Samstag, 25. Februar 2017

Wenn die Leute reden...

Quelle: http://orig03.deviantart.net/e0b6/f/2011/142/a/2/poison_bottle_by_tulwarr1-d3gxfjj.jpg

Silke geht.

Als ich das in einer spontan einberufenen Dienstversammlung mitbekam, musste ich viel nachdenken - unsere Schulleiterin hat uns darüber aufgeklärt, dass sich für sie eine neue Tür im Leben geöffnet habe und sie eine andere Stelle angenommen habe. Das ist im Kollegium unterschiedlichst aufgenommen und kommentiert worden. Während sich die meisten für Silke freuten, mischten sich hier und da auch andere Töne unter die Kommentare.

Ich gehe gar nicht ins Detail. Sowohl der Inhalt als auch die emotionale Art und Weise von Silkes Botschaft wurden kontrovers diskutiert (unglaublich, wie beliebt dieser Euphemismus geworden ist). Mir ist es schwer gefallen, den Mund zu halten und mich an mein Credo zu halten, wenn es darum geht, über Kollegen herzuziehen:

Ich find' es scheiße.

Ich finde es *richtig* scheiße.

Gerade, weil ich es vor ein paar Jahren noch so toll fand...

Das war an meiner ersten Schule. Ich kam direkt von der Uni und wusste noch gar nichts. Wie ich mich als Junglehrer verhalten sollte, ob ich überhaupt "richtigen" oder "guten" Unterricht machen kann, wie ich mich im Lehrerzimmer verhalten sollte, all diese Dinge. Und somit habe ich erstmal vorsichtig beobachtet und mich in Lehrerzimmerdingen einfach anstecken lassen von dem, was mir dort begegnet ist:

"Boah, ist dir mal aufgefallen, wie tief XY unserer Schulleiterin in den Arsch kriecht?"

Natürlich nur hinter dem Rücken, ich habe mir das angehört und hab' gedacht, ja, das stimmt echt, widerlich! Sowas kann ich ja gar nicht haben, ich bin ein Feind von Schleimerei, besonders, wenn keine großartigen Fähigkeiten dahinter stecken.

"Du hast recht, ist richtig widerlich, ich könnte sowas nicht."

Mit solchen Antworten war ich dann schnell zur Hand, denn das war es ja auch, was ich mir gedacht habe. Mein Verhalten immer verglichen mit dem der anderen Kollegen, um herauszufinden, was einen "guten" Lehrer ausmacht.

"Hast du mitbekommen, XY ist zum beliebtesten Lehrer Deutschlands gewählt worden. Kein Wunder, der schaut mit seinen Schülern nur Filme und spielt Spiele mit denen!"

Okay, an der Stelle habe ich nicht sofort zugestimmt, sondern ein bisschen abgewartet. Ich spiele auch Spiele mit meinen Schülern, ich schaue auch Filme mit ihnen, gibt auch viele Schüler, die mich mögen, wo ist jetzt gerade das Problem?

"Die lernen ja überhaupt nichts, die machen gar keinen richtigen Unterricht."

Hm, okay, den Argumenten konnte ich mich nicht komplett verweigern. Aber die Lehrerzimmergespräche wurden expliziter.

"Hast du gehört, XY soll auf der Klassenfahrt betrunken gewesen sein."

"XY nimmt Beruhigungsmittel und Antidepressiva, das geht echt gar nicht."

"Der lässt den Schülern alles durchgehen, so ein Schwachsinn, ich bin für ein strenges Regiment, so muss das sein."

"Die kann sich gegenüber den Schülern überhaupt nicht durchsetzen, das ist eine ganz arme Person."

Und dann hat sich dieses Denken und Handeln in meinen Unterricht eingeschlichen. Ich habe mit meinen Schülern über die Unterrichtsmethoden anderer Kollegen zunächst gesprochen "Dr Hilarius, bei ihnen lernen wir viel mehr, XY konnte das irgendwie überhaupt nicht" und irgendwann dann angefangen zu lästern "Naja, so macht man das ja auch nicht. Ich bin sicher, XY meinte das nur gut, aber das war echt nicht gut durchdacht."

Und das Schlimmste: Ich habe das nichtmal mitbekommen. Ich habe mich darin wohlgefühlt. Ich bin ein Teil geworden dieser Lästermaschinerie, die nach oben kriecht und nach unten tritt. Ich bin auch nur Mensch, ich habe es genossen, ein wenig über Andere herzuziehen, um mein eigenes Referendariat etwas erträglicher zu machen.

Ich habe die ganze Scheiße, die ich da gemacht habe, nicht einmal richtig mitbekommen. 

Bis die Schulleitung entschieden hat, mir mein Handeln einmal vor Augen zu führen. Ohne in die Details zu gehen, habe ich die Dinge, die ich gemacht habe, dann einmal schwarz auf weiß vor mir gesehen. Und das war nicht angenehm. Klar, da war immer noch das Bewusstsein, dass andere Kollegen sich ganz genauso verhalten, aber ich habe mich für einen Moment vor mir selbst geekelt.

Dass ich jene Schule verlassen wollte, stand vorher schon fest, das war sozusagen nur noch der Nagel zum Sarg. Und all' die falschen positiven Kommentare zum Abschied (abgesehen von den paar authentischen), darauf hätte ich verzichten können, aber das war mir egal, nur weg hier.

Und dann kam Schule Nr.2, die Nordseeschule in St.Peter-Ording, über die ich hier schon mehrfach das eine oder andere positive Wort verloren habe. Nun also ein weiteres Mal:

Als ich in meiner neuen Schule angekommen war, hat mich die Freundlichkeit, der Humor, die Aufgeschlossenheit und Offenheit des Kollegiums (an beiden Schulteilen) überrascht. Man ist auf mich zugekommen, hat mich direkt integriert, ist ins Gespräch mit mir gekommen - trotz meiner "Andersartigkeit". Ich habe in diesen zwei Jahren kaum ein negatives Wort über Kollegen mitbekommen. Man hat das dort einfach nicht gemacht. Und wann immer ich Lady Mutterschiff von dort berichtet habe, hat sie mir klargemacht, dass das tatsächlich recht unüblich ist.

Ich habe mich akzeptiert gefühlt, und zunächst konnte ich gar nicht festmachen, woran es lag. Mit der Zeit ist mir aber ein Licht aufgegangen, wie sehr es ein Kollegium vergiften kann, wenn man negativ über andere Lehrer spricht - das Licht ist deswegen aufgegangen, weil es in SPO eben nicht gemacht wurde. Und wenngleich ich in der Anfangsphase immer mal wieder in meinen alten Habitus verfallen bin, mit Schülern über andere Kollegen zu reden, so habe ich versucht, mich zu disziplinieren und das einfach komplett zu unterlassen. De absentibus nihil nisi bene, sozusagen. Über die Abwesenden (soll man) nichts außer Gutes (reden).

Es hat mir unglaublich gut getan, diese Arbeitsatmosphäre in der Schule zu genießen. Mit meinen Fragen konnte ich zu jedem Kollegen gehen, egal, wie "dämlich" diese Fragen vielleicht waren. Man hat das Alternative an meinem Unterricht zunächst vorsichtig, aber dann akzeptierend betrachtet. Niemand hat von mir gefordert, mich oder meinen Unterricht zu ändern; im Gegenteil: Ich habe oft den Hinweis bekommen, ich solle so bleiben, wie ich bin. Ich fand das richtig toll.

Über Eckernförde verliere ich hier kein Wort, und nach einem Dreivierteljahr in Neumünster sind mir halt bestimmte Verhaltensweisen aufgefallen. Die Distanz, der Argwohn, das Misstrauen, das Lästern. Nicht überall, definitiv nicht. Aber ich habe gemerkt, dass ich selbst wieder höllisch aufpassen muss, nicht mitzumachen. Ich merke, dass ich es ganz gern mal wieder machen würde, aber ich habe keine Lust, das "Kollegiumsgift" weiter zu verteilen. Ich möchte den Kollegen vorleben, wie wir es in SPO gemacht haben - und wieder einmal: Be the change you wish to see in the world.

Und daher versuche ich nicht nur, nicht negativ über andere Lehrer zu sprechen - ganz egal, wie deren Macken sein mögen -  sondern ich möchte Andere auch darauf hinweisen, dass ich es nicht in Ordnung finde, dass hinter ihrem Rücken negativ über sie gesprochen wird. Ich bin in diesem Vorhaben nicht perfekt, aber wenigstens versuche ich es.

Denn das habe ich an Einsicht aus der Humanistischen Pädagogik mitgenommen: "Jeder Mensch ist an sich gut." - Nur das Verhalten missfällt uns manchmal. Aber jeder hat seine Gründe. Und tief im Inneren sind eben alle gut, und ich möchte sie auch so behandeln. Und wenn mich jemandes Verhaltensweise stört, dann sollte ich hingehen und denjenigen direkt ansprechen, anstatt mit Anderen über ihn herzuziehen. Und ich sollte mir Eines immer vor Augen halten: So sind sie eben. Und so habe ich sie zu akzeptieren, denn auch ich bin nicht frei von Fehlern und werde trotzdem von Vielen akzeptiert.

Und deswegen finde ich Kollegenlästern scheiße.

Richtig scheiße.

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