Mittwoch, 12. Oktober 2016

Tatsächlich eine Ehre

Manchmal muss man für das Recht auf Bildung demonstrieren, hat er uns gelehrt.

Vor ein paar Tagen habe ich mit sehr viel Vergnügen und, zugegeben, auch ein bisschen Schalk im Nacken, einen Brief an Jay geschrieben, einem der unvergesslichsten Dozenten, die unter anderem am Englischen Seminar der Kieler Universität gelehrt haben. Ich habe von Jay einen Kommentar unter jenen Blogeintrag erhalten, der tatsächlich ein wenig Verlegenheit auf mein Gesicht gezaubert hat ob zwei faktischer Fehler in meinem Brief, der mich aber auch stolz gemacht hat, denn Jay zitiert - wie er immer gern und vor allem treffsicher aus der Literatur zitiert hat - eine Aussage über den Wert professioneller Komplimente. Professional compliments - und darüber habe ich geschmunzelt.

Wie ich es drehe und wende - Jay hat sich für dieses Zitat und für den Begriff "professional" entschieden, wohl wissend, dass ich kein Lehrender der Universität geworden bin (wenngleich es im Raum stand, allerdings haben mich Umstände im Englischen Seminar davon abgeschreckt) und daher, etymologisch gesehen, als Lehrer nur über Umwege ein Kompliment, meiner professio entstammend, geben konnte. Ich deute in grenzenloser Selbstüberzeugung (die regelmäßig ihre Dämpfer bekommt, keine Sorge) diese Worte als Hinweis darauf, dass Jay mich damals als jemanden erachtet hat, der die Universität in ihrem Sein und Wirken auf eine gewisse Weise hätte bereichern können. So wie eben all jene Studenten, die eine Liebe für die Wissenschaft, für die Bildung mitbringen. Die eben nicht "faul und dumm" ihre Zeit absitzen (wobei die Faulheit, meine Freunde wissen das, mich in großen Phasen hemmungslos in Beschlag nimmt, und nur mein Gehirn dagegen anzuarbeiten versucht, das sich nicht auf einen "Betriebsmodus faul" stellen lässt).

Nun allerdings hat Jay diesem Brief und allem, was er an Gedanken in Bewegung gesetzt hat, in seinem eigenen Blog einen Eintrag gewidmet. Ich habe ihn mit Genuss gelesen und kann nicht stillschweigen ohne die eine oder andere Reaktion zu Dingen, die er geschrieben hat und die mich in irgendeiner Form berühren. Denn dieser Eintrag ist für mich tatsächlich eine Ehre.

Einen so arroganten Hund wie Sie habe ich noch nie an der Uni erlebt!, so ist es ihm einst seitens eines Studenten entgegen geschallt. Mich interessiert diese Passage ganz besonders, weil ich mich ebenfalls oft mit dem Vorwurf der Arroganz auseinandersetzen muss. Nur leider habe ich ihn nur ein einziges Mal direkt ins Gesicht erhalten, nämlich von meiner damaligen Schulleiterin (If they go low, you go high). Meistens wurde hinter meinem Rücken derart über mich gesprochen - wie es leider in manchen Kollegien geschieht, deren Standorte ich taktvollerweise nicht nenne, sondern die ich in anderen literarischen Veröffentlichungen weiterhin karikiere. Also, wir sind arrogant, für viele Menschen. Nun gibt es diesen Spruch, dass Niveau nur von unten wie Arroganz aussehe - ich lasse das dahingestellt.

Es hat sich in meinem Referendariat meine Englisch-Studienleiterin in Überstunden inklusive zwei Stunden An- und Abfahrt mit mir zusammengesetzt und hat mir behutsam erklärt, woher das rührt, denn anfangs hat mich das sehr belastet - dünnes Fell und so weiter. Nach allem, was ich mir behalten konnte, liegt es an einer unheilvollen Kombination aus hoher Intelligenz, gepaart mit einer oft Hochbegabten anheim fallenden Tendenz, unverblümt die Wahrheit zu sagen. Lieber Jay, wenn Sie das lesen: Oft habe ich überlegt, nachdem ich mir meiner Diagnose endlich bewusst gewordn war, ob Sie ebenfalls hochbegabt sind.

