind es andere Menschen, die uns zu kontrollieren scheinen; hin und wieder kann es unglaublich befreiend sein, die eigens auferlegten Fesseln abzuschütteln. Diesen Topos fand ich im Film Cloud Atlas (2012) sehr gut dargestellt.

Ich habe darüber schon einmal geschrieben, warum also dieser Beitrag? Weil ich mich selbst regelmäßig wieder daran erinnern muss. Und weil ich vor ein paar Tagen Dark City (mittlerweile dreimal) gesehen habe, der mich stark beeindruckt hat (findet sich bei mir im Kopf neben Suspiria, Cloud Atlas und Mulholland Drive wieder).

Also, liebe Kollegen, wenn übermorgen die Schule wieder beginnt: Ihr habt es in der Hand, wie Ihr die Tage erlebt!

Freitag, 13. April 2018

Die Fliege


Ich meditiere sehr gern und viel. In meiner Jugend wäre ich nie auf die Idee gekommen, das zu tun, und auch zu Beginn meines Studiums hatte ich die Einstellung, dass das wertvolle Zeit ist, die ich nützlicher verbringen könnte. Nichts könnte der Wahrheit ferner sein, und heute hat eine Fliege es geschafft, mir das wieder in's Bewusstsein zu rufen.

Wenn ich in die Meditation gehe, habe ich meistens vorher geduscht oder gebadet, so dass die Haut etwas aufgeweicht und anfälliger für Reize ist. Ich finde das sehr schön, das ist auch der Grund, warum ich zum Meditieren gestärkte Handtücher brauche: Wenn ich mich langsam auf das knisterige Handtuch lege, kribbelt es am Körper, und ich nehme das tatsächlich als sehr angenehm wahr.

Die weiche Haut bedeutet aber auch, dass es ein absoluter Meditationskiller sein kann, wenn ohne Vorwarnung im Moment tiefster Entspannung eine Fliege auf dem Körper landet und herumkrabbelt. Vor ein paar Jahren hat mich das rasend gemacht: Ich unterbreche die Meditation abrupt, Licht an, und versuche, das Monster zu beseitigen, damit ich wieder "ungestört" in die Gedankenwelt abtauchen kann.

Heute hat sich eine Fliege auf meinem linken Arm niedergelassen, und ich war für einen kurzen Moment versucht, sie zu verscheuchen. Ich habe es dann aber gelassen und habe sie weiterkrabbeln lassen. Es hat mich überhaupt nicht gestört. Das ist das Ergebnis jahrelanger Meditation: Ich halte mehr aus, werde nicht gleich bei der kleinsten Kleinigkeit verrückt.

Das hat weitreichende Konsequenzen, denn ich bin mittlerweile nicht mehr so ängstlich wie früher. Paradebeispiel Zahnarzt - als ich damals erfahren habe, dass alle Weisheitszähne raus müssen, hatte ich nur noch Dauerpanik und brauchte am Vorabend der OP ein Benzodiazepin zur Beruhigung. Heute ist das anders; ich habe keine Angst mehr davor, zum Zahnarzt zu gehen, und auch keine Angst mehr davor, dass er bohren muss o.ä.; außerdem kann ich mittlerweile wesentlich mehr Schmerz aushalten.

Ich staune selbst, wie viel man mit konzentrierter Meditation erreichen kann. Und dann macht es mir auch nichts mehr aus, dafür eine Stunde meines Tages zu "opfern", im Gegenteil, ich sehe es als Training und als Chance. Ich werde ausgeglichener, friedlicher. Das hätte ich damals nie gedacht, ich dachte früher, Meditationen seien irgendein Esoterikkram, rumsitzen und langweilen.

Die Fliege heute hat mir meinen Fortschritt in's Bewusstsein gerufen, und es hat sich toll angefühlt.

Donnerstag, 12. April 2018

This is strange...

Endlich ist es wieder soweit!
(https://www.hansapark.de/files/bilder/Der%20Park/Attraktionen/Fahrattraktionen/Der%20Schwur%20des%20KAERNAN/Der-Schwur-des-Kaernan-6.jpg)


Sonnencreme? Check. Fotoapparat? Check. Saisonkarte? Check. Freizeitpark-Outfit? Check. Autoschlüssel, gutes Wetter, gute Laune? Check!

Here goes die neue Freizeitparksaison, ab Frühjahr erklären sich deutsche Freizeitparks bereit, Besucher zu verschlingen - abgesehen von dem einen oder anderen Europa-Park, der auch eine Wintersaison hat. Für mich ein ganz wichtiger Moment, denn mit dem ersten Besuch der Saison schüttel' ich die "Überwinterungshaut" ab, mache mich locker, fange an, das reale Leben da draußen wieder zu genießen.. Ich höre wieder Dub (jetzt gerade Otts Squirrel and Biscuits, der Gute-Laune-Song schlechthin), ich ziehe wieder luftigere Sachen an. Das ist mir wichtig, denn wenn ich dicht einklamottet bin, fühlt es sich auch figurativ wie eine Last auf mir an (deswegen habe ich bei den Meditationen auch immer so wenig Kleidung wie möglich an).

Ich fange wieder an, durch die Wohnung zu tanzen, in meinem Körper nistet sich wieder ein ständiger Beat ein, der mich dazu bringt, zu lächeln, zu nicken, mit den Füßen zu tappen, entspannter an die Dinge heranzugehen, den Blutdruck runterzufahren. Die Sonne scheint den ganzen Tag über in meine Wohnung und bringt meinen Serotoninlevel auf einen angenehmen Stand.

