Samstag, 22. Juni 2019

Fukte Drom

Gefangen in mir.

Ich baue mir meine Identität um mich herum wie ein kleines Haus. Ich ziehe Wände hoch, die heißen zum Beispiel "ich bin hochbegabt, ich darf komische Probleme haben" oder auch "ich gehe auf keinen Fall an eine Grundschule, mit den Kindern kann ich nicht arbeiten" oder "ich habe Angst vor Telefonaten". Kein Wunder, dass solche Wände aus einem Haus dann eher ein Identitäts-Gefängnis machen. Manchmal müssen solche Wände eingerissen werden, lieber einmal zuviel, als einmal zu wenig.

Vor etwas über zwanzig Jahren, Berlin, in der S-Bahn (Linie 45) nahe Schöneweide. Ich fahre mit meinem Cousin und meiner Cousine nach Hause, und wie bei so vielen anderen S-Bahnzügen auch, so ist auch an unserem Sitzplatz das Fenster mittels Münzen zerkratzt worden, um Botschaften an die Fenster zu bringen. Fuck the Norm! hat da ein kreativer Mensch hingekratzt. Meine Cousine liest das, kann aber noch kein Englisch, und erzählt, dass da "Fukte Drom" steht. Zugegeben, die Buchstaben waren auch noch etwas schräg, nicht leicht zu entziffern für ein Kind.

An genau diese Zugfahrt musste ich heute denken, als ich mir den Film American Beauty (1999) angeschaut habe. Eine amerikanische Kernfamilie, wie sie im (Horrordreh)Buche steht: Mutti absolut perfekt, fröhlich, aufgesetzt, künstlich, Vater innerlich tot, midlife crisis, Tochter möchte unbedingt normal sein und mit normalen Menschen zu tun haben (und spart für eine Brust-OP). Kevin Spacey sagt zu Beginn in einem voiceover, dass wir nun ihn kennenlernen werden, ein halbes Jahr vor seinem Tod - obwohl er eigentlich schon tot sei. Innerlich verkümmert, motivationslos. Erst, als er am Ende des Films erschossen wird, hat er wieder richtig gelebt.

Geht mir gar nicht um den Film hier, sondern um eines der Themen, die beleuchtet werden, nämlich das Ausbrechen aus der Norm, aus dem Identitätsgefängnis, das man sich gebaut hat, ausbrechen und zu der "wahren" Identität zu stehen. In meinem Fall könnte das zum Beispiel heißen, dass ich keine Stellenangebote von Grundschulen ablehnen sollte, nur weil es Grundschulen sind. Herr Leinhos kann da arbeiten, das kann ich bestimmt auch. Und auch die Wand der eigenen Probleme wegen Hochbegabung/Autismus-Verhalten, anstatt mir selbst leid zu tun, anstatt mir nichts mehr zuzutrauen, sollte ich einfach mal wieder Aktivität zeigen.

Am Ende des Films merken wir, dass die Charaktere allesamt nicht normal sind, und es wird die Frage gestellt, ob es so etwas überhaupt gibt. Und eine Botschaft ist, dass wir zu unseren quirks stehen sollen, wir sind nicht normal, und uns geht es wesentlich besser, wenn wir nicht krampfhaft versuchen, in unserem Leben eine künstliche Normalität zu erzeugen.

Der Film hat wirklich gut getan, manchmal braucht man solche Motivationshilfen. Norm? Fuck the Norm! oder genauer: Fukte Drom!

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