Montag, 30. Mai 2016

Psychoactive Substances Act 2016


WARNHINWEIS: In diesem Artikel werden sogegannte "Designerdrogen" namentlich erwähnt. Sie mögen ohne rechtliche Konsequenzen zu erwerben und konsumieren sein, aber sie haben die Sicherheitstests nie vollständig durchlaufen. Über ihre Gefährlichkeit kann keine Angabe gemacht werden. Es liegen dokumentierte Todesfälle durch den unvorsichtigen Gebrauch nicht geprüfter Substanzen vor. Daher rät der Verfasser energisch davon ab, diese "research chemicals" zu konsumieren. Safer Use geht vor; Ihr habt nur einen Körper, also passt auf ihn auf! 

Diese Überschrift klingt so englisch - und ja, es geht um ein rechtliches Papier im Vereinigten Königreich. Es ist ein Gesetz, das im Januar diesen Jahres die königliche Genehmigung erhalten hat und seit dem 26.05.16 flächendeckend in Kraft getreten ist. Dieser Artikel möchte das Vorhaben der Regierung kritisch zur Disposition stellen und ein bisschen aufklären, worum es sich dabei handelt - mit der Frage im Blick, ob das für Deutschland vielleicht auch sinnvoll wäre.

Heute sagt man "psychoaktive Substanz", früher sagte man "Droge". Ich bin ganz erleichtert, dass endlich der neue Ausdruck breitere Anwendung findet, da "Drogen" gesellschaftlich stigmatisiert sind. "Psychoaktive Substanzen" meinen alle Substanzen, die auf das zentrale Nervensystem wirken, egal, ob beruhigend oder anregend oder psychedelisch.

Das bedeutet: Koffein, Nikotin, Alkohol, Heroin, Kokain und unzählige mehr sind sämtlich psychoaktive Substanzen. Hier findet sich kein Platz mehr für die Doppelmoral des allseits beliebten "Nein, ich nehme keine Drogen. Mal ein Glas Alkohol ab und an, ja." und für Lehrer, die ihren Schülern erklären, dass Drogen böse sind, und dabei die Kaffeetasse in der linken Hand schwenken. Endlich bekommen wir eine sachliche Beurteilung zumindest ins Blickfeld der Gesellschaft - auch wenn diese sich in der Masse sträuben wird, ihren morgendlichen Kaffee als Abhängigkeit zu betrachten. Face facts: Ihr seid ohne Euren Kaffee morgens nicht Ihr selbst? Dann seid Ihr abhängig, akzeptiert das. Ist doch auch in Ordnung. Nur bitte nicht diese verlogene, geheuchelte Doppelmoral an den Tag legen.

Großbritannien hat ein Drogenproblem, so wie Deutschland auch. Diverse Substanzen unterliegen der Überwachung, in Deutschland reglementiert durch die Anlagen I-III des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG). Es gibt allerdings eine rechtliche Grauzone, speziell im Bereich sogenannter "Designerdrogen" (research chemicals / RCs). Hier werden bekannte Substanzen wie z.B. Etizolam (ein Beruhigungsmittel) chemisch leicht umstrukturiert - in diesem Fall ein Chlor-Atom aus dem Molekül entfernt - so dass das Wirkspektrum kaum verändert wird und man Deschloroetizolam erhält (ebenfalls ein Beruhigungsmittel).

Der Trick dabei: Etizolam untersteht in Deutschland der BtmG-Anlage III, ist also ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel, das ohne Verschreibung nicht gehandelt werden darf. Deschloroetizolam wiederum ist nicht im BtmG aufgeführt. Es darf ohne Rezept von Chemie-Laboren vertrieben werden - immer mit dem Hinweis, dass es natürlich nicht zur Anwendung am Menschen gedacht ist, sondern nur als Laborreagenz.

Konsumenten von Beruhigungsmitteln mögen sich also zunächst ärgern, dass das einst "freie" Etizolam dem BtmG unterstellt worden ist, freuen sich aber nun über die ähnliche Alternative Deschloroetizolam. Vermutlich wird diese irgendwann auch dem BtmG unterstellt werden, aber dann finden die hellen Köpfe neue Designerdrogen mit ähnlichen Effekten. Es ist für das Bundesamt für Arzneimittel ein Kampf gegen die Hydra, ein Kopf wird abgeschlagen, drei neue wachsen nach.

Dem hat nun die britische Regierung den in der Überschrift erwähnten PSA2016 entgegengesetzt. Er stellt Besitz und Handel sämtlicher psychoaktiven Substanzen unter Strafe. Ach nein, natürlich nicht: Koffein, Nikotin und Alkohol erhalten mal wieder Ausnahmeregelungen. Kritiker warnen: Man müsse eigentlich auch eine ganze Reihe Nahrungsmittel, die psychoaktive Substanzen in kleinen Mengen enthalten, verbieten - und prangern die Inkonsequenz bzw. aus Konsequenz resultierende Unmöglichkeit der Durchführung des PSA2016 an.

Ich halte die Aktion für einen Schritt in die falsche Richtung. Noch mehr Substanzen werden kriminalisiert. Sind sie legal nicht mehr verfügbar, wird die Drogenkriminalität steigen, denn man kann die Neugier und die Genusssucht des Menschen nicht einfach mit Gesetzen unterdrücken. Das versuchte man in der Prohibition und es verlief katastrophal. Das versuchte man in Deutschland mit dem BtmG, und versucht es immer noch, und wozu führt es? Zahlreiche Drogentote durch unreines Straßenheroin, zahlreiche Notfälle durch den Konsum nicht geprüfter Designerdrogen (s.Warnhinweis oben!).

Das kann es nicht sein. Ich hoffe, dass die deutsche Regierung sich daran kein Beispiel nimmt. Ich hoffe, dass Marianne Mortler, die derzeitige Drogenbeauftragte der Regierung, noch viel dazulernen kann. Immerhin wurde 2014 ein denkwürdiges Urteil vom EuGH gesprochen, nämlich dass der Konsum eben jener legalen psychoaktiven Substanzen nicht unter das Arzneimittelgesetz in Deutschland fällt und dass somit der Handel nicht kriminalisiert wird. Details finden sich in diesem Artikel.

Im folgenden Video findet man einige Einschätzungen, wie die (damalige) Zukunft aussehen könnte, wenn das Opioid Tilidin mit nur wenigen Ausnahmen dem BtmG unterstellt würde; mittlerweile ist der Rechtsschritt vollzogen. mMn sehen wir eine realistische Einschätzung (der Streetworker von GANGWAY) und eine idealistische (der Herr vom LKA Berlin):


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