Sonntag, 17. Juni 2018
Wer bin ich?
So eine einfache Frage mit so unendlich vielen Facetten. Nicht ohne Grund spielt der Ausdruck Identität in diesem Blog immer wieder eine sehr wichtige Rolle. Nosce te ipsum haben die ollen Römer gesagt, "erkenne dich selbst". Aber das ist gar nicht so einfach.
Ich suche seit Jahren nach meiner Identität, und von Jahr zu Jahr kann ich meinem Persönlichkeits-Puzzle Teile hinzufügen. Ich frage mich "Was macht mich aus?" - "Wie definiere ich mich?" - und stelle fest, dass ich da sehr labil bin. Wann immer ich etwas Neues über mich herausfinde, definiere ich mich darüber.
Als ich mich endlich geoutet hatte, war ich irgendwie "nur noch" schwul. Ich bin auf Szeneparties gegangen, ich habe Toleranz und Akzeptanz von meinen Mitmenschen eingefordert, ich war Dauergast bei Gayromeo, ich habe viele der Entscheidungen meines Alltags unter der Schwulenperspektive getroffen. Das war mir wichtig, endlich konnte ich das ausleben, also wollte ich diesen Umstand an meinem Lebensalltag teilhaben lassen. Ich habe diesen Faktor in meinen wissenschaftlichen Hausarbeiten auftauchen lassen, ich habe Referate über schwule Schriftsteller gehalten (Tennessee Williams, Chuck Palahniuk, Douglas Coupland anyone?). Ich habe mit Freunden ununterbrochen über Homosexualität gesprochen.
Irgendwann, Monate, Jahre später hatte ich mich daran gewöhnt. Mit einem Mal wurde ich zum Gothic. Ich hatte nur ganz vorsichtig angefangen, ganz zögerlich mein erstes Gothic-Album gehört (Tristania - Widow's Weeds). Nach und nach mehr schwarz getragen... und dann ist auch der Knoten geplatzt, ich bin auf Szeneparties gegangen, ich bin mit Kayal in die Uni gegangen, ich trug fast nur noch schwarz. Mein kompletter Musikgeschmack hat sich gewandelt. Was interessierte es mich überhaupt noch, dass ich schwul war? Gothic zu sein, das war mir viel wichtiger. Ich habe Freunde mit zur Lost Souls geschleppt, ich habe mein Profil im StudiVZ überarbeitet, so dass es keinen Zweifel mehr an meiner Ausrichtung gab, ich habe zuhause düstere, alberne Rituale durchgeführt (die mir damals aber wichtig waren).
Wurde alles normal, alles Alltag. Dann kam in großen Schritten meine Examensarbeit, die viel mit mir angestellt hat (ich werde irgendwann einmal darüber schreiben, denn das war tatsächlich ein Wendepunkt in meinem Leben). Erst nur Recherche, dann als richtige Aufgabe habe ich mich mit psychoaktiven Substanzen auseinandergesetzt und bin in die Suchtprävention gegangen. Gegenüber meinen Mitmenschen habe ich mich nicht darüber definiert (die besten Freundinnen mal ausgenommen), weil das Thema einen stigmatisiert und man damit nicht hausieren gehen sollte. Auch nicht, wenn man einfach nur aufklären möchte. Also nicht definiert, aber ich habe viel Freizeit damit verbracht, mich über diese Substanzen zu informieren, und habe Gundula Barschs Thesen zum Thema Drogenmündigkeit geradezu inhaliert. Im Netz hat damals ein User für mich ein bisschen Bildbearbeitung gemacht - siehe oben. Das war alles neu für mich - für eine Weile.
Und auch das ließ irgendwann nach. Okay, ich bin schwul. Okay, ich bin Gothic. Okay, ich kenne mich mit Drogen aus. Alles kein Mainstream, aber für mich dann letztlich doch normal geworden. Und dann kam das Referendariat, dann kam dieses eine Modul über besondere Lernausgangslagen, in dem über diverse Förderstatus gesprochen wurde, aber eben auch über Hochbegabung. Und ich saß da, die anderen wollten nachmittags nur noch nach Hause, und ich klebte mit meinem Blick seit zwei Stunden an der Symptomliste Hochbegabung fest. Und unendlich viele Teile meiner Jugend fielen endlich an ihren richtigen Platz. Auf einmal wusste ich, was mit mir immer "verkehrt" war, auf einmal konnte ich mir das alles erklären. Und sorry, liebe Mitmenschen, aber wenn dreißig Jahre Komischsein endlich erklärt werden, dann nimmt mich das mit.
Auf einmal war ich hochbegabt - und schien bzw. scheine mich nur noch über die Hochbegabung zu definieren, seit mittlerweile vier Jahren. Ich versuche, mein komisches Verhalten damit zu erläutern, ich versuche, mit meinen Problemen als Hochbegabter umzugehen, denn nun weiß ich mehr darüber, nun kenne ich Strategien. Aus Angst, dass Menschen mich auch weiterhin komisch finden würden, begrüßte ich sie quasi immer mit "...und ich bin hochbegabt." - was ein großer Fehler ist, gerade gegenüber Menschen, die mich gar nicht kennen, denn auf einmal bin ich wieder arrogant und überheblich und "...warum muss er eigentlich immer wieder mit seiner Hochbegabung anfangen?" - Letzterer Satz ist ja wahrscheinlich berechtigt. Deswegen höre ich ihn in den letzten Jahren immer und immer wieder. Nicht direkt, aber hinter meinem Rücken. Und ich schäme mich dafür und lerne "Sei hochbegabt, aber rede nicht drüber", mal schauen, wann ich das endlich verinnerlicht habe.
Ich bin ein Exot - zehn Prozent der Bevölkerung sind homosexuell. Gothics dürften nicht mehr als fünf Prozent sein, eher noch weniger. Und hochbegabt sind zwei bis drei Prozent. Alles zusammen macht mich zu einem Exoten, und genau darauf beziehe ich mich, wenn ich zu anderen Menschen sage "Ich bin ein bisschen komisch". Und dann sagen sie ganz nett, ach, das sind wir doch alle, und wenn sie dann irgendwann merken, was ich meine, kommt so etwas wie "Das hättest du auch gleich sagen können."
All' das war ich. All' das bin ich.
Und wer bist Du?
post scriptum: Ich will mein Verhalten hier gar nicht rechtfertigen. Sondern nur einmal vom Herzen schreiben, weil die große Buba mich in zwei Fällen darauf hingewiesen hat, dass ich mich - in der jeweiligen Phase - fast nur noch über meine neue Eigenheit zu definieren schien. Und ich bin dankbar, dass sie das gesagt hat, denn ich selbst habe das überhaupt nicht mitbekommen und andere Menschen, wie gesagt, haben nur hinter meinem Rücken darüber geredet.
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