Mittwoch, 4. Mai 2016

Psychologie


Fünfzehn Jahre hat es gedauert, bis ich Silent Hill 2 gespielt habe. Dabei trifft das Spiel genau meinen Nerv - ich interessiere mich für Psychologie. Ich habe mich im Studium mit Subjektskonstitution, Spiegelung im Anderen und diversen Konzepten auseinander gesetzt. Der Mensch ist höchst faszinierend in seinem Handeln, könnte man sagen.

Im Gegensatz zu anderen "Survival Horror"-Games wie Resident Evil wird die Spielwelt hier durch die Psyche des Protagonisten kreiert. Die Monster, die man bekämpft, sind Manifestationen seiner eigenen Schuld, sexuellem Verlangen usw.; schon die erste Szene des Spiels, oben im Bild dargestellt, bereitet den Spieler darauf vor, dass es psycho-logisch wird. Und der Anspruchslevel ist im Vergleich zu anderen Spielen hoch. Die Rätsel mögen vollkommen deplaziert wirken ("benutze Dosenöffner mit Dose, um darin enthaltene Glühbirne in eine Fassung zu drehen, damit genügend Licht auf eine Tür fällt und man das Schlüsselloch findet", "löse vier unterschiedliche Schlösser, die eine Kiste sichern, um darin ein Haar (!) zu finden, mit dem man - kombiniert mit einem gebogenen Drahtstück - im Duschabfluss nach einem Schlüssel angelt"), aber in der Retrospektive ergeben sie einen Sinn.

Faszinierend, noch während ich diesen Beitrag schreibe, geht mir ein Licht nach dem anderen auf und ich verstehe. Jemand sagte mal: "Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden." Das ließe sich auch auf das Spiel anwenden. Auch hier gibt es die Möglichkeit eines zweiten Spieldurchlaufs, der - ganz dem hermeneutischen Zirkel entsprechend - auf einem anderen Level abläuft, mit einer neu gewonnenen Erkenntnis. Ähnlich wie das Sternenkind in Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey, das neugeboren aus dem Weltall auf die Erde blickt, mit einem Bewusstsein dessen, was alles vorher geschehen ist. Reifer, sozusagen.

Man wandert nicht durch ein altes Herrenhaus und zerlegt dabei auf möglichst splatterige Weise Zombies (was nicht heißen soll, dass das keinen Spaß macht, ich liebe Resident Evil und Alone in the Dark: The New Nightmare). Man durchwandert die eigene Psyche und kämpft gegen die inneren Dämonen. Das ist auch der Grund, warum (in der Spielwelt) jeder Charakter die Stadt Silent Hill anders erlebt. Das Mädchen, das vom Vater sexuell missbraucht worden ist, streift durch ein anderes Silent Hill als der Junge, der immer wegen seiner Körperfülle gemobbt wurde und in der Folge seine Peiniger tötete.

Es gibt einen Twist gegen Ende des Spiels, aber während des Durchlaufs werden immer wieder Hinweise eingestreut, so dass man nicht mehr von der Auflösung überrascht ist. Das sollte man dem Spiel nicht vorwerfen; es ist in sich unglaublich stimmig und lässt sich reibungslos - und ohne richtige Längen - durchspielen. Dass man den Schwierigkeitsgrad der Action und der Rätsel unabhängig voneinander vor Beginn des Spiels einstellen kann, finde ich sehr geschickt.

Es gibt viele Rezensenten da draußen, die SH2 als das beste Horror-Spiel auf dem Markt bezeichnen. Ich kann das in der Form nicht teilen; ich würde sagen, es spielt ganz oben mit. Ich möchte keinen ersten Rang vergeben, denn dann müsste ich mich entscheiden zwischen Project Zero 2 und Silent Hill 2. Das ist nicht nötig.Ich habe mich wunderbar unterhalten gefühlt und das Spiel wird noch eine ganze Weile nachwirken. Thumbs up!

post scriptum: Aus aktuellem Anlass habe ich alle Beiträge dieses Blogs zu meiner derzeitigen Schule entfernt. Ich bin darum gebeten worden und verstieße gegen §12 BGB, "Namensrecht", wenn ich dieser Bitte nicht nachkäme. Also wundert Euch nicht, wenn der eine oder andere Artikel, wenngleich auch Lob dabei war, nun nicht mehr angezeigt wird.

Ich weiß jetzt, was jemand (siehste?) meinte, als er zu mir sagte: "Tobi, sie sind für ein Kollegium unglaublich wichtig. Ihre Schule wird davon profitieren, dass sie bestimmte Sachverhalte aufzeigen und Dinge hinterfragen, auch Haltungen ihres Dienstherrn; allerdings sind sie genau aus diesem Grund unbequem und nicht jeder kann damit umgehen. Lassen sie sich davon aber nicht abbringen."

Das habe ich im Studium auch öfters zu hören bekommen. Ich habe im StuPa gearbeitet, Fachschaftsarbeit verrichtet und bin bei jeder Demo mit auf die Straße gegangen. Wenn ich nun damit aufhörte, liefe ich Gefahr, zu einem leo mansuetus zu werden, den Statius so trefflich beschrieben hat.

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