Mittwoch, 5. Juli 2017

Sechs im Zeugnis

Nein, liebe Kollegen, geht bitte auch mal in die Vollen - auch wenn, oder gerade weil es wehtut.

Bevor ich zum Thema komme, merke ich noch an, dass die Aussage des gestrigen Beitrags nicht sein sollte "Warum habe ich keine Planstelle?" - denn die Antwort auf die Frage kenne ich ja. Ich musste mich nur einmal darüber auskotzen, dass man noch so viel Gutes tun kann - "quitt" wird man im Leben nie sein. Allerdings sorgt es für ein gutes Karma, und wenn ich der buddhistischen Denkweise weiterhin folgen möchte, sollte ich mich auch weiterhin so verhalten wie bisher.

Es gibt die nervige Angewohnheit, Schüler im Dreier-/Viererbereich zu benoten. Das sind quasi Wischiwaschi-Noten, nix Halbes und nix Ganzes, aber man hat es als Lehrer damit leicht, man muss sich dafür nicht rechtfertigen. Nehmen wir die Zwei auch noch hinzu. Wenn man eine kurze Zeugniskonferenz möchte, sorgt man dafür, dass nur solche Noten auftauchen. Ungelogen: Es ist tatsächlich zu beobachten, dass die Noten-Randbereiche selten ausgeschöpft werden. Und meiner Meinung nach zu selten. Das habe ich seit meinem Einstieg in das GemS-System gelernt.

Weil man ja als Lehrer immer noch etwas Mitleid hat. Ja, das arme Kind, ist halt still, meldet sich nie, aber stört immerhin nicht, das sollte doch schonmal eine Vier wert sein, oder? Nein. Denn Vier heißt "ausreichend", und es reicht nicht aus, im Unterricht zu sitzen und Sauerstoff umzuwandeln. Dafür gebe ich eine Fünf, und das mache ich meinen Schülern in den ersten Stunden klar, damit nachher keine bösen Überraschungen kommen.

Was ich gelernt habe: Wenn man im Halbjahreszeugnis zwischen Vier und Fünf schwankt, sollte man lieber eine Fünf geben. Das ist die sogenannte pädagogische Note, als Antrieb, es endlich besser zu machen. Buba la Tättah, meine kleine Kampfwesbe (sic), regt sich jetzt vielleicht auf: Wie scheiße ist das denn, den Schülern extra 'ne schlechtere Note reinzudrücken, damit sie sich dann verbessern (zumindest habe ich früher so gedacht)? Mega fies! Aber vielleicht wird auch BlT die Erfahrung machen: Wenn man dem Schüler zum Halbjahr signalisiert, dass es noch für eine Vier ausreicht - joah, dann kann man ja weitergammeln. Die Vier bewirkt da leider nur Ungünstiges, und deswegen gilt es als eine pädagogische Fünf.

Ich bestätige aus meiner bisherigen (noch nicht sehr umfangreichen) Berufserfahrung, dass die Fünferschüler sich ausnahmslos im zweiten Halbjahr verbessern konnten, und das hat ihnen richtig gut getan.

Damit hätten wir also auch mal Randnoten gegeben - wobei, halt stopp, da gibt es doch noch die Sechs! Im amerikanischen System läuft das ein bisschen anders, da erhält man ein A, B, C, D (=1, 2, 3, 4) - oder aber ein F, wenn es nicht mehr für ein D reicht: Failure. Da wird nicht noch zwischen Fünf und Sechs unterschieden. Ich finde das eigentlich sinnvoller, und das entspricht ja auch unserem akademischen System.

Manchmal aber geht es nicht anders. Schülerin Pomsa, neunter Jahrgang. Klar, fiktiv. Pomsa sitzt in der hintersten Reihe, zusammen mit ihren "bros", too cool for school. Pomsa meldet sich nie, macht keine Hausaufgaben, lästert offen über anwesende Mitschüler, mobbt in Anwesenheit des Lehrers Andere. Ich liebe solche Schüler, damit kann ich arbeiten! Und ich habe wirklich intensiv mit Pomsa gearbeitet. Ich habe ihr klargemacht, schon zu den Herbstferien, dass sie auf eine Fünf zusteuert. Leider sind die schriftlichen Leistungsnachweise ebenfalls mangelhaft. Zu Beginn des neuen Jahres setze ich mich mit Pomsa zusammen, bespreche die Halbjahres-Fünf.

Ich beschreibe, wie ich Pomsas Verhalten im Unterricht wahrgenommen habe, ich gebe ihr die Möglichkeit, ihren Blickwinkel zu schildern. Nützt nichts, die Fünf steht. Pädagogische Fünf, hoffentlich macht Pomsa etwas draus. Zweites Halbjahr - im Block bis zu den Osterferien meldet sich Pomsa ein einziges Mal im Unterricht und gibt eine richtige Antwort. Ein einziges Mal liest sie einen Text vor - sogar gut, das kann sie, weil sie ganz mädchenunüblich viel über Internet zockt und sich mit Chattern in der ganzen Welt unterhält. Wir stellen fest: Pomsa ist nicht dumm! Aber lässt sich im zweiten Halbjahr noch viel mehr hängen als vorher, natürlich immer mit Lässig-Blick, like I care für Arme. Vor den Osterferien schnappe ich mir Pomsa, wir gehen ins nächste Gespräch, ich packe es anders an und frage, warum sie in der Schule ist. Was für einen Abschluss sie machen möchte, was sie nach der Schule machen möchte, ob sie vielleicht schon 'nen Plan hat.

Naja, Realschulabschluss soll es schon sein, und ich nicke und wir blicken beide auf den Teppich. Kleine Pause, und dann versuche ich Pomsa klarzumachen, dass es in Englisch momentan nicht einmal im Ansatz für Hauptschule reicht. ESA. No fucking way. Wir machen ein gutes Gespräch draus, und dann geht's Richtung Sommerferien und ich merke, dass ich Pomsa doch nicht so toll erreicht habe, wie ich zunächst dachte. Zeugnisnoten. Schuljahresendzeugnisse.

Und ich gebe zum ersten Mal in meinem Leben eine Sechs zum Schuljahresende.

Wie immer setze ich die Schüler vor einen englischen Film, damit sie beschäftigt sind, und bespreche draußen in Ruhe ihre Zeugnisnoten - und natürlich ist irgendwann auch Pomsa dran. Und ich erkläre ganz ruhig und anschaulich Pomsas Unterrichtsverhalten - und teile mit, dass es in Englisch eine Sechs wird.

Es ist das erste Mal, dass Pomsa Alles aus dem Gesicht fällt. Arsch auf Grundeis. Wir kennen die Begrifflichkeiten. Scheiße, jetzt isses richtig in die Binsen gegangen, und womöglich kommen noch weitere Fünfen dazu? Pomsa ringt um Worte, was kann sie tun, damit sie besser wird blablabla, the rest is history.

Ich denke, dass diese Sechs nötig war. Ich denke, wenn alle Kanäle nicht mehr funktionieren, muss es mal krachen, und deswegen möchte ich abschließend an alle dies lesenden Pädagogen die Bitte richten: Nutzt das gesamte Notenspektrum - Ihr tut Euren Schülern mit den Wischiwaschinoten keinen Gefallen. Wenn es nötig ist, gebt die Fünf - oder die Sechs. Und wenn es sich jemand verdient hat, dann natürlich auch die Eins.

Pomsa hat eine Menge Anschiss bekommen - aber manchmal muss man wirklich erstmal ordentlich auf die Fresse fliegen, bevor man merkt, dass man etwas ändern muss.

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