Ich habe diesen Tag komplett durchgestylt, vom Frühstück über Musik während der Autofahrt, die Route im Park, das Abendessen, Meditationszubehör ist vorbereitet, Wetterbericht intensiv verfolgt, aufgetankt, Ölstand kontrolliert, damit nichts mehr schiefgehen kann. Der Morgen startet mit Dub, ich springe durch die Wohnung und räume zumindest ein paar Dinge aus dem Weg - der offizielle Frühjahrsputz beginnt erst morgen.

Und dann passiert etwas. Ich kann es nicht beschreiben, ich kann nicht sagen, was es ausgelöst hat. Ich glaube, am besten kann jeder Leser das nachvollziehen, wenn ich sage: "Ein Moment, der mir die Augen geöffnet hat." Jedenfalls habe ich meine komplette Tagesplanung innerhalb weniger Minuten umgeworfen und bin zuhause geblieben. Mit diesem Moment hat eine sehr wichtige Phase begonnen, dazu unten mehr.

Obwohl der Beitrag This is strange heißt, kenne ich dieses Verhalten ja von mir. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum ich mich ungern mit anderen Menschen verabrede: Ich weiß nicht, ob ich zu dem Zeitpunkt nicht viel lieber etwas Anderes machen würde, bin da also sehr unzuverlässig. Die Sannitanic und die große Buba haben das beide schon recht oft zu spüren bekommen (und sie sind trotzdem noch bei mir, zum Glück).

Ich glaube, es ist wichtig, wie man selbst mit seinem Verhalten umgeht - wie man es bewertet, wenn überhaupt. Vor einigen Jahren hätte ich mir dafür Vorwürfe gemacht: "Du hast dich so auf den Park gefreut, warum fährst du denn jetzt nicht los?" - "Weißt du eigentlich, was du alles verpasst?" - "Nachher bereust du es!" - und genau an dem Punkt habe ich anzusetzen gelernt: Nichts bereuen.

Und so bereue ich diesen Tag nicht im Geringsten. Im Gegenteil, ich habe ihn zu einem der wichtigsten Tage in diesem Jahr für mich gemacht. Der Tag, an dem ich die Winterdepressionen abschüttele. An dem ich realisiere, dass ich mein Leben selbst in der Hand habe. An dem ich realisiere, dass ich Kontrolle über meinen Körper habe, und dass Deprivation Genuss bedeuten kann, und Überfluss Last.

Das habe ich am Sonntag geschrieben. Den folgenden Teil habe ich gestern und heute erstellt.

Ich habe geschrieben, dass mit diesem Moment eine sehr wichtige Phase für mich beginnt. Diesen Moment des Augenöffnens habe ich in jedem Jahr, irgendwo im Frühjahr. Es ist der Moment, an dem ich realisiere, dass der Winter vorbei ist, und dass der Sommer kommt. Das mag nun keine große Sache sein, aber für mich ist es das eben doch, weil mein komplettes Leben und mein Denken im Sommerhalbjahr anders aussehen. Das war eigentlich schon immer so, aber gerade in meiner neuen Wohnung wird es mir noch deutlicher bewusst.

Ich wohne direkt unter dem Dach. Ich habe eine Eckwohnung, deren Fenster genau am Lauf der Sonne ausgerichtet sind. Dadurch ist meine Wohnung lichtdurchflutet und heizt sich im Sommer recht extrem auf - was wiederum dazu führt, dass ich in meiner Wohnung in der Regel nackt bin. Das klingt ungewöhnlich und vielleicht auch "unheimlich", aber ich habe gemerkt, dass es ein echter Genuss ist, den Körper nicht mit Kleidung zu belasten. Ich versuche eben, in einer eigentlich ungemütlichen Situation das Gute zu sehen.

Ich fühle mich unbeschwerter, freier, unkomplizierter. Das Leben fühlt sich für mich unbeschwerter, freier, unkomplizierter an. Es ist die Chance, etwas zu verändern, wenngleich ich mir bewusst bin, dass ich - um das durchzuhalten - mein Leben achtsamer und bewusster führen muss. Und oft genug scheitere ich irgendwann. Aber der Versuch ist es immer wieder wert.

Diese Momente des Augenöffnens werden in den buddhistischen Lehren als Aufblitzen des absoluten Bodhichitta bezeichnet. Bodhichitta bedeutet in etwa "Erwachen"; die ganzen Namen mögen überall anders sein, aber ich denke, die meisten von uns erleben diesen Moment in ihrem Leben, nicht oft, aber definitiv mehr als einmal. Und der buddhistische "Krieger" versucht, sein Leben auf diese Momente hin zu leben. Ganz so esoterisch ist es bei mir zwar nicht, aber zumindest habe ich meine Verhaltensweise ein wenig geändert.

Wenn ich merke, dass so ein Moment geschieht, dann nutze ich ihn. Ich räume alles beiseite, was diesen Moment stören könnte. Ich bremse mein Denken und Handeln herunter, um den Moment nicht zu überfahren. Ich gehe in mich, lasse kaum einen anderen Menschen in dieser Phase an mich heran. Ich erlebe die Zeit sehr intensiv - und sehr gedankenintensiv. Jeder Schritt fühlt sich "bewusster" an, auch weil ich weiß, dass es genau diese Weise ist, auf die ich mein Leben eigentlich genießen möchte: Bewusst, achtsam, meines Selbst gewahr.

Natürlich klingt das alles ein wenig abgehoben. Und für gewöhnlich verfliegt dieses Gefühl von allein wieder, spätestens nach ein paar Tagen. Dann melde ich mich auch wieder, bei meiner Familie, bei meinen Freunden. Dann kehre ich auch wieder zu diesem Blog zurück - und ich bin auf das Vertrauen der Menschen angewiesen, die mich lieben: Das Vertrauen, dass Alles in Ordnung ist. Dass ich einfach nur diese Zeit für mich selbst brauche.

Ich lasse - aus der Erfahrung heraus - in diesen Phasen nur drei Menschen an mich heran. Das Telefon ist herausgezogen. Emails müssen warten. Mit Ausnahme der Nachrichten der Sannitanic, der großen Buba, und auch Er gehört zu den wenigen Menschen, die mich in dieser Phase erreichen können. Ich weiß, Er wird das hier nicht lesen, und ich bin mir nicht sicher, ob Er sich seiner Bedeutung für mich bewusst ist, aber das macht auch gar nichts. Ich weiß, dass ich ihm vertrauen kann, und darum geht es mir, und ich weiß, dass ich der Sannitanic vertrauen kann, und auch der großen Buba. Immer.

Und so kehre ich nun heute und morgen langsam in den Alltag zurück. Ein wenig schade ist es, diese Sphäre der gedanklichen Klarheit zu verlassen - verlassen zu müssen - aber das muss sein, denn was steht nicht alles an: Ich muss einen Satz Klassenarbeiten korrigieren, am Dienstag bin ich in die Sprechprüfungen zum englischen Abitur involviert und ich muss mir meiner Haltung zur Arbeit an der KGS bewusst werden. Ich schiebe das alles auf das letzte Wochenende der Ferien. Das mache ich immer. Nicht, weil ich faul wäre, oder ein Drückeberger, oder wegen Prokrastination. Sondern, weil mir diese Momente der gedanklichen Klarheit viel wichtiger sind als die Schule, und weil die Ferien für gewöhnlich eine sehr wertvolle Chance bieten, diese Momente wahrzunehmen, mich nach ihnen auszurichten und sie nach voller Lust auszukosten.

Die Ferien bedeuten für mich Ferien. Und so möchte ich es auch meinen Schülern wünschen. Diese Einstellung ist erst mit der Zeit gekommen; anfangs habe ich den Schülern über die Ferien immer Hausaufgaben aufgegeben, sowohl schriftlich als auch Lernaufgaben. Das möchte ich eigentlich nicht mehr machen.

Und ich freue mich auch, nun dem Blog wieder Aufmerksamkeit zulassen zu können. Mir sind in der Zeit so viele tolle Ideen für Artikel durch den Kopf gegangen. Aber, um es einfach auszudrücken: In dieser Phase möchte ich bei mir sein - und nicht bei Euch.

Und meine Freunde verstehen das auch, glaube ich.

Samstag, 7. April 2018

Mut zum Feedback


Geht es jedem Menschen so, dass er sich zunächst einmal nicht kritisieren lassen möchte? Dass er denkt, er macht alles richtig, so wie er es macht, und er könnte ewig so weitermachen? Jedenfalls ging es mir an meiner ersten Schule so, damals in Husum, damals im Referendariat.

Als ich von der Uni kam, hatte ich ja keine Ahnung, ob ich überhaupt mit Menschen arbeiten möchte. So viele Kinder um mich herum? Igitt, nimm' das wech! ...dachte ich. Und dann waren irgendwann die ersten Schulwochen um und ich bekam Positives zu hören. Zu meiner Lehrerpersönlichkeit, zum Unterricht etc. - Ihr kennt das sicherlich, ich glaube, das ist ganz oft so, wenn man an eine neue Schule kommt. Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass ich das Negative nicht habe wahrnehmen wollen. Ich brauchte etwas, das mir bestätigt, dass ich eben doch mit Kindern arbeiten kann. Etwas gegen mein dauerbeschädigtes Selbstbewusstsein (immer noch als Konsequenz meiner Jugend).

Und so bin ich dann, abgesehen von den Unterrichtsbesuchen - wobei, komisch, da kam auch positives Feedback, das lag aber daran, glaube ich, dass man immer erstmal Positives herauskehren soll, bevor man an die Kritik geht. So bin ich dann strahlend und grenzenlos selbstverliebt durch die Schule gegangen und habe mich gefühlt wie ein neuer Pädagogik-Gott. Ja, es ist peinlich, das jetzt so zu lesen, aber so war es nun einmal. Und wenn ich Feedback-Runden mit den Schülern gemacht habe, wenn ich ihnen gesagt habe, dass sie Positives (+) und Negatives (-) aufschreiben sollten, kam nie wirklich viel Negatives zusammen.

Was mir in dieser Situation gut getan hat, waren die Abschiedsworte meines Lateinmentors collega cuneusligneus. Wir haben uns fantastisch verstanden während des Refs, sehr zur Unbill meiner Schulleitung. Er hat mir wenige, aber dafür genau die richtigen Denkimpulse gegeben (weil er versucht hat, mich zu verstehen, und daraus Konsequenzen für seine Mentorentätigkeit abgeleitet hat). Einer dieser richtig tollen Denkimpulse war sein Abschiedsgruß - das hat mir nämlich in meiner ansatzweisen Verblendung ganz gut getan: "Nimm' eine Sache mit auf den Weg: Es finden dich nicht alle toll."

Natürlich habe ich erstmal weiterhin gelächelt, innerlich einfach nur froh, von der Schule wegzukommen. Aber es hat mir schon einen gewissen Dämpfer verpasst. Das wollte ich an jenem Tag eigentlich nicht hören. Genau genommen auch nicht an irgendeinem anderen Tag. Ich habe mir viel lieber das ganze Lob reingezogen. Auf längere Sicht kann das aber ziemlich fiese Konsequenzen haben.

Wenn ich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Elternsprechtag zu Elternsprechtag immer nur höre, dass die Kinder ja so glücklich seien oder whatever, lässt es mich mit der Zeit denken, ich sei tatsächlich unfehlbar. Ein fantastischer Pädagoge, viel besser als die Kollegen, die dreißig Jahre lang schon ihren vertrockneten Unterricht machen. Dass das völliger Unsinn ist, gerät dabei immer weiter in den Hintergrund: Nobody is perfect, und erst recht ist kein Lehrer sein ganzes Leben über unschlagbar gut.

Wir alle sind angewiesen auf neue Impulse. Wir alle haben zu jedem Zeitpunkt im Leben Potential, uns weiterzuentwickeln. Wenn ich das aus den Augen verliere, dann werde ich irgendwann in dreißig Jahren selbst einer dieser vertrockneten Pädagogen sein, engstirnig, mit riesigen Scheuklappen, die sich bereits jetzt in meiner beruflichen Laufbahn andeuten.

Und noch etwas fehlt mir dadurch: Rückgrat. Wenn ich nie negatives Feedback bekomme, mir niemand mein Potential aufzeigt und ich denke, dass ich alles richtig mache, steigt vor jeder herausfordernden Situation die Angst. "Ich mache ja sonst alles richtig, aber hier?" - "Kann doch eigentlich gar nicht sein, dass ich keine Schwächen habe!" - "Scheiße, was ist, wenn ich das alles jetzt richtig verbocke?" Und das kann mich gedanklich intensiv beschäftigen. Abends, wenn ich im Bett liege und eigentlich mit gutem Gefühl einschlafen sollte. In den Ferien, in denen ich eigentlich gedankliche Freiheit genießen sollte.

Pema Chödrön hat einen Ratgeber zur buddhistischen Denkweise geschrieben mit dem Titel Geh' an die Orte, die du fürchtest. Der Titel beschreibt es eigentlich schon umfassend: Ich soll mich mit dem, was auf mich negativ wirkt, auseinandersetzen. Ich soll mich meinen Ängsten stellen. Ich soll mich auch der angebrachten Kritik stellen. Denn so kann mir niemand mehr den Boden unter den Füßen wegziehen, indem er eine Kritik bringt, die mich völlig unerwartet trifft, die in mir aber den Gedanken auslöst "Ach du Scheiße, was, wenn er Recht hat???" - wenn ich mir meiner Schwächen bewusst bin und mich in der Hinsicht immer wieder "update", macht mich das stärker. Es nimmt mir die Angst.

Auch, wenn es anfangs unangenehm ist. Denn ich dachte ja immer, ich sei so toll, so ein toller, unfehlbarer Lehrer. Die erste angebrachte Kritik ist oft die unangenehmste. Aber ich bin überzeugt, dass man davor nicht weglaufen sollte.

Dafür bedanke ich mich seit Jahren bei collega cuneusligneus.

Freitag, 6. April 2018

Sextape

Macht eigentlich nur noch neugieriger, oder...?

Die USA haben in bestimmten Regionen eine interessante Prioritätenordnung - so wurde beschlossen, Entscheidungen über strengere Waffengesetze zu vertagen. Stattdessen wurde Pornographie als Gesundheitsrisiko eingestuft, vor dem man die Jugend schützen müsse.

Das kann man beurteilen, wie man will. Tatsache ist, dass wir auch in Deutschland Vieles versuchen, um unsere Jugend vor nicht für ihr Alter geeigneten Medien zu schützen. Und so ganz unsinnig ist das auch nicht - wenn die FSK-Labels denn "vernünftig" vergeben werden.

Wenn ich mir einen Film bei Amazon bestelle, der ab achtzehn Jahren freigegeben ist, dann muss der Postbote bei Aushändigung der Post das Alter mittels Ausweis kontrollieren. Egal, ob es um Sextapes, Horrorfilme oder whatever geht, was FSK18 rechtfertigen könnte.

Kleiner Exkurs: Wie ich vor einer Weile geschrieben habe, hat die dritte Staffel Twin Peaks das Achtzehn-Label verdient - und nun packe ich die Post aus und sehe FSK16? Ich hoffe, dass das keine geschnittene Version ist. Es handelt sich hierbei um ein Kunstobjekt, und gerade in der dritten Staffel geht es intensiv darum, woher Gewalt kommt und was sie mit Menschen anstellen kann.

Nun gut, worum es mir aber eigentlich geht, ist etwas völlig Anderes: Ich hatte mir The Cell bestellt. Der Film hat das FSK18-Label, somit hatte ich, als der Postbote geklingelt hat, auch gleich den Ausweis parat - aber das war gar nicht nötig. Der Postbote, ein junger Mann, schien unter Zeitdruck zu sein, jedenfalls hat er sich nicht an die Regelung der Alterskontrolle gehalten.

Und darum geht es mir: Regeln. Denn ich kenne das ja, ich breche auch Regeln. "Die Ampel ist rot, aber es ist ja kein Auto zu sehen, also gehe ich rüber." - "Mitte des Monats bin ich mit Putzen dran (Flurwoche) - aber macht ja auch nichts, wenn ich nichts mache." Und ich bin mir sehr sicher, dass der eine oder andere Pädagoge und auch der eine oder andere Lehrer da draußen schon einmal Regeln übertreten hat, wenn es um das Wohl des Kindes ging, denn manchmal legt uns das Schulgesetz Steine in den Weg.

Mich verunsichert, dass ich mich scheinbar an manche Regeln halten muss und an andere nicht ("niehcht", sagt die große Buba). Und weil ich da unsicher bin, halte ich mich anfangs erstmal an alle Regeln (wenn ich sie kenne). Und ich find' es ziemlich scheiße, wenn andere Menschen sich darüber amüsieren, dass ich mich an die Regeln halte. Dreck, ich kann gerade noch nicht einmal ein konkretes Beispiel geben. Naja, zum Beispiel, wenn ich mich an die Höchstgeschwindigkeit mit dem Auto halte.

Ist das ein HB-Ding? Eine Schnittmenge zwischen Hochbegabten und Autisten ist das Sehnen nach Sicherheit, nach klaren Regeln, nach Regelmäßigkeit. Es verunsichert mich wirklich sehr, wenn ich nicht weiß, an welche Regel ich mich halten muss und an welche nicht. Haben Normalbegabte damit auch so ein Problem?

post scriptum: Heute "Blade Runner" (1982) gesehen, im Final Cut. Großartiger Film, dabei dachte ich immer, dass ich mit Science Fiction nichts anfangen kann. Aber der Film ist ein Augenschmaus, düster, das hat mir echt gefallen, und die Musik von Vangelis passt perfekt in die surreale Atmosphäre.

Mittwoch, 4. April 2018

Anamorphose

Was soll das sein?

Eine Anamorphose ist eine Art Verzerrbild - es kann sich dabei auch um eine Nachricht handeln. Die tatsächliche Nachricht oder das tatsächliche Bild lässt sich nur mittels bestimmter Technik erkennen - zum Beispiel, indem das Bild gespiegelt wird, eventuell mittels eines gebogenen Spiegels, oder indem man das Bild in einem bestimmten Winkel betrachtet.

Das Bild oben ist eine Anamorphose, die ich gern verwende, um Schülern klarzumachen, was es bedeutet, es komme in einer Sache "auf den Blickwinkel an" - fand ich ganz anschaulich und ist tatsächlich für einige Schüler eine ganz neue Erfahrung.

Was oben steht? Da hilft nur ausdrucken und in einem sehr spitzen Winkel anschauen ;-)

Dienstag, 3. April 2018

Starthilfe, Schmelzkäse, Einrasten

Irgendwo da unten...

vorweg: Wie im letzten Beitrag geschrieben, habe ich mir gestern Tarsems Film "The Fall" (2006) angeschaut - ich bin hin und weg, wie ein Film mit so wenig "Grundlage" so bezaubernd sein kann. Die Story ist, naja, eine Geschichte, die ein Mann in einem Hospital einem fünfjährigen Mädchen erzählt - gezeigt wird sie per subjektiver Kamera aus der Sicht des Mädchens und das unglaublich bildgewaltig; definitiv ein weiterer Beitrag in der Kategorie Style Over Substance und ein weiterer Film für meine Bluray-Sammlung.

Zurück aus... wo war ich? ...wann war ich? ... ...wer und vor allem... wie war ich??? Ich fange vielleicht dort an, wo die Geschichte beginnt. Weit vor dem Einrasten, weit vor dem Schmelzkäse, weit vor - oder eigentlich genau während der Starthilfe, oder besser, dem Mangel an selbiger.

Lehrer haben die unsinnige Angewohnheit, pünktlich zu den Ferien krank zu werden. Da das so ein Trend zu sein scheint, weigere ich mich natürlich, daran teilzuhaben. Dafür falle ich in eine andere Art Loch, und das ist nicht unbedingt besser; kaum legt sich der Schulstress, stellt sich eine Form der Katatonie ein. Antriebslosigkeit. Ich bekomme den Arsch nicht mehr hoch. Und wie passend - die Ferien beginnen natürlich mit dem Feiertagswochenende, an dem sowieso alles tot zu sein scheint, wenn man vom Klopapier-Einkaufswahn davor und danach und am Samstag mittendrin absieht.

Und so steigere ich mich von Tag zu Tag immer mehr in die Antriebslosigkeit hinein und sehe auch keinen Grund, da rauszukommen: Ich bin mit einem Videospiel versorgt, ich habe noch Nahrungsmittel zuhaus und zur Not reichlich Schnellimbisse innerhalb von fünf Minuten erreichbar. Mittlerweile muss man ja überhaupt nichts mehr einkaufen, zumindest dafür nicht das Haus verlassen: Das Wunder Internet sorgt dafür, dass man sich alles schicken lassen kann und dass der Fachhandel vor Ort eingeht. Wie toll! Moderne Zeiten, würde Charles Chaplin gesagt haben, oder Jacques Tati.

Zumindest könnte man sich alles kommen lassen, wenn die Versandunternehmen mitspielten. Da ich bei DHL mittlerweile grundlegend davon ausgehe, dass alle Lieferungen erstmal einen Tag in den Verteilzentren herumliegen - und das geht noch besser: Letztes Mal lag meine Lieferung nicht nur drei Tage im Verteilzentrum herum, sondern wurde dabei beschädigt, neu verpackt und zwei weitere Male ausgeliefert, so dass ich acht Tage nach Versanddatum ein Monster in Plastik entgegennehmen konnte. Da ich auf so etwas mittlerweile gefasst bin, versuche ich auf andere Versandunternehmen umzusteigen, wenn möglich. Und dachte einmal, DPD sei eine nette Alternative.

Und so sollte am Samstag eine Lieferung hier ankommen, und damit beginnt die Geschichte, die auch mit Schmelzkäse zu tun hat. Ich finde es ziemlich genial, dass man bei DPD ein "Live-Tracking" machen kann. Wenn man auf deren Seite die Sendungsnummer und die Postleitzahl eingibt, wird direkt angezeigt, wo das Paket gerade ist. Auf einer Karte. Und das wird regelmäßig aktualisiert; darüber hinaus wird ein Zeitfenster errechnet, in dem die Lieferung ankommen soll.

Die Idee ist fantastisch, stellt aber hohe Anforderungen an die Paketboten. GPS lebe hoch, und so sehe ich am Samstag auf der Karte einen kleinen Avatar, der mir anzeigt, dass der Wagen mit meinem Paket noch in Gaarden herumeiert. Wird voraussichtlich zwischen 11:44 und 12:14 Uhr hier eintrudeln. Und so aktualisiere ich die Karte hin und wieder, der Wagen kommt meinem Haus immer näher, ich kann näher heranzoomen, der Wagen steht zwei Straßen weiter. Und dann... passiert nichts mehr. Der Status wird nicht mehr aktualisiert. Mittlerweile ist es 12:30 Uhr, und als ich die Sendungsverfolgung neustarte, wird das Paket überhaupt nicht mehr angezeigt. Bermuda-Dreieck? Waldwiesenkreisel?

Am Sonntag wird der Status aktualisiert: Man habe am Samstag um 11:59 leider niemanden in meiner Wohnung antreffen können und eine Benachrichtigung hinterlassen. Wie aufschlussreich. Ich war um 11:59 Uhr anwesend, und es wurde definitiv keine Benachrichtigung hinterlassen. Nun denn, ich lerne, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen, und akzeptiere eine erneute Zustellung am heutigen Dienstag.

Jetzt wird es spannend, und es ist auch nicht mehr weit bis zum Schmelzkäse. Heute zeigt mir der Sendungsstatus an, dass das Paket im Paketzentrum in Osterrönfeld liegt, gut, das kenne ich schon, im Laufe des Vormittags dürfte dann wieder der kleine DPD-Auto-Avatar auf der Karte angezeigt werden, Lieferdatum wird mit "heute" angegeben. Um 12:29 Uhr allerdings nicht mehr. Das Paket liegt im Depot, keine Zustellung. Jetzt wird es mir zu bunt, und es ist endlich so weit: Ich bekomme den Arsch hoch.

Und zwar telefoniere ich - und ich liebe es ja, mit unbekannten Menschen zu telefonieren! Aber es wird Zeit, dass ich endlich mal aktiv werde, dass ich endlich aus meinem Feriensumpf herauskomme. Also rufe ich bei DPD an, denn ich möchte herausfinden, ob ich das Paket persönlich in Osterrönfeld abholen kann. Und das ist gar nicht so leicht, bei DPD durchzukommen: Man soll am Sprachcomputer seine Sendungsnummer eingeben - zu einem menschlichen Ansprechpartner kommt man nur, wenn man still bleibt - was einem netterweise nicht erklärt wird.

Jedenfalls schaffe ich es, mir nach Hin und Her ein OK abzuholen: Das Paket liegt in Osterrönfeld bereit, ich kann es bis achtzehn Uhr dort abholen. Warum ich nicht einfach bis morgen warte? Um in die Gänge zu kommen! Jetzt habe ich endlich einen Grund, den ADAC antanzen zu lassen, weil mein Wagen ein paar Monate draußen still überwintert hat und die Batterie tot ist. Also folgt Anruf Nummer Zwei und eine gute halbe Stunde später kommt ein netter gelber Engel vorbei und gibt mir Starthilfe. Also, dem Wagen; meine eigene mentale Starthilfe hatte ich schon.

Und er gibt mir den Hinweis, dass meine erste Tour möglichst eine Stunde am Stück dauern sollte, damit die Batterie sich wieder etwas erholen kann. Also drucke ich mir meinen Fahrplan zum DPD-Lager in Osterrönfeld aus, fahre aber erstmal nach Rendsburg rein, eine kleine Sightseeing-Tour durch den Kanaltunnel, und dabei wird mir bewusst, dass ich monatelang nicht mehr Auto gefahren bin. Und endlich habe ich einen legitimen Grund mit achtzig Sachen über die A210 zu tingeln: Ich muss eine Stunde Fahrzeit voll bekommen, bevor ich mich nach Osterrönfeld aufmache und irgendwann dort endlich den Wagen auf einem Lidl-Parkplatz abstelle.

Neuland. Ich kenne mich nicht aus. Es trägt nicht gerade zu meinem Gefühl von Sicherheit bei, dass der Laden geschlossen ist - oder nicht? Überall stehen Leitern und Handwerker herum. Aber ich brauche ja keine Lütticher Waffeln (Buba sabbert), also kann mir Lidl egal sein. Ich gehe ein paar Hausnummern weiter. Von DPD nichts zu sehen, aber ein Pförtnerhäuschen. Ich gehe dort hinein, trage mich in eine Besucherliste ein. Ich bekomme einen auffälligen Anhänger, den ich während meiner Aufenthaltsdauer immer gut sichtbar tragen soll, ein Besucherausweis. Und ich bekomme die Wegbeschreibung, mit dem Hinweis, dass ich immer auf dem Weg innerhalb der gelben Linien bleiben soll. Muss so sein, denn sonst greift die Versicherung nicht, falls etwas passiert. Und es könnte etwas passieren, denn hier ist ein Umschlagplatz für diverse Unternehmen, es fahren ununterbrochen LKWs durch die Gegend.

Mit diesem neuen Ausweis um den Hals fühle ich mich wie... Schmelzkäse: Ich laufe und laufe, keine Ahnung, wohin, überallhin, und die gelben Linien, die den Gehweg begrenzen, sind wie der Rand des Backblechs, und ich achte darauf, nicht drüberzutreten. DPD? Nicht in Sicht, aber ich laufe weiter, um eine große blaue Halle herum, und plötzlich erkenne ich ein kleines weißes Gebäude mit einem großen Schild "DPD-Paketshop". Endlich hat die Odyssee ein Ende. Ich gehe dorthin, treffe eine sehr freundliche Frau hinter mehreren großen, schweren Türen, die mir mein Paket aushändigt. Von nun an ziert ein Dauergrinsen mein Gesicht.

Ich grinse, weil die Dinge jetzt laufen. Ich grinse, weil gerade die Sonne hervorkommt. Ich grinse, weil mein Auto tatsächlich wieder fährt, auch wenn ich noch nicht weiß, ob es nun auf dem Lidl-Parkplatz wieder anspringt. Grinsend gehe ich den gelb gerahmten Weg zurück, grinsend gehe ich zurück zum Pförtner, grinsend gebe ich ihm meinen Besucherausweis zurück und trage die Uhrzeits meines Abgangs ein. Grinsend steige ich in's Auto, lasse die Zündung an... er startet! Jetzt kann mir eigentlich alles egal sein. Grinsend fahre ich vom Parkplatz, grinsend fahre ich auf die A210.

Und dann fängt es an zu regnen, und dann kommt - wie immer - Stau auf der B76, und dann kommt noch dazu, dass Dank der Baustelle im Viertel Chaos am Waldwiesenkreuz herrscht. Und einige Autofahrer benehmen sich wie Vollpfosten! Ich könnte ausrasten! Aber: Ich raste lieber ein. Ich habe gelernt, in solchen Momenten Tonglen im Augenblick zu praktizieren, das ist eine Meditationstechnik, die mich runterfährt. Und so schaffe ich auch noch die letzten Meter, und als kleinen Gruß der ollen Areté bekomme ich den Parkplatz direkt unten an der Kreuzung.

Ein Abenteuer ganz besonderer Art. Was für ein Aufwand! Aber das war gut so: Endlich habe ich etwas gemacht. Und deswegen bin ich froh, wie der Tag sich entwickelt hat.

Zeit zum Meditieren.

Sonntag, 1. April 2018

Style Over Substance

Das visuelle Design des Films hat mich sehr angesprochen...

Vor einigen Tagen hat Er mir geschrieben, eine Antwort auf eine Nachricht, die ich ihm nach einer gefühlt ewigen Funkstille gesendet habe. Mein Fehler; ich hatte den Kopf so mit Schule vollgestopft, dass Er komplett in den Hintergrund geraten ist. Vielleicht nicht die schlechteste Idee. Jedenfalls hat Er geschrieben, dass er jetzt angefangen hat, The X-Files zu schauen, und ich habe ihm geschrieben, dass ich ihm gute Unterhaltung wünsche. Ich habe die Serie sehr genossen, unter anderem den Aspekt, dass es eine recht intelligente Serie ist, das hat mir sehr zugesagt.

Ist es das, was eine gute Serie oder einen guten Film ausmacht? Intelligenz? Jeder hat eine andere Vorstellung davon, was einen guten Film ausmacht. Und zusätzlich kann es auch noch von der Tagesform abhängen. Und dann gibt es immer wieder Filme, die das Publikum polarisieren. Die einen können dem Film etwas abgewinnen, die anderen finden immer neue Gründe, ihn zu hassen. Einer dieser Filme ist The Cell (2000) des Regisseurs Tarsem Singh, sein Spielfilmdebüt, nachdem er bis dahin viele Werbeclips und Musikvideos gefilmt hat.

Mich verbindet eine sehr langjährige Neugier mit diesem Film. 2001, in meinem Abiturjahr, hatten wir ein Fach mit dem Namen PU - Projektunterricht. Und ich weiß noch genau, wie ich in der zwölften Klasse auf die damals noch recht neu an die Schule gekommene Lehrerin Steffi Schiller zugegangen bin. Sie war dafür mitverantwortlich, dass mein Notenspiegel in der Oberstufe um mehr als eine ganze Note nach oben geklettert ist (neben Rainer Krüger) und ich fand sie einfach toll. Also habe ich sie nicht nur gefragt, ob sie meine Tutorin werden würde, das war so gut wie selbstverständlich, sondern ein Jahr später dann, ob sie mit uns einen Projektunterricht Filmanalyse machen würde.

Dazu ist es schließlich gekommen, und so haben wir uns in kleinen Gruppen Filme vorgeknöpft und uns bestimmten Aspekten der Filmanalyse gewidmet. Eine Schülerin hat ein Infoblatt zu The Cell geschrieben; ich weiß noch, wie ich das gelesen habe, den Film aber nie angeschaut habe. Obwohl das, was sie geschrieben hat, eigentlich ganz faszinierend klang. Und irgendwie verwirrend. Irgendwie zu surreal für mich. Das war vor beinah achtzehn Jahren; mittlerweile bin ich ein bisschen aufgeschlossener und neugieriger geworden und habe mich bei der Wikipedia über die Rezeption des Films informiert. Dort habe ich von der polarisierenden Wirkung des Streifens gelesen.

Von den großartigen Bildern, dem minimalen Plot, den eindimensionalen Charakteren, der Ähnlichkeit zu Silence of the Lambs. Bei Rotten Tomatoes hat gerade mal knapp die Hälfte der Kritiker eine positive Rezeption abgegeben, und ich kann jeden von ihnen verstehen. Der Hauptkritikpunkt war, dass dem Film einfach jegliche Substanz fehlt, weggelassen zugunsten eines visuellen Flairs, das bombastisch und für viele zu aufgesetzt wirkt. Style over substance, könnte man kurz und knapp sagen.

Dem mag ich zustimmen, aber für mich persönlich bedeutet das nicht, dass es gleich ein schlechter Film sein muss. Im Gegenteil: Ich bin äußerst empfänglich für bildgewaltige Filme. Ich mag es, mich auf Reisen in Fantasiewelten mitnehmen zu lassen, ich kann mich daran gar nicht satt sehen und hören. Meine Lieblingsszenen im Film Interstellar sind die Reise durch das Wurmloch und der Flug in's Schwarze Loch. Eine meiner Lieblingsszenen in Contact ist die Reise durch die höhere Dimension. Und einer der Filme, die ich immer wieder schauen kann, ist Dario Argentos Suspiria, der wie eine Meisterübung in style over substance wirkt.

Weil die Ausgangslage immer unsere ganz normale Realität ist, mit der ich mich noch sehr gut identifizieren kann, und plötzlich gehen die Filmhelden dann etwas weiter und reisen in unvorstellbare Welten.

In The Cell reist Jennifer Lopez (besser, als ich vielleicht denken sollte) in der Rolle einer Sozialarbeiterin mittels einer Virtual-Reality-Einrichtung in das Bewusstsein eines kleinen Jungen, der im Koma liegt. Das erste Viertel des Films widmet sich diesen Reisen, so dass ich schnell damit vertraut werde. Parallel wirft Tarsem weitere Storylines ein und wir sehen, wie ein Serienmörder (Vincent D'Onofrio) seiner Arbeit nachgeht. Dabei zeigt er sehr ungewöhnliche Verhaltensweisen, die mich fragen lassen, warum er das alles wohl macht. Ich frage mich, was in seinem Kopf vorgeht, und ich denke mir, dass es bestimmt aufregend wäre, sein Bewusstsein in der virtuellen Realität zu erforschen.

Stargher, der Mörder, wird recht bald gefasst, in einem Zustand der Katatonie - er reagiert kaum noch auf äußere Reize und Kommunikation mit ihm scheint unmöglich. Das Prekäre an der Lage: Er hat vor seiner Gefangennahme noch eine Frau entführt und hält sie in einer Zelle gefangen. Wenn es nicht innerhalb von wenigen Tagen geschafft wird, sie zu finden, wird sie genauso sterben wie ihre Vorgängerinnen. Also wird versucht, in Starghers Bewusstsein zu gehen, um herauszufinden, wo die Frau gefangen gehalten wird.

Das ist die Prämisse, und damit ist auch schon der gesamte Plot erzählt. Alle oben genannten Kritikpunkte sind berechtigt, aber die Ausflüge in die Gedankenwelt eines Serienmörders sind visuell beeindruckend. Ich weiß, dass ich den Film unbedingt noch einmal sehen möchte. Es kommen keine Aha-Effekte, der Plot sollte besser nicht zu intensiv untersucht werden. Einfach nur zurücklehnen und staunen, was Tarsem hier auf's Zelluloid gebannt hat. Die Einflüsse sind eindeutig, neben diversen Kunstwerken aus der Malerei, die verarbeitet wurden, scheinen auch psychedelische Reisen als Vorbild gedient zu haben. "Surreal" klingt recht bescheiden angesichts des visuellen Feuerwerks.

Ich verstehe die 46% positiven Bewertungen bei Rotten Tomatoes.
Ich kann nicht genug davon bekommen und freue mich schon drauf, Tarsems Film The Fall (2006) zu schauen.

post scriptum: Roger Ebert war auch sehr positiv angetan, das war einer der Hauptgründe, warum ich mich dann doch dazu gebracht habe, den Film zu schauen. War eine gute Entscheidung!