In Ihrem Seminaren sitzend habe ich oft nebenher überlegt, dass wirklich viele Menschen Sie hassen müssen. Mit Ihrer Art nicht zurecht kommen. Genau so, wie Sie es in ihrem Beitrag schreiben. Mir geht es genauso. Und eines kann ich auch hier ganz ehrlich sagen: Es ist mir vollkommen wurscht, dient mittlerweile bestenfalls zur Unterhaltung. Mir können all diese Menschen vollkommen egal sein. Wer mich akzeptiert, auch mit meinen Macken, der Sprache und auch manchmal den selbstrühmenden Anflügen (das gehört nun mal dazu), dem kann ich Vieles bieten: Meinen Schülern einen unterhaltsamen Englischunterricht, meinen Lesern das eine oder andere Schmunzeln und meinen wenigen engen Freunden das, was man sich eben von einem Freund erwartet.

Und ich denke, Jay wird ebenso unbeeindruckt sein von den Menschen, die nicht mit ihm klarkommen. Wie er so treffend schreibt: You can't win them all.

Und ein weiterer Umstand, von Jay in seinem Beitrag beschrieben und in einem seiner anderen Beiträge im Ansatz zynisch erwähnt, mit dem prägnanten Titel "Wende" überschrieben, ist das norddeutsche Bildungssystem, wobei ich nicht mehr weiß, ob ich den Begriff "Bildung" überhaupt noch benutzen darf, sei er doch ebenso altbacken wie "Erziehung". Jay erfreut mich, als Leser seines "Gaudeamus igitur"-Beitrags, mit vielen lateinischen Äußerungen, die ich natürlich alle verstehe. Das Bewusstsein meines Lateinstudiums, da war ich mir nicht mehr sicher, ob es bei Jay noch in der Erinnerung sitzt - scheine ich das doch selbst langsam zu vergessen: Seit mittlerweile drei Jahren habe ich keine einzig Lateinstunde mehr in unserem schönen Bundesland Schleswig-Holstein an mittlerweile drei verschiedenen Schulen unterrichtet, und ich erwähne es gern wieder:

Als ich mein Studium begonnen habe, mit der Wahl zwischen Englisch, Mathe und Latein (drei absolut wunderbare Disziplinen, wenn man ihnen intellektuelle Freiheiten lässt!), wurde mir nahegelegt, Latein zu wählen, denn "Damit kannst Du dir nachher die Schule aussuchen!". Das war vor exakt dreizehn Jahren. Das ist jetzt nicht mehr so. Hätte ich mein Studium in vorgesehenen neun Fachsemestern abgeschlossenen, dann wäre es noch so gewesen. Dann wäre ich jetzt verbeamtet, könnte mir mittlerweile ein eigenes Auto geleistet haben und müsste nicht die Miete monatlich von Hand überweisen.

Aber ich habe es gewagt, mein Studium künstlich zu verlängern, und zwar durch: Die Leitung einer Fachschaft über fünf Jahre, die Mitarbeit im Studierendenparlament über drei Jahre, davon zwei Jahre als Vorsitzender des Haushaltsausschusses, durch Arbeit als Hiwi über vier Jahre. Und durch solche Unerhörtheiten wie die Teilnahme an Seminaren, die mich einfach mal interessiert und gefesselt haben, auch wenn ich den Schein nicht mehr benötigte. So wie "Der amerikanische Süden: Antebellum und Bürgerkrieg", mein drittes Seminar bei Jay, das einfach "purer Genuss" war. Ja, ich habe mein Studium auch dadurch in die Länge gezogen, dass ich diese Zeit genossen habe, das Aufbrechen von Grenzen, das Kennenlernen der Universität von außen und innen, vor und hinter den Kulissen.

Nichts davon bereue ich. Und wenn der Preis ist, dass ich kein Latein mehr unterrichte, weil das Fach bei Bewerbungen an Schulen mittlerweile nicht mehr nur nachrangig berücksichtigt wird, sondern als Ausschlusskriterium gilt, dann ist es eben so. Und deswegen freue ich mich, dass ich die lateinischen Worte in Jays Beitrag noch immer mit Genuss verstehen kann.

Und schließe mit einem Zitat aus David Mamets Sexual Perversity in Chicago; man muss den Autoren nicht mögen. Ich habe mich allerdings intensiv und lohnend mit ihm beschäftigt, also darf ich ihn auch mal zitieren, die Schlussworte, die mich an unsere jetzige Bildungsministerin, Frau Ernst, denken lassen. Nicht wegen der Wortwahl. Sondern weil der Eindruck entsteht, sie scheine die Probleme der Schulen überhaupt nicht mitzubekommen, und weil es sich dabei um einen Akt von Nicht-Kommunikation handelt (ein Kernthema des Theaterstücks) - ein Phänomen, das sie uns seit ihrer Einsetzung im Amt vorlebt (Einsetzung klingt wie ein Bauteil. Wird hoffentlich bald aufgrund von unerklärlichem Verschleiß ausgetauscht):

Danny: Deaf bitch.